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Einleitung.
Tertullian als Apologet.
Die Schriften Tertullians, welche im siebten Bande dieser Sammlung vereinigt sind, namentlich die der zweiten Gruppe, zeigen, welch regen Anteil der Verfasser am sittlich-religiösen Leben der Gemeinde von Karthago genommen hat. Er suchte die Gläubigen vom Besuch der Zirkusspiele und des Theaters abzuhalten, er belehrte sie, wie man sich in Kollisionsfällen zu verhalfen habe, wenn man im bürgerlichen Leben Gelegenheit hatte oder in Gefahr kam, mit heidnischen Kultushandlungen in Berührung zu treten, was Teilnahme am Götzendienst sei und was nicht, er belehrte sie über Taufe, Buße und Gebet, und ging auf die Einzelheiten des Privatlebens ein, weibliche Kleidung und Putz, er erörterte sogar im persönlichen Interesse eines Mitbruders die Frage, ob es angemessen sei, daß er nach dem Tode seiner Gattin wieder heirate. Alle diese Dinge behandelte er zwar nicht im Tone eines Vorgesetzten, aber doch wie einer, dem es zusteht, über solche Dinge Belehrungen zu erteilen, und der gewöhnt ist, gehört zu werden. Was die formelle Behandlung angeht, spricht er mit deutlicher Beziehung auf eine gewisse Klasse von Christen, die er als "Gesegnete" (benedicti) anredet und die er als solche bezeichnet, welche demnächst die Taufe empfangen werden, also die Katechumenen, oder sie kürzlich empfangen haben, die Neuchristen fnovitiij. Darauf haben wir den Schluß gebaut, daß Tertullian zum Lehrer der Katechumenen der Gemeinde von Karthago bestellt gewesen sei.
Das Wichtigste, das sich in einer Christengemeinde der damaligen Zeit ereignen konnte, war der Ausbruch einer Verfolgung, und es soll nun unsere Aufgabe sein darzulegen, in welcher Weise Tertullian, als seine Gemeinde von einem solchen Ereignis betroffen wurde, in Mitleidenschaft gezogen, beziehungsweise zur Tätigkeit |350 angeregt wurde. Es genügt zu diesem Zwecke nicht, von Verfolgungen im allgemeinen als sich gleichbleibenden Ereignissen zu reden; denn dieselben waren nach Dauer, Ausdehnung und Charakter verschieden.
Zunächst unterscheiden sich die Verfolgungen der beiden ersten Jahrhunderte von denen der Folgezeit. Die letzteren waren in der Regel allgemein und für das ganze Reich von den Kaisern anbefohlen und forderten Opfer in großer Zahl, in den beiden ersten Jahrhunderten aber waren sie sporadisch und nicht häufig. Handhaben, die Christen zu verfolgen, ohne besonderen Befehl von oben, gab es in der römischen Gesetzgebung mehrere. Jeder oberste Gerichtsherr einer Provinz konnte das zu jeder Zeit auf Grund der bestehenden Gesetze gegen Atheismus, fremden Kultus, Sakrilegium, Magie usw. tun, und daraufhin setzten eifrige Prokonsuln in den Provinzen bald hier bald da auf eigene Faust Verfolgungen ins Werk, wie z. B. in Lyon, Vienne 177 n. Chr., oder wie Saturninus in Afrika im Jahre 180 (s. Bd. 1, S. XXVI). Solche Verfolgungen kann es in den beiden ersten Jahrhunderten nicht sehr viele gegeben haben, wenn ein Mann wie Plinius d. Jüngere, der zu den höchsten Ämtern im Staate gelangt war, bekennt, er habe noch keine Gelegenheit gehabt, Verhandlungen gegen Christen beizuwohnen. Die Christen wurden ja, auch Tertullian erwähnt dies, von den Heiden als eine jüdische Sekte angesehen, deren es nach Eusebius (h. e. IV, 21) eine Menge gab, die jüdische Religion gehörte aber zu den staatlich erlaubten (Apol. c. 21).
Erließ der Kaiser, wie es im dritten Jahrhundert Regel war, ein allgemeines Verfolgungsedikt, so verschlimmerte sich die Lage der Christen, da nun die Präsidenten der Provinzen genötigt waren, gegen sie vorzugehen. Ein allgemeines Verfolgungsedikt erließ nun auch schon Severus gegen Juden und Christen. Er verbot zwar nicht die jüdische Religion, aber doch den Übertritt zu derselben. Es scheint, daß er bei seinen Feldzügen im Orient erkannt hatte, daß die niedergeworfene jüdische Nation immer noch eine Macht sei ---- hatte ja doch sein Sohn Caracalla damals eine Expedition gegen die Juden und Samariter unternommen. |351 Darum glaubte nun Severus einer weiteren Steigerung dieser Macht vorbeugen zu müssen. Er tat dies, indem er den Übertritt zum Judentum und gleichzeitig auch den zum Christentum verbot, wie Spartianus berichtet (Judaeos fieri sub gravi poena vetuit; idem de Christianis sanxit1)). Also gleiche Behandlung für beide.
Ob die Juden durch dieses Edikt stark betroffen wurden, darüber fehlt es an Nachrichten, die Christen aber hatten infolge desselben schwer zu leiden, namentlich in Ägypten, aber auch in Karthago, wo die Verfolgung übrigens schon vor Erlaß des Edikts begonnen hatte. Dort waren nämlich die Erfolge und Fortschritte des Afrikaners Severus mit großem Interesse verfolgt worden, und jeder Sieg über seine Nebenbuhler wurde mit Jubel aufgenommen. Illuminationen und Schmausereien waren die Folge. Die Art und Weise, wie man der Freude Ausdruck gab, hatte für Tertullian einen heidnischen Beigeschmack, und dies wird vielleicht die Ursache gewesen sein, weshalb die Christen in Karthago eine kühle Haltung einnahmen. Wie dem auch sei, der heidnische Pöbel geriet gegen die Christen in Erregung, stieß Drohungen gegen sie aus und verlangte, sie sollten den Löwen vorgeworfen werden. Tertullian erkannte, daß Gefahr drohe und daß die Ruhe der Gemeinden von der Stimmung der Statthalter abhänge. Damit dieselben nicht dem Verlangen des Pöbels nachgeben möchten, richtete er an dieselben eine Schutzschrift, welche ihnen allem Anschein nach anonym überreicht wurde. Ob sie den gewünschten Erfolg hatte, wissen wir nicht, jedenfalls wurde durch das bald darauf erlassene Verfolgungsedikt des Severus die Lage der Christen sehr verschlimmert.
So entstand die formvollendete und sachgemäß gehaltene, namentlich die rechtliche Seite des Verfahrens mit juristischer Schärfe behandelnde Verteidigungsschrift, das berühmte Apologetikum, die einzige lateinische Schrift, welche Eusebius in seiner Kirchengeschichte benutzt hat. Sie war übrigens ins Griechische übersetzt worden, vielleicht von Tertullian selbst. |352
Außer dieser ausführlichen, sorgfältig ausgearbeiteten Schutzschrift haben wir von ihm noch eine kleine, sozusagen flüchtig hingeworfene, die er etwa vierzehn Jahre später an eine einzelne Persönlichkeit, Scapula, den Prokonsul von Nordafrika, richtete. Er sucht ihn darin von der Absicht die Christen zu verfolgen abzuschrecken durch den Hinweis auf die Strafgerichte, durch welche Gott die Verfolger mehrlach heimgesucht habe. Das war wiederum eine kühne Tat, kühner als die Überreichung des Apologetikum an die Prokonsuln; denn bei der Übergabe dieser Schrift konnte der Name des Verfassers nicht unbekannt bleiben. Man muß mit Erstaunen fragen, wie war es möglich, daß jemand, der so mit seiner Person den Kampf gegen die Gewalthaber aufnahm, nicht ein Opfer seiner Kühnheit wurde, wie etwa Justin der Märtyrer, sondern sich Jahrzehnte lang auf exponiertem Posten als Vorkämpfer einer verfolgten Partei halten konnte.
Zur Lösung des Rätsels trägt es bei, wenn man sich erinnert, daß Tertullian ein römischer Rechtsgelehrter war, ein Sprosse der herrschenden Nation, der lange Jahre in Rom selbst gelebt und gewirkt hatte, der mit der Geschichte und mit den Institutionen des Reiches genau bekannt war2) und der in Rom auch Verbindungen mit Personen hatte, die zwar nicht in hohen Staatsämtern standen, aber in der Stille eine kräftige Stütze gewähren konnten.
Eine dieser Stützen macht er in der letzterwähnten Schrift selbst namhaft, es war Proculus mit dem Beinamen Torpakion oder Torpation3), ein Mann aus der nächsten Umgebung des Kaisers. Er erzählt von ihm, er habe den Kaiser von der Gicht geheilt, und dieser habe ihn dafür aus Dankbarkeit lebenslänglich bei sich im Palaste behalten. Man könnte ihn also mit einem |353 gewissen Rechte Leibarzt des Severus nennen. Er hatte aber auch noch andere Funktionen, nämlich das Vermögen der Evodia zu verwalten, worüber unten das weitere. Tertullian hatte also in Rom, was man Konnexionen nennt, und für deren Wichtigkeit werden die höchsten Beamten jener Zeit wohl auch Verständnis gehabt haben. Hochgestellte Personen oder solche mit vornehmer Verwandtschaft wurden anders behandelt als Arbeiter, zugereiste unbekannte Fremdlinge oder gar Sklaven. Daher ist die Zahl hochgestellter und angesehener Personen unter den Märtyrern Roms vor der dezischen Verfolgung eine auffallend geringe, ja in der römischen Depositio martyrum eine verschwindende, dagegen ist die Zahl von Ausländern und gänzlich unbedeutenden Leuten eine verhältnismäßig große. Die römische Gemeinde hielt aber solche in Ehren, bewahrte ihre Todestage und errichtete ihnen Kapellen.
Unter Caracalla und Heliogabal erfreute sich die Kirche im allgemeinen der Ruhe. Wir haben aber außer den genannten Schriften Tertullians noch eine, welche auf die Vorkommnisse Bezug nimmt, die mit einer Verfolgung verbunden waren, nämlich darauf, daß die Gläubigen und auch die Mitglieder des Klerus sich derselben durch die Flucht entzogen. Dazu war in Nordafrika namentlich die Nähe der Wüste sehr einladend. Im Gegensatz zu der Mehrheit wollte Tertullian das Fliehen in der Verfolgung für unerlaubt erklären trotz des klaren Ausspruches des Herrn Matth. 10, 23.: "Wenn sie euch in einer Stadt verfolgen, so flieht in eine andere." In dieser Schrift, De fuga in persecufione betitelt, wird nicht wie in den ändern auf gleichzeitige tatsächliche Verhältnisse Bezug genommen, sondern sie ist rein theoretisch und sucht obigen Ausspruch des Herrn durch sophistische Deduktionen umzudeuten und zu entkräften, und man sieht aus allem den montanistischen Standpunkt herausleuchten. Sie enthält kein genaues Kriterium der Abfassungszeit und macht ganz den Eindruck, als sei sie vom Verfasser ausgearbeitet, um seine montanistisch-rigoristische Idee durchzufechten. Wir haben darum Bd. I die Ansicht ausgesprochen, sie sei nach 211 verfaßt, und da sie inhaltlich gegen die |354 andem Schriften sehr zurücktritt, so schien sie zur Aufnahme in unsere Sammlung nicht geeignet.
Ein Lehrer der Katechumenen war in alter, wie auch in späterer Zeit darauf hingewiesen, auf die religiösen Vorstellungen der Nichtchristen in seinen Lehrvorträgen einzugehen und diese dementsprechend zu gestalten. Im römischen Kaiserreiche kamen zuerst die griechisch-römische Mythologie, dann aber besonders die Vorurteile und falschen Gerüchte in Betracht, die bei der heidnischen Bevölkerung in Umlauf waren. Diese mußten widerlegt und der Lehrinhalt des Christentums wissenschaftlich begründet werden. Das erstere war nicht gerade sehr schwierig, zumal da die Heiden selbst zum großen Teil an den Göttermythen überhaupt oder an Teilen derselben irre geworden waren. Manche Apologeten, z. B. Hermias und Arnobius, haben dieses Thema mit Vorliebe und Ausführlichkeit behandelt. Der zweite Teil der Aufgabe war der schwierigere; dazu kam für einen rechtskundigen Apologeten noch die Pflicht, die Richter hinsichtlich der Anwendung der Staatsgesetze und der Prozeßformalitäten zu kontrollieren, eine Aufgabe, für deren Lösung unser Autor besonders befähigt war.
Offenbar hatte er schon, bevor das Leben und die Macht der Ereignisse die praktische und juristische Behandlung der Apologetik forderten, sich theoretisch damit beschäftigt und bei seiner Strebsamkeit und seinem Tatendrang das Material für alle drei Richtungen vorbereitet und, wie es scheint, auch zum Teil schon ausgearbeitet. Das sind die "zwei Bücher an die Heiden", denen anscheinend noch mehrere folgen sollten, was sich aber nach Herausgabe des Apologetikum nicht mehr lohnte. Ohnehin konnte er einen großen Teil des Stoffes in diese Schrift hinübernehmen.
So erklärt sich also die Entstehung der Schrift an die Heiden völlig naturgemäß aus der Stellung Tertullians als Lehrer der Katechumenen; als solcher mußte er seinen Zuhörern über die Torheiten und Fabeln des Heidentums den nötigen Aufschluß zu geben imstande sein und bedurfte zu seinen Vorträgen einer Sammlung von Material, wie sie eben hier vorliegt. Die Schrift ist |355 aber keine vollständige Apologetik, sondern sie enthält nur den vorbereitenden Teil, sie geht negativ und destruktiv gegen das Heidentum vor, der positive Teil, der Aufbau, fehlt. Diesen finden wir im zweiten Teil des Apologetikum, wo der negative Teil weniger ausführlich, mehr auszugsweise behandelt erscheint, ohne daß auf die vorangehende Schrift verwiesen wird. Das konnte dort naturgemäß nicht geschehen wegen der Bestimmung des Apologetikums für einen eigenartigen Leserkreis von Fachleuten.
Wie bemerkt, enthielt die römische Gesetzgebung Bestimmungen, welche zu jeder Zeit die Handhaben zu neuer Verfolgung der Christen darboten, und die Staatsverfassung gab den Verwaltungsbeamten Gelegenheit genug, eine solche ins Werk zu setzen. Und so erfahren wir denn aus den Schriften Tertullians, daß die Gemeinde von Karthago noch lange nach dem Aufhören der Severianischen Verfolgung 211 von solcher bedroht und 212 wirklich davon heimgesucht wurde. Selbst noch in der unter Caracallas Nachfolger abgefaßten Schrift über das Fasten finden sich Äußerungen, welche darauf schließen lassen, daß sie dermalen von schweren Belästigungen nicht frei war. Unter solchen Umständen war die Abfassung und Einreichung von Verteidigungsschriften immer zeitgemäß, besonders aber dann, wenn Anzeichen vorhanden waren, die den baldigen Ausbruch einer Verfolgung ahnen ließen, wie wenn der Pöbel aus irgendeinem Grunde erregt oder gegen die Christen aufgehetzt war. Dann war eine solche Tat besonders verdienstlich, und, wenn von geschickter Hand ausgehend, auch wohl wirksam. Damit sind die Gesichtspunkte gegeben, unter welchen wir Tertullians Tätigkeit als Apologet zu bewerten haben.
An die Heiden. 197 n. Chr.
Bei den zwei Büchern ad nationes fällt sofort ihre inhaltliche Verwandtschaft mit dem Apologetikum ins Auge. Sie ist so groß, daß mit Ausnahme von elf Kapiteln der ganze übrige Inhalt der ersten in letzterem wiederkehrt und zwar in gedrungener, vollendeter Form. |356 Bloß auf die inneren Kriterien der Form, des Stiles, der Disposition usw. sich stützend, kann man sich diese große, manchmal wörtliche Übereinstimmung4) verschieden erklären, und sie ist auch von verschiedenen in verschiedener Weise erklärt worden. Wenn nämlich ein Autor zweimal über denselben Gegenstand schreibt, so sind zwei Fälle denkbar: entweder genügt ihm seine Arbeit nicht mehr, oder er ist durch irgendwelche äußere Umstände verhindert worden, sie zu vollenden. Glücklicherweise sind Anhaltspunkte vorhanden, die Abfassungszeit beider Schriften zu bestimmen, und dies setzt uns dann, wenn wir die inneren und formellen Eigentümlichkeiten hinzunehmen, instand, über die Beziehungen beider Schriften zueinander ins Klare zu kommen.
Für die Bestimmung der Abfassungszeit der Bücher ad nationes ist ein Anhaltspunkt darin gegeben, daß von einer gleichzeitigen Verfolgung der Christen durch die Obrigkeiten keine Rede ist5), dagegen werden die Feldzüge des Severus in Syrien und in Gallien als gleichzeitige Ereignisse bezeichnet. (Ad huc Syriae cadaverum odoribus spirant, ad huc Galliae Rhodano suo non lavant. I. 17.) An den Krieg gegen Pescennius Niger in Syrien reihte sich sofort, wie bekannt, der Zug des Severus nach Gallien und die Entscheidungsschlacht an der Rhone in der Nähe von Lyon am 17. Februar 197. Noch in demselben Jahre werden also die Bücher an die Heiden verfaßt sein. Das Apologetikum ist später nach schon ausgebrochener Verfolgung geschrieben.
Betrachten wir Anlage und Inhalt der Bücher an die Heiden, so haben sie keine Einleitung, auf deren Ausarbeitung Tertullian sonst immer soviel Sorgfalt und Geist verwendet, sondern sie gehen gleich an die Sache selbst. Auch wird keine spezielle Veranlassung der |357 Arbeit und keine andere Tendenz angegeben als die, welche im Titel liegt. Das erste Buch beginnt mit dem Nachweis, daß das gerichtliche Verfahren gegen die Christen ein unvernünftiges, sich selbst und allen Rechtsmaximen widersprechendes, zumeist aus Unwissenheit und Unkenntnis der Sache hervorgehendes sei c. 1-6. Sodann werden c. 7-19 die landläufigen Anklagen und Verleumdungen gegen das Christentum behandelt, und zwar in negativer Weise, indem die Gegner ad absurdum geführt und Gegenanklagen erhoben werden, so zwar, daß sich der Schluß ergibt: auch wenn die Heiden mit ihren Anklagen sachlich Recht hätten, dürften sie doch die Christen nicht verurteilen, weil sie noch viel Schlimmeres tun, als was sie den Christen zur Last legen.
Das zweite Buch ist aggressiv, nicht mehr defensiv. Es weist die Unvernünftigkeit und sittliche Verwerflichkeit der heidnischen Götterlehre an Beispielen und im Einzelnen nach. Der Inhalt des ersten Buches findet sich fast ganz im Apologetikum wieder, der des zweiten in der Hauptsache zwar auch, aber er ist viel kürzer abgetan. Hier dagegen wird methodisch verfahren und das System des Varro berücksichtigt, der es unternommen hatte, der Mythologie eine vernünftige Seite abzugewinnen, indem er die Götter in drei Klassen einteilte: 1) das genus physicum, die Naturgötter resp. die Elemente; 2) das genus mythicum, die Dämonen; 3) das genus gentile, die durch Apotheose vergötterten Menschen. Dieses System berücksichtigend und Stellen aus Varro's divinarum libri XVI Buch 1.14. 15 und 16 anführend, legt der Autor in der Einleitung den Stoff dar, handelt sodann im ersten Teile c. 3-8 über die Mythologie im allgemeinen, nach der gemachten Einteilung genus physicum c. 3-6, genus mythicum c. 7 und genus gentile c. 8 und im zweiten Teile speziell über die römischen Nationalgottheiten, die entweder vergötterte Menschen oder personifizierte Handlungen, Bedürfnisse etc. der Menschen seien c. 9-17. Hieraus erhellt, daß nicht sie den römischen Staat groß gemacht haben, und daß dessen Verfall auch keine Folge der Vernachlässigung ihres Kultus sein könne. Das zweite Buch |358 entbehrt, obwohl die Disposition vollständig erledigt ist, eines förmlichen Abschlusses.
Wie diese Inhaltsangabe anzeigt, bieten die Bücher ad nationes keine vollständige Apologetik des Christentums. Viele Punkte, die dem Autor zu Gebote standen, wie die Vergleichung mit dem Apologetikum, zeigt, hat er gar nicht berücksichtigt, andere nur im Vorbeigehen berührt, mit dem Versprechen, sie suo loco zu beweisen, z. B. I, 3.15, II 13. Diese Hinweise auf später zu gebende Erörterungen finden sich in dieser Schrift verhältnismäßig häufig, aber es ist jedesmal schwer zu sagen, wo er sein Versprechen eingelöst habe, ja bei einem Punkte, der ganz gewiß auch zur vorgesteckten Aufgabe gehörte, hat er es entschieden nicht getan. Die versprochene Auseinandersetzung der christlichen Lehre ---- Postmodum, heißt es 110., obtundentur calumniae tela expositione totius nostrae disciplinae ----, ist in der ganzen Schrift nicht zu finden. Gothofredus gibt davon eine Erklärung, die ich als sonderbar bezeichnen muß: Tertullian habe, meint er, gleichzeitig mit den Büchern ad nationes das Apologetikum in Arbeit gehabt und verweise bei Partien, die er dort nicht erschöpfend behandelte, auf letztere Schrift, wo er beabsichtige, sie ausführlicher zu behandeln. Aber warum schrieb er nicht lieber gleich ein Werk, worin er die Sache erschöpfte?
Da ein solches Verhältnis undenkbar ist, so wird man ein anderes voraussetzen müssen. Welches das war, liegt nahe genug. Tertullians Plan war unzweifelhaft, ein großes, umfassendes theoretisches Werk zur Bekämpfung der heidnischen Religion, sowie zur Widerlegung der vom heidnischen Standpunkt aus gegen das Christentum erhobenen Anklagen zu schreiben. Dazu hätte auch eine summarische, aber doch vollständige Darlegung der christlichen Lehren gehört, wie er selbst sagt. Da letztere sich aber in dem Werke ad nationes nicht findet, so ist dasselbe offenbar unvollendet geblieben. Bevor Tertullian das Werk vollenden konnte, trat irgendein Ereignis ein, das ihn nötigte, in anderer Art als in einem großen theoretischen Werke die Angehörigen seiner Konfession zu verteidigen, nämlich die |359 drohende Haltung des Pöbels gegen die Christen und die Schwäche der Behörden. Da war nicht ein weitschichtiges, erschöpfendes Werk am Platze, sondern eine knappe, bündige Schutzschrift, welche allenfalls auch Aussicht hatte, von den heidnischen hohen Beamten gelesen zu werden. In ihrer Art vollständig mußte auch sie sein und möglichst viele der landläufigen Anklagen entkräften, sonst aber sich möglichst der Kürze befleißigen. Infolge seiner vorausgegangenen Studien aber beherrschte Tertullian zur Zeit, als die Notwendigkeit an ihn herantrat, diese Schutzschrift zu schreiben, das Gebiet völlig und war in den Stand gesetzt, eine solche Arbeit wie das Apologetikum in kurzer Zeit zu liefern. Und die Sache hatte jedenfalls Eile. Er verleibte also seiner jetzigen neuen, praktische Zwecke verfolgenden Verteidigungsschrift das ganze erste Buch des Werkes ad nationes ein, behielt vielfach sogar den Wortlaut bei, faßte aber die Sache kürzer. Das zweite Buch, ganz theoretisch gehalten, paßte für die diesmal so konkret gestellte Aufgabe weniger. Es blieben also die rein theoretischen Ausführungen über die heidnische Götterlehre, sowie die manchmal in allzu scharfe, höhnische, beleidigende Worte gefaßte Verachtung derselben weg, und es fanden nur die oben angeführten fünf oder sechs Kapitel Verwendung. Dafür mußten aber andere Themata teils weitläufiger behandglt, wie z. B. die Anklage auf Illoyalität, teils neu hinzugefügt werden, wie z. B. die positive Verteidigung des Christentums Apol. c. 17-21. c. 39-45 und anderes. Nachdem diese Dinge in so schlagender und bündiger Weise dargestellt worden, wäre es Überfluß gewesen, sie noch einmal weitläufiger zu behandeln, oder mit ändern Worten: die zur Vollständigkeit des Werkes ad nationes cfr. I, 10 noch fehlenden Partien auszuarbeiten und nachzuliefern war unnötig geworden.
Wir gelangen also damit zu der Annahme: die beiden Bücher ad nationes geben den Entwurf und die erste Ausarbeitung eines umfassend angelegten großen Werkes gegen das Heidentum, dessen Weiterführung nach dem angefangenen Plane nicht erfolgte, weil Ereignisse eintraten, welche die Abfassung eines ähnlichen, |360 aber doch anders gearbeiteten Werkes notwendig machten und den Autor nötigten, seinem Plane vorzugreifen. Er verbrauchte also sein gesammeltes Material dazu, und das ursprüngliche Werk blieb unvollendet liegen.
So erklären sich unseres Erachtens auch ganz ungezwungen die sachlichen und formellen Eigentümlichkeiten beider Werke: die größere Vollständigkeit des Apologetikum im ganzen bei geringerer Ausführlichkeit des Einzelnen, die schöne kunstvolle Disposition des ersteren bei dem bruchstückhaften Charakter des ändern, die knappe, prägnante Form des einen bei dem oft breiten, wenig gefeilten und schwerfälligen Ausdruck des ändern. An Schwierigkeiten und Dunkelheiten geben sich beide Schriften nichts nach; in beiden bekundet der Autor eine große Bekanntschaft mit der heidnischen Literatur, in den Büchern ad nationes besonders in Bezug auf die Mythologie, im Apologetikum greift er mehr auf die Philosophie zurück und betont die juristischen Mängel des Gerichtsverfahrens gegen die Christen.
Das ganze erste Buch der Schrift ad nationes ist also in das Apologetikum hineinverarbeitet. Dennoch verdient es gelesen zu werden, weil es manche Dinge weitläufiger behandelt als dort geschehen ist und somit einerseits zur Erläuterung des manchmal gar zu knappen Apologetikums dient, andererseits auch manche Notizen dazu nachträgt. So z. B., um einiges hervorzuheben, erfahren wir, daß den Heiden die Tage der christlichen Zusammenkünfte bekannt waren und sie diese Kenntnis dazu benutzten, um sie in unangenehmer Weise zu überraschen oder zu belauern6). Auch bei den Heiden hatte sich in jener Zeit eine Art Sonntagsfeier gebildet. Man pflegte am dies solis nicht zu arbeiten und nicht zu baden, sondern zu schmausen7). Tertullian sieht das als eine Folge des Eindringens ausländischer Kulte an. Die Heiden pflegten auf Sarkophagen diejenigen Gottheiten abzubilden, welche dem Alter, Geschlecht und Geschäft des Verstorbenen entsprachen: Senex de Saturno, imberbis de Apolline, virgo de Diana figuratur et |361 milos in Marte et in Vulcano faber ferri consecratur8). Im c. 16 desselben Buches erzählt Tertullian ein schauerliches Familiendrama, welches sich unter der Präfektur des Stadtpräfakten Fuscianus im Jahre 192 zu Rom zugetragen hatte, mit solcher Ausführlichkeit und Anschaulichkeit, daß die Annahme, er selber sei damals in Rom gewesen, nahegelegt ist.
Das zweite Buch hat für die Kenntnis des allgemeinen Religionszustandes der damaligen Heidenwelt sowie der Mythologie im einzelnen Wert. Tertullian macht uns mit Götterwesen bekannt, von denen wir ohne ihn gar keine Kunde haben würden. Wie es seine Tendenz mit sich bringt, ist er auch mit Mitteilung unsauberer Einzelheiten aus dem Götterglauben und dem ausgearteten Tempeldienst seiner Zeit nicht sparsam. Er hält sich aber nicht etwa an den Glauben des Pöbels, sondern wir erfahren durch ihn auch, wie der denkende Teil der Bevölkerung sich den alten Götterglauben zurechtlegte. Ihm verdanken wir wesentlich die Kenntnis des Varronischen Systems, dessen auch Augustinus erwähnt. Den Gebildeten konnten ja die Absurditäten, die Unwahrscheinlichkeiten und vielen Widersprüche der Mythologie nicht verborgen sein. Da sie aber nicht umhin konnten, der Staatsreligion trotzdem zu folgen, so waren sie darauf angewiesen, sie vor ihrem zweifelnden Verstande zu rechtfertigen. Also nicht in der Absicht den Götterglauben zu beseitigen, sondern ihn durch eine vernünftige Deutung den Gebildeten annehmbar zumachen, unternahm Varro seine rationalistischen Erklärungsversuche und ersann dazu das dargelegte System. So leicht also in der Theorie auch die Nichtigkeit des Götterglaubens nachzuweisen war, so schwer war es, ihn im Leben zu überwinden. Hier stand den Christen so ziemlich alles feindlich gegenüber9). |362
Bibelzitate hat die Schrift nur acht; der Stil ist zerrissen, die Disposition nicht so klar und fest durchgeführt als sonst in den meisten Schriften. Das Ganze macht den Eindruck des Unvollendeten, um so mehr da das zweite Buch nicht einmal wie das erste mit einem besonders formulierten Schluß versehen ist.
Apologetikum. 198 n. Chr.
Unter den Schriften Tertullians hat seine Verteidigung des Christentums in der gelehrten Welt zu allen Zeiten die meiste Beachtung gefunden, ist am meisten gelesen, herausgegeben und kommentiert worden. Keine verdient es aber auch in dem Grade und keine andere ist so sachgemäß, formvollendet, geistreich und interessant geschrieben. Sie ist die Krone seiner schriftstellerischen Leistungen.
Schon Tillemont hat erkannt, daß die kühle Haltung der Christen bei den Festlichkeiten, Spielen und Illuminationen, welche aus Anlaß der häufigen Siege des Severus über auswärtige Feinde und innere Gegner aufeinander folgten, das Volk gereizt und die Mißstimmung des Kaisers erregt habe. Eine solche Haltung mußte namentlich in Afrika, der Heimat des Severus, auffallend sein, da man dort schon aus landsmännischem Interesse die siegreichen Fortschritte des Thronprätendenten mit der lebhaftesten Sympathie verfolgt haben wird. Es drohte eine Verfolgung und es erscholl der Ruf: Die Christen vor den Löwen! Zur Verteidigung seiner Glaubensgenossen verfaßte Tertullian eine Schutzschrift teils in der Hoffnung, der offiziellen Verfolgung vorzubeugen, teils in der Absicht, die Heiden und die Obrigkeiten, deren Aufmerksamkeit in der Zeit des Kampfes mehr als sonst auf das Christentum gerichtet war, mit der Wahrheit und Vortrefflichkeit der christlichen Religion bekannt zu machen. Sein Werk ist also, so sehr es auch auf Nachdenken und vorausgegangenem Studium ruht, dennoch keine bloß theoretische, wissenschaftliche Schrift, nicht das Werk eines Gelehrten, sondern eingegeben durch ein unmittelbar praktisches Interesse. |363 Daher nimmt es vielfach auf lokale und individuelle Vorgänge Rücksicht, bleibt aber nicht bei dem augenblicklichen und lokalen Interesse stehen, wie etwa die Schrift ad Scapulam, sondern genügt den allgemeinen Anforderungen an eine Schutzschrift für das Christentum überhaupt. Obwohl es stets das antike Heidentum im Äuge behält, so erhebt es sich doch zu universellen Gesichtspunkten. Es ist zudem ein gut abgerundetes, mit Witz und Satire gewürztes Werk, welches die damalige Lage der Christen wie kein anderes veranschaulicht.
Den Titel anlangend, hat man es früher in der Literaturgeschichte Apologetikus (λόγος ἀπολογητικός) genannt. Oehler hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Handschriften fast durchgehends die Form Apologetikum bieten und dieselbe in seiner Ausgabe zur herrschenden gemacht. Diese Änderung können wir adoptieren, müssen sie aber, wie die mehrfach vorkommende Nebenform Apologetikon beweist, für den griechischen Genitiv halten, der bei Büchertiteln häufig vorkommt, z. B. Bucolicon, Georgicon, also auch eigentlich ἀπολογητικῶν sc. liber sagen.
Verfaßt ist das Buch offenbar in Afrika und zwar in Karthago. Dafür spricht die häufige Erwähnung afrikanischer Gottheiten10), namentlich der dortigen Hauptgottheit, dea caelestis, d. i. Urania oder Astarte11), das Klima (coelum stetit, Apol. 40) und die sonstige Ausdrucksweise. Von Rom redend, gebraucht Tertullian entweder den Namen selbst oder den Ausdruck urbs12), hier aber redet er von einer civitas, ein Wort, dessen er sich zur Bezeichnung Roms nie bedient. Nova iam dei nostri in ista proxime civitate editio publicata est. Apol. c. 16. Ähnlich ist de resurr. c. 42 mit ista civitas Karthago gemeint. Er setzt endlich seinen Wohnort in förmlichen Gegensatz zu Rom13). |364
Die Abfassungszeit läßt sich aus den Erwähnungen gleichzeitiger Ereignisse, sowie der Schilderung der Gesamtsituation ziemlich genau eingrenzen. Wann Severus die Papischen Gesetze aufgehoben hat, wissen wir freilich nicht anzugeben, sonst würde sich aus der Erwähnung dieser Maßregel ein Schluß auf die Abfassungszeit ziehen lassen14). Die sonstige Zeitlage anlangend, war die Verfolgung bereits ausgebrochen, der Pöbel hatte gegen die Christen tumultuiert15), und es hatten bereits auch Verurteilungen von seiten der Obrigkeit stattgefunden16). Die bloße Tatsache, daß die Verfolgung schon im Gang war, als das Apologetikum geschrieben wurde, läßt jedoch den terminus ad quem noch unbestimmt. Darum ist es von Wert, daß wir noch eine Anspielung besitzen, welche Ereignisse aus der Regierung des Severus als gleichzeitig, beziehungsweise als eben geschehen bezeichnet, die uns auch anderweitig bekannt sind. Jedesmal nämlich, wenn Severus einen entschiedenen Erfolg über seine Gegner errungen hatte und Herr der Situation war, pflegte er einen umfassenden Racheakt vorzunehmen und, um seine Dynastie zu sichern, die Mitglieder der Gegenpartei auszurotten. Solche Vorgängedrückt aus die Stelle c. 35 sed et qui nunc scelestarum partium socii ac plausores quotidie revelantur, post vindemiam parricidarum17) racematio superstes. Indem die einzelnen Racheakte auseinander gehalten werden, bekommen wir bestimmten chronologischen Anhalt. Racheakte dieser Art fanden nämlich statt: zuerst an der Familie des Niger, sodann an den Anhängern des Albinus18). Weil dieses der ausgiebigste Racheakt der Art war, so paßt auf ihn der oben von Tertullian |365 gebrauchte Ausdruck vindemia parricidarum. Die Nachlese (racematio superstes) folgte bei der nächsten Gelegenheit; als Severus den Feldzug gegen die Parther siegreich beendigt hatte und nach Syrien zurückgekehrt war, rottete er auf Betreiben des Plautianus die noch in jenen Gegenden wirklich oder vermeintlich vorhandenen Überreste der Partei des Niger aus. Auch mehrere seiner Anhänger und eigenen Freunde, die er im Verdacht hatte, ihm nach dem Leben gestellt zu haben, fielen seinem Argwohn zum Opfer, womit die von He-rodian erwähnte Hinrichtung der Generale Laetus und Crispus gemeint sein dürfte. Endlich erwähnen beide, Tertullian und Spartianus, das Treiben, und infolge davon eine Verfolgung der Sterndeuter und Wahrsager in jener Zeit19). Diese Racheakte ereigneten sich also nach Beendigung des parthischen Feldzuges und werden sich nicht im Laufe weniger Tage, sondern nach und nach vollzogen haben20). Wir setzen die Schrift also in das Jahr 198.
Was die Adressaten angeht, an welche Tertullian seine Verteidigungsschrift richtete, so behauptet Eusebius, sie sei an den römischen Senat gerichtet gewesen21). Daß dies falsch ist, geht aus ihr selbst hervor. Denn Tertullian nennt die, an welche er seine Schrift adressiert, Romani imperii antistites, praesidentes, dominatores gentium und bezeichnet sie als solche, welche täglich den Vorsitz in gerichtlichen Verhandlungen führen22). Meistens aber tituliert er sie praesides23), und dies war die generelle Bezeichnung der höchsten römischen Provinzialobrigkeiten. Vom Senate dagegen spricht er, so oft er ihn erwähnt, in der dritten |366 Person24), während er die Adressaten fortwährend in der zweiteri anredet25). In der Hand der Prokonsuln lag es ja auch, ob sie die bestehenden Edikte streng ausführen oder ignorieren wollten; auf ihre persönliche Gesinnung kam faktisch alles an, sie konnten die Klagen gegen die Christen abschneiden und den Ausbrüchen der Volkswut entgegentreten, wovon Tertullian in dem Schreiben ad Scapulam Beispiele anführt. Der weit entfernte Senat dagegen konnte den Christen in den Provinzen nichts helfen. An eine so machtlose Körperschaft würde sich ein in Recht und Verwaltung so erfahrener Apologet wie Tertullian gewiß nicht gewendet haben.
Auf solche Leser ist also die Schutzschrift berechnet und darum der juristischen und politischen Seite der Sache soviel Aufmerksamkeit zugewendet worden. Die Prokonsuln verfuhren noch immer nach den Maximen, die Trajan in seinem Brief an Plinius ausgesprochen hatte, sie suchten zu konstatieren, ob jemand ein Christ sei und untersuchten dann nicht weiter, ob er als solcher eines oder das andere der vom Volke den Christen zur Last gelegten Verbrechen begangen hatte oder nicht. Juristisch betrachtet war dies, wenn auch dem Buchstaben des Reskriptes gemäß, ein allen gesunden Grundsätzen Hohn sprechendes Verfahren. Einen Angeklagten durfte man nur wegen wirklich und persönlich begangener Verbrechen verurteilen, nicht aber durfte man auf eine auf ihn angewandte Benennung hin ihm Verbrechen imputieren und ihn infolge davon verurteilen. Tertullian zeigt in drastischer Weise, daß letztere bloße Verleumdungen seien, wohl aber finde bei den Heiden Ähnliches statt (sog. retorsioj. Er begnügt sich nicht mit diesen bloß praktischen Nachweisen, sondern geht auf sämtliche Anklagen ein, die man auch von anderem Standpunkte aus gegen die Christen zu erheben pflegte, nämlich die Vernachlässigung des Kultes der Staatsgötter, was man Atheismus zu nennen pflegte, und Mangel an Verehrung gegen die Kaiser. |367
Das Apologetikum ist nach einer wohldurchdachten Disposition ausgearbeitet. Eine griechische Übersetzung desselben hat Eusebius an mehreren Stellen seiner Kirchengeschichte benutzt. Der Übersetzer ist unbekannt.
Scorpiace oder Mittel gegen den Skorpionstich. Um 203 n. Chr.
Die so betitelte Schrift wurde, wie der Autor deutlich zu erkennen gibt, zu einer Zeit geschrieben, als die Verfolgung in Karthago heftig wütete, gleichsam ihren Siedepunkt erreicht hatte. Wie zur Zeit der größten Hitze dort zu Lande die Skorpionen am häufigsten und gefährlichsten sind, so waren in der Hitze der Verfolgung die Häretiker am tätigsten und suchten den Gläubigen vorzuspiegeln, das Martyrium zu erleiden sei keine Pflicht, Christus dürfe man zwar nicht verleugnen, wohl aber dürfe man leugnen, ein Christ zu sein, und sich dadurch der Verfolgung entziehen. Als die Häretiker, welche es sich besonders angelegen sein ließen, die Gläubigen auf diese Weise zu betören, nennt er die Valentinianer, deren Irrlehren er ja in einer besonderen Schrift ausführlich dargelegt hat.
Die augenblickliche Lage der karthagischen Christen wird in folgenden Worten geschildert: "Es sind jetzt eben die Hundstage der Verfolgung. Die einen haben im Feuer, die ändern durch das Schwert, wieder andere vor den wilden Tieren die Probe als Christen bestanden, noch andere erst durch Schläge und Folterzangen einen Vorgeschmack des Martyriums gekostet, nach welchem sie in Ketten verlangen. Wir selbst werden wie die Hasen bei der Treibjagd von vielen umzingelt und die Häretiker schwärmen nach ihrer Weise herum" (Kap. 1).
Hieraus ist zu entnehmen, daß Tertullian persönlich in Gefahr war oder wenigstens belästigt wurde. Weiter unten Kap. 7 versichert er, auch er wünsche zu sterben, um ein wahrer Sohn der Weisheit zu werden. Wenn schon so viele Martyrien der verschiedensten Art in Karthago vorgekommen waren, so muß die Verfolgung eine längere Zeit dauernde gewesen sein und nicht bloß einer schnell vorübergehenden Aufregung des Pöbels ihren Ursprung verdankt haben. Dann aber kann es |368 keine andere als die Severianische gewesen sein, welcher auch Perpetua und Felicitas zum Opfer fielen.
Dieses Kriterium der Abfassungszeit wird verstärkt durch die Mitteilung, daß es dazumal in Karthago hoch herging. "Die eben stattfindenden Kampf spiele", heißt es Kap. 6, "diese streitvollen Festlichkeiten, die abergläubischen Wettkämpfe wurden stets in der heidnischen Welt mit großer Vorliebe gefeiert, wie man auch in Afrika wohl weiß. Noch immer lassen die einzelnen Städte der Provinz mit ihren Glückwünschen Karthago keine Ruhe, daß ihnen ein pythischer Wettkampf beschert ist usw." Spiele und Wettrennen gab es in Karthago wie in ändern großen Städten jedes Jahr, aber ein Jahr voll außergewöhnlich vielen Festlichkeiten war das Jahr 203, das zehnte Regierungsjahr des Severus.
In jenem Jahre heiratete Caracalla, und die Kaiser erwiesen der Stadt Karthago spezielle Gunstbezeugungen, weshalb die Münzen desselben Jahres die Umschrift: Liberalitas Augustorum in Carthaginem tragen26). Im folgenden Jahre erhielt Geta den Rang eines Caesar, pontifex maximus und princeps iuventutis. Das gab wiederum Veranlassung zu großartigen Festlichkeiten, von welchen die Geschichtschreiber berichten. Bei solchen Anlässen gab es Zirkusspiele, Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen, denen die gesamte Bevölkerung beizuwohnen nicht versäumte, und hier war dem heidnischen Pöbel Gelegenheit genug geboten, "die Christen vor den Löwen" zu schreien. Zu allem dem kam dann noch die offizielle Verfolgung der Christen infolge des Ediktes des Severus. Das waren schlimme Tage für die Christen. Die Häretiker aber machten sich dieselben zunutze, um in ihrer Weise Propaganda zu treiben. Besonders rührig waren die Valentinianer. Sie flüsterten den schwachen und vielleicht schon wankenden Gläubigen zu, das Martyrium zu leiden sei kein Gebot und das Bekennen, welches der Herr von seinen Gläubigen fordere, habe erst im Himmel zu geschehen. |369
Ihr Gebahren erregte den Unwillen Tertullians im höchsten Grade. Sie kamen ihm vor wie die Skorpione, die bei heißem Wetter ihren Schlupfwinkel verlassen and den Unvorsichtigen ihre giftigen Stiche beibringen. Er fühlte sich als seeleneifriger Lehrer gedrängt, die Arglosen zu warnen und verfaßte die Schrift, der er den Titel: "Arznei gegen den Skorpionstich" gab. Sie gehört zu den besten, die wir von ihm haben, und ist bei aller Strenge und Entschiedenheit doch frei von Übertreibungen. Sie wird also schon aus diesem Grunde in seine beste Zeit zu setzen sein.
Zu derselben Zeit, als Tertullian diese Schrift verfaßte, lag ihm der Kampf gegen die Gnostiker, speziell gegen die Valentinianer sehr am Herzen; er kannte ihre Lehrer genau und verspottete sie trotz der sehr ernsten Lage (Kap. 10 und 15). Das dürfte wohl ein Fingerzeig sein, daß Scorpiace und die Schrift gegen die Valentinianer sich zeitlich nicht ferne stehen. Man kann gegen die frühe Datierung (203 n. Chr.) nicht einwenden, daß sie nach den Büchern gegen Marcion verfaßt sein müsse, weil der Verfasser darin Kap. 4 und 5 seiner Bekämpfung Marcions gedenkt; denn die fünf Bücher gegen Marcion waren nicht der erste, sondern der dritte Angriff, den er gegen diesen Häretiker richtete (Adv. Marcion. 1.1) 27).
Tertullian beweist in Scorpiace aus beiden Testamenten die Pflichtmäßigkeit des Martyriums für alle Christen in Fällen wie der damalige. Aus diesem Grundgedanken erschließt sich folgende Disposition der Schrift: |370
A. Einleitung. Die Häretiker stellen das Martyrium als zwecklos und von Gott nicht gefordert hin, Kap. 1.
B. Abhandlung. Ankündigung des Themas, Kap. 2.
a) Das Bekennen Gottes vor den Heiden ist von Gott gefordert, weil notwendig und pflichtmäßig, Kap. 3 und 4.
b) Es ist vom moralischen Standpunkt betrachtet etwas Gutes und heilsam für die Gesamtheit, Kap. 5-14. Dies folgt 1. aus Stellen des Alten Testamentes, 2. aus Aussprüchen Christi und 3. aus den Ermahnungen der Apostel, Kap. 12-14.
C. Schluß. Das Vorbild der Apostel und Märtyrer in der Ertragung von Leiden.
Vom Kranze des Soldaten. 211 n. Chr.
Veranlassung zu der Schrift über den Kranz des Soldaten wurde eine Begebenheit, die sich in Karthago unter der Regierung des Severus zutrug. Eine den Soldaten bewilligte Geldspende kam im Lager zur Auszahlung. Die Soldaten traten der Gewohnheit gemäß mit Lorbeerkränzen auf den Köpfen hinzu, das Geld in Empfang zu nehmen. Einer davon, ein Christ, vielleicht ein Montanist, jedenfalls ein Rigorist, glaubte, den Kranz nicht aufsetzen zu dürfen, weil das eine heidnische Sitte sei, sondern trug ihn in der Hand. Er wurde bemerkt, vorgefordert, bekannte sich als Christ und wurde eingekerkert. Die Angelegenheit wurde von den Vorgesetzten des weiteren beraten und der höheren Instanz übergeben28). Darüber geriet die ganze Gemeinde in Besorgnis, man befürchtete, es könnte aus diesem Anlaß wieder eine Verfolgung ausbrechen und tadelte vielfach das Benehmen des Soldaten, da es der ganzen Konfession Ungelegenheiten bereiten könne.
Die Geldverteilung, um die es sich handelte, war eine sogenannte liberalitas imperatorum, eine große Geldspende des Severus und seiner Söhne, oder wenigstens des einen davon, wie sie die Kaiser nach glücklich beendigten Kriegen oder ähnlichen wichtigen Anlässen |371 der Armee bewilligten. Kleinere Geschenke, die bei geringeren Anlässen, Neujahrstagen, Geburtstagen usw. ausgeteilt wurden, hießen donativa und kamen öfter vor. Jene ersteren, die liberalitates, wurden als wichtige Ereignisse angesehen und infolge dessen regelmäßig auf den Münzen des betreffenden Jahres verewigt. Sie kamen vor unter Severus in den Jahren 203, 204, 208 und 211 unter Caracalla mit Geta29) nach dem britannischen Feldzug.
Das zweite Moment, die Abfassungszeit, zu bestimmen, liegt in der Bemerkung, daß dem betreffenden Vorfalle eine "schöne lange Zeit der Ruhe" vorausgegangen war. In den Jahren 203 und 204 war die Verfolgung am heftigsten, darum können die liberalitates dieser Jahre nicht herbeigezogen werden. Wegen desselben Ausdrucks longa pax entscheiden wir uns für 211, nicht für 208; denn die Verfolgung mag bis 206 gedauert haben. Überdies war Tertullian, als er diese Schrift abfaßte, bereits offen erklärter Montanist, was gleich aus dem Anfang hervorgeht30). Auch hatte er zu jener Zeit sein Werk über die Schauspiele nicht etwa bloß geschrieben, sondern es in griechischer Bearbeitung herausgegeben31), was auf eine ziemlich späte Zeit, jene Zeit hinweist, wo er wegen seiner Verbindungen mit den meistenteils griechisch redenden Montanisten für diese auch griechisch schrieb. Ebenso deutet der Umstand, daß die Soldaten mit Lorbeer bekränzt waren, darauf hin, daß ein errungener Sieg die Ursache der Spende war, also auf das Jahr 211.
Inhaltlich bietet die Schrift de corona ferner noch Berührungspunkte mit der De cultu feminarum und De testimonio animae, enthält aber doch keine Zitate dieser |372 Schriften. Sie selber ist wichtig vorzugsweise wegen der Art, wie sie sich über die Rechtskraft und Verbindlichkeit des Herkommens in Sitten und Gewohnheiten, also über das Traditionsprinzip in praktischer Beziehung äußert.
Den eigentlichen Gegenstand der Abhandlung betreffend, hatte Tertullian bereits im Apologetikum c. 42 gesagt, das Aufsetzen von Kränzen sei für den Christen in gewissen Fällen unstatthaft, sich aber nicht über den sonstigen Gebrauch von Blumen und Girlanden und selbst von Kränzen ausgesprochen32). Was den Soldatenstand angeht, so hatte er an der genannten Stelle das Faktum, daß Christen Soldaten wurden, erwähnt, ohne ein Urteil über Erlaubtheit oder Unerlaubtheit abzugeben. Er durfte auch in jener Schrift nicht wohl wagen, ihn als unerlaubt zu bezeichnen. Dagegen hatte er in der Schrift de idol. c. 19 bereits als unstatthaft erklärt, daß Christen den Soldatenstand ergriffen, obwohl die Gemeinen und die Unteroffiziere keine Opferhandlungen vorzunehmen hatten, sich also am Götzendienst aktiv zu beteiligen nicht in Gefahr standen. Die Praxis der Kirche aber war eine andere, sie verwehrte den Christen nicht, Soldat zu werden, oder es nach Empfang der Taufe zu bleiben. Somit trat Tertullian in dieser Schrift in der Bekämpfung sowohl des Kränzetragens als auch der Ergreifung des Soldatenstandes seitens der Gläubigen mit seinen eigenen, früher ausgesprochenen Ansichten nicht in Widerspruch, sondern sprach sie nur rückhaltsloser und entschiedener aus.
Sie ist also nach äußeren und inneren Gründen der ersten Hälfte seines montanistischen Auftretens, der gemäßigteren Periode zuzuteilen33). |373
Bemerkenswert ist in dieser Schrift Kap. 3 noch die Aufzählung einer Reihe von Gebräuchen und religiösen Übungen der damaligen Christen, für welche sich Belege oder Vorschriften aus der Hl. Schrift nicht erbringen lassen. Tertullian führt sie an um darzutun, daß sein Traditionsprinzip nicht bloß für die Lehren, sondern auch für die praktischen Übungen gelte, und das, was in der Kirche geübt werde, auch ohne Schriftbeweis gelte. Freilich, was er dann im folgenden gegen die Verwendung der Blumen zu Kränzen vorbringt, sind Sophismen, die einen kläglichen Eindruck auf den Leser machen. Wenn uns in dieser Schrift manches seltsam erscheint, so muß man sich vor Augen halten, daß Tertullian das Kränzetragen auf dem Kopfe schon seit langer Zeit (vgl. Apol. c. 42) für einen spezifisch und wesentlich götzendienerischen Gebrauch hält. Das ist eine seiner fixen Ideen, die übrigens auch andere damals mit ihm teilten, wie das Verhalten des Soldaten beweist, die aber bei ihm im Laufe der Zeit zum Axiom geworden war.
An Scapula. 212 n. Chr.
Nicht eine von langer Hand vorbereitete, sorgfältig Gusgearbeitete Schrift ist der Brief oder die Eingabe an den Prokonsul Scapula, sondern eine Gelegenheitsschrift, ein momentaner Erguß des Unwillens über die Verfolgung. In der großen Schutzschrift, die Tertullian zugunsten seiner bedrängten Glaubensgenossen verfaßt hatte, waren alle Vorwürfe und Anklagen, welche die Heiden gegen sie zu erheben pflegten, von theoretischem |374 Standpunkte aus vollständig zur Erörterung gelangt. In dieser zweiten kleinen Schutzschrift ist es nicht seine Absicht, nochmals darauf einzugehen34), er erinnert nur im Vorübergehen an die Hauptpunkte, die Anklagen auf Atheismus und Reichsfeindschaft, im übrigen argumentiert er hier mehr ad hominem, wie es ihm die Zeitumstände an die Hand geben. Er sucht nämlich den karthagischen Prokonsul Scapula, der Miene machte, die Christen seines Bezirkes zu verfolgen, mehr durch persönliche, lokale und ähnliche Motive davon abzuschrecken als theoretisch zu überzeugen. Somit gibt uns diese Schrift mancherlei Aufschluß darüber, wie sich in konkreten Verhältnissen die Lage der Christen inmitten der heidnischen Majorität gestaltete. Sie befanden sich auch in ruhigen Zeiten in steter Gefahr vor zwei Hauptfeinden, den hohen Staatsbeamten einerseits und dem verrotteten heidnischen Pöbel andererseits.
Über die Person dieses Scapula erfahren wir leider weiter nichts, als daß er Prokonsul der Provinz Afrika war, und daß er nebst seinen beiden Unterpräfekten von Mauretanien und Numidien die Christen schon verfolg! hatte und jetzt wieder verfolgen wollte. Wir kennen das Jahr seines Prokonsulats nicht. In Bezug auf die Zeitfrage ist entscheidend, daß von Severus in der Vergangenheit gesprochen wird35) und es gleich darauf heißt: Proculum, quem et Antoninus optime noverat lacte christiano educatus36); die genannten Männer, Kaiser Severus und Proculus, waren also offenbar zur Zeit nicht mehr am Leben, als Tertullian dies schrieb. Es fragt sich nun, ob der Äntoninus, von dem hier gesagt wird, er sei von einer christlichen Amme ernährt worden, notwendig Caracalla sein muß, der diesen Namen mit Vorliebe führte37). Freilich legte sich auch Heliogabal denselben noch bei38), ja er nannte sich offiziell, wie |375 seine Münzen zeigen, nur M. Aurelius Antoninus und Enkel des Severus39). Trotzdem ist kein Grund vorhanden, mit Jos. Scaliger40) anzunehmen, die Schrift ad Scapulam sei unter Heliogabals Regierung verfaßt worden, sondern man kann bei dem genannten Antoninus nur an Caracalla denken. Dieser hat, will Tertullian sagen, den längst verstorbenen Prokulus, den Freund seines nunmehr gleichfalls verstorbenen Vaters, den dieser bis zu dessen Tode im Palaste wohnen ließ, noch recht gut gekannt.
Vereinzelte Christenverfolgungen, auch in sonst ruhigen Zeiten, gehörten keineswegs zu den Unmöglichkeiten. Manchmal drängte wie im vorliegenden Fall der Pöbel dazu und ging auch wohl von selbst tätlich vor. Aus solcher Zeitlage ist dieses Werkchen hervorgegangen. Sein schriftstellerischer Charakter entspricht dem. Der Verfasser hat es nicht lange durchdacht und mit Kunst ausgearbeitet, wie er sonst zu tun pflegt, sondern im Drange augenblicklicher Not die sich aufdrängenden Gedanken nur so zusammengerafft und die Motive herbeigeholt, die etwa auf das Gemüt des grausamen Verfolgers ---- denn es ist überall nur von der Person des Scapula, nicht von der Reichsregierung die Rede ---- Eindruck machen können. Denn die Gefahr war dringend ---- Signa quotidie intentari videmus ---- und der Verfolger hafte schon früher Proben seiner Grausamkeit abgelegt. Der Ton des Schriftchens ist gemäßigter als im Apologetikum, resigniert, ja fast kleinlaut zu nennen.
Unter den Konsuln, die während der Regierungszeit des Severus füngierten, kommt ein Scapula Tertullus im Jahre 195 vor41). Natürlich war er ein Anhänger des Severus und seines Hauses, sonst wäre er nicht Konsul unter ihm geworden. Es steht also der Annahme nichts im Wege, daß derselbe unter den Söhnen des Severus die Statthalterschaft von Afrika erhalten |376 habe und mit unserem Scapula ein und dieselbe Person sei.
In dieser Schrift wird eine Sonnenfinsternis erwähnt, welche sich während des Prokonsulates des Scapula ereignete und welche in Utica sichtbar war. Da die Schrift, wie oben gezeigt, nach dem Tode des Severus und unter Caracalla (Antoninus) verfaßt ist, so kann wohl nur die vom 14. August 212 hier in Betracht kommen42).
Bemerkenswert ist die Art, wie sich Tertullian Kap. 2 für das Recht der Glaubens- und Kultusfreiheit des einzelnen ausspricht. Ebenda schätzt er die Zahl der Christen seiner Zeit in den Städten auf die Hälfte der Einwohnerschaft, was im besten Fall höchstens bei Karthago zutreffen dürfte.
Entsprechend der Entstehung und Natur dieser Schrift wird Tertullian hier persönlich. Während er sonst in seinen vielen Schriften auf Personen nur von fern hinweist, kaum jemals einen Namen nennt und uns mit keinem Bischof, keinem Kleriker der Kirche von Karthago, geschweige denn von Nordafrika begannt macht, begegnen wir hier einer Menge von Eigennamen von Personen, die er zum Teil gesehen und gekannt hat, und er schildert uns die Stimmung der christlichen Bevölkerung verschiedener Gegenden.
Über das Fliehen in der Verfolgung. An Fabius. 212 n. Chr.
In dieser Schrift wird die Gewohnheit der damaligen Christen, bei Ausbruch einer Verfolgung sich ihr durch die Flucht zu entziehen oder sich durch Bestechung der Polizeisoldaten Sicherheit zu erkaufen, auf ihre moralische Erlaubtheit untersucht und im Sinne des montanistischen Rigorismus und im bewußten Gegensatz gegen die kirchliche Anschauung negativ |377 entschieden. Die Schrift de fuga ist aber nicht rein theoretisch, sondern verdankt einer praktischen Veranlassung, nämlich dem Ausbruch einer Verfolgung in Afrika, ihre Entstehung. Das Fliehen hatte Überhand genommen und war, wenn wir Tertullian glauben dürfen, in ein vollständiges Ausreißen ganzer Gemeinden ausgeartet, Bischöfe und Kleriker mit eingeschlossen. In einer Grenzprovinz wie Afrika war dies ohnehin ja verhältnismäßig leicht, und so läßt es sich denken, daß dies Mittel oft ergriffen wurde.
Tertullian glaubte dem entgegentreten zu müssen and richtete zu diesem Zwecke an den Katholiken Fabius einen Traktat, worin er die Flucht in der Verfolgung als unerlaubt hinzustellen sich bemüht. Die Verfolgung sei, weil von Gott gewollt, etwas in sich Gutes, dem man also nicht ausweichen dürfe. Die ausdrückliche Erlaubnis des Herrn Matth. 10, 23 glaubt er beseitigt zu haben, indem er sie als den Aposteln bloß persönlich gegeben und auf das Land Judäa beschränkt hinstellt. Das Bestechen der Polizei wird ebenfalls für unerlaubt erklärt.
In Betreff der Flucht setzt sich der Autor hier in Widerspruch mit seinen eigenen Behauptungen aus früherer Zeit, indem er sie in der Schrift ad uxorem43) noch für erlaubt erklärt hatte. Er setzte sich aber auch in Widerspruch mit der Ansicht und der Praxis der damaligen Kirche, welche, gestützt auf den Ausspruch des Herrn, die Flucht allgemein für erlaubt hielt. Schon aus diesen Gründen ist der Traktat de fuga der späteren Periode zuzuweisen. Die Kluft, welche der Montanismus zwischen ihn und die Kirche gelegt hatte, war, als er so schrieb, schon eine große und die Trennung eine vollständige. Entscheidend für den ausgesprochen montanistischen Standpunkt des Verfassers sind besonders Kap. 9 und Kap. 14. Kap. 9 führt er sogar Stellen aus dem Spruchbuche des Montanus als Aussprüche des Paraklet an und setzt sie den hl. Schriften gleich. Die Katholiken und auch der Adressat Fabius sind ihm. |378 Leute, die sich im Paraklet nicht auskennen44). Der Ton ist aber trotzdem im Vergleich mit den folgenden Streitschriften immer noch ein gemäßigter zu nennen und die Schrift im ganzen, abgesehen von der verfehlten Grundidee, anziehend und belehrend, indem sie in das Leben der damaligen Christen während der Verfolgungen interessante Einblicke gewährt.
Sie ist während der Verfolgung selbst geschrieben45), welche schon lange gedauert hatte oder doch nicht mehr die erste in Afrika war. Dies folgt daraus, daß von dem schon vollendeten Märtyrer Rutilius gesagt wird, er sei oftmals geflohen46). Jene Verfolgung kann daher keine andere sein, als die unter Caracalla von Scapula in Afrika erregte. Dieselbe ist, wie wir oben nachgewiesen haben, in das Jahr 212 zu setzen, und in dieses Jahr wird auch die Schrift de fuga fallen. Sie bietet außerdem mit der Abhandlung de carne Christi sachliche Berührungspunkte, indem sie Kap. 8 der auch dort bekämpften Häretiker gedenkt mit dem Zusätze: Ut quidam nunc induxerunt.
1. 1) Spartianus. Vita Severi c. 17.
2. 1) Ob er der Verfasser der in den Digesten erwähnten Schrift de officio proconsulis war, läßt sich zwar nicht beweisen, wird aber neuerdings wieder von L. Duchesne angenommen. Hist. anc. de l'eglise I S. 394.
3. 2) Scap. c. 4; auch die Form Torpeion findet sich in den Handschriften. Ich vermute, daß er ein Landsmann des Severus, also ein Libyer war.
4. 1) Zahlreiche Parallelstellen sammelte Rauschen a. a. O. 33 ff.
5. 2) Es heißt im Gegenteil I 6 : Legis injustae honor nullus est. Ut opinor autem, dubitatur de iniquitate legum quarundam, cum quotidie novis consultis constitutisque duritias nequitiasque earum temperatis. Allerdings ist hier von den Gesetzen im allgemeinen die Rede. Allein zur Zeit einer Verfolgung würde der Ausdruck anders ausgefallen sein.
6. 1) Scitis et dies conventuum nostrorum. Ad nat. I 7.
9. 2) Nobis negotium est adversus institutiones maiorum, auctoritates receptorum, leges dominantium, argumentationes prudentium, adversus vetustatem consuetudinem necessitatem, adversusexempia prodigia miracula quae omnia adulterinam istam divinitatem corroboraverunt II 1.
12. 3) Hoc aiunt Romae factum. Apol. 7; in illa religiosissima urbe Aeneadarum Apol. 9.
13. 4) Longe excurro. Hodie istic Apol. 9.
15. 2) Apol. 35. Vgl. die Präsentia erogamur und impendimur c. 44.
16. 3) Apol. 50. Nam et proxime ad lenonem damnando christianam potius quam ad leonem confessi estis etc.
17. 4) So nannte man in der Zeit des Severus gern die Hochverräter. Parricidales insid [iatores] kommt auch auf einer Inschrift vom J. 200 oder 206 vor. Corp. inscr. III. 427. Dies Ereignis selbst fällt Ende 197 oder Anfang 198.
18. 5) Spartian vita Severi c. 19.
19. 1) Spartian, c. 15; cfr. Tert. apol. c. 35 et qui astrologos et haruspices et augures et magos de Caesarum capite consultant.
20. 2) Quotidie revelantur sagt Tertullian.
22. 4) Apol. c. 44 und am Schluß.
23. 5) Digesta lib. I tit. 18 heißt es über den Titel Praeses: Praesidis nomen generale est, eoque et proconsules et legati Caesaris et omnes provincias regentes, licet senatores sint, praesides appellantur; proconsulis appellatio specialis est.
24. 1) Zweimal Ap. c. 5 u. 13.
25. 2) Besonders in den Schlußkapiteln, welche die Sache ganz außer Zweifel stellen. Z. B. boni praesides c. 50. c. 30.
26. 1) Arneth, Synopsis nummorum Rom. I 333. Cohen, Description hist. des monnaies etc. 2tom IV 34 n. 293, wo freilich. der Zusatz in Carth. ausgelassen ist.
27. 1) Kellner hält hier an dem früher von ihm verteidigten Ansatz der Schrift Scorpiace in die Zeit der Severusverfolgung fest. Unmöglich ist dieser Ansatz nicht; aber die vorgebrachten Gründe sind nicht entscheidend. Nichts spricht dagegen, die Schrift in die Zeit der Scapulaverfolgung zu setzen. Da die Schrift gegen die Gnostiker gerichtet ist, so forderte sie kein deutliches Bekenntnis zum Montanismus. Indes, eine genauere Prüfung zeigt, daß die Beweisführung vom Willen Gottes aus in Scorpiace sich eng berührt mit dem gleichen Gedankengang in de fuga. Auch erklärt sich der Hinweis des 5. Kap. auf adv. Marc. lib. II. leichter, wenn die Schrift in der Verfolgung unter Scapula geschrieben ist.
28. 1) Suffragia exinde, et res ampliata, et reus ad praefectos.
29. 1) Cohen a. a. 0. pag. 32-34, sowie 156-159. Für unseren Fall kommt in Betracht Nr. 130 S. 157 mit der Umschrift Lib. Augg. VI et V. Caracalla und Geta sind auf einer Estrade sitzend dargestellt Jahr 964 u. c. = 211 n. Chr. Es ist das also die Liberalität, welche Caracalla mit Geta nach dem britannischen Feldzuge austeilen ließen. Die Datierung der Schrift auf 211 ist heute allgemein angenommen.
30. 2) Prophetias respuerunt De cor. 1.
33. 2) Der Gegensatz zur Kirche tritt indes deutlich in cap. l zu Tage. Von den Bischöfen heißt es: Novi et pastores eorum, in pace leones, in proelio cervos. Bei der Erwähnung der Urteile, die von katholischer Seite über die Handlungsweise des Soldaten laut wurden, bemerkt er gehässig: Exinde sententiae super illo, nescio an christianorum, non enim aliae ethnicorum. Noch gehässiger ist die Bemerkung: Plane superest, ut etiam martyria recusare meditentur, qui prophetias eiusdem Spiritus sancti respuerunt. Damit will er seine katholischen Gegner den das Martyrium, befeindenden Gnostikern an die Seite stellen (vgl. Scorpiace). In der Einleitung zu de corona stellt Tertullian andere Streitschriften in Aussicht (De quaestionibus confessionum alibi docebimus). Daß vor allem an die Schrift de fuga gedacht ist, beweist der vorhergehende Satz: Nec dubito quosdam . . . fugae accingi de civitate in civitatem. Nullam enim aliam evangelii memoriam curant. (Er denkt an die Stelle Matth. 10, 23.) De corona blickt also schon auf de fuga hin, und zur Beurteilung des damaligen Standpunktes Tertullians gehören beide Schriften zusammen. Jedenfalls war der innerliche Bruch mit der Kirche vollendet.
34. 1) Longum est, si retexamus, cap. 2.
35. 2) Ad Scap. 4. Ipse etiam Severus, pater Antonini, christianorum memor fuit.
37. 4) Tillemont, memoires t. III note 21.
38. 5) Script. hist. Aug. I pag. 185.
40. 2) Animadv. in Eus. chron. p. 229, s. Öhler Tert. I p. 548 Anm.
41. 3) Corp. inscr. Lat, III 4407.
42. 1) Vgl. J. Schmidt, Ein Beitrag zur Chronol. der Schriften Tertullians und der Prokonsuln von Afrika: Rhein. Museum für Philol. N. F. 46, 1891, 77-98.
44. 1) De fuga I. Penes vos qui paracletum non recipiendo etc. "Penes vos" zeigt deutlich, daß Tertullian sich als Wortführer einer Partei fühlt, die zu der weit größeren Zahl der Gemeindemitglieder (cap. 14 nennt er sie "turbae") in Opposition steht und in dem Satz: sit tibi et in tribus ecclesia cap. 14 ist der in den späteren Streitschriften so scharf betonte montanistische Kirchenbegriff bereits klar ausgesprochen.
45. 2) Ibid. 1. Haec pala illa, quae et nunc dominicam arcam purgat.
Übersetzt von Heinrich Kellner, 1912/1915. Übertragen durch Roger Pearse, 2002.
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