|s375/721
[Übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner]
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Inhalt:
17. Kap. Auch in seinen übrigen Briefen äußert sich der Apostel Paulus über die. Unzuchtsvergehen in einem so strengen Tone, daß man sieht, er will, der Christ soll ein für allemal mit ihnen gebrochen haben. Das heißt soviel, als er erklärt den Ehebruch für unvergebbar.
18. Kap. Wenn die Psychiker einwenden, die |s377/723 angeführten Schriftstellen hätten nicht die ihnen hier beigelegte Tragweite, so gibt es noch viele andere Stellen, in welchen der Ehebruch speziell und namentlich verdammt wird. Ehebrecher dürfen daher die Kirchengemeinschaft niemals wieder erhalten, obwohl sie zur Buße zuzulassen sind und Buße tun sollen.
1. Die Ehrbarkeit1), diese Blüte der Moralität, dieser Ehrenschmuck des Leibes, diese Zierde beider Geschlechter, welche das Geblüt vor Verderbnis bewahrt und Zweifel über die Abstammung fernhält2), dieses Fundament der Heiligkeit, dieses allgemein anerkannte Zeichen einer guten Gesinnung -- obwohl sie selten ist, schwer zur Vollkommenheit gedeiht und kaum jemals |s378/724 Beständigkeit hat, so wird sie sich doch in gewissem Grade auch in der Welt finden, wofern die Natur den Grund dazu legt, die Erziehung dazu anleitet und die sittliche Strenge dazu hintreibt. Denn alles geistige Gute kommt entweder von der Natur oder durch Unterricht oder durch Zwang. Allein, wie es denn das Kennzeichen der letzten Zeiten ist, das Böse gewinnt mehr und mehr die Oberhand, und das Gute darf bereits gar nicht einmal mehr von Natur entstehen, -- so sind schon die Wurzeln verdorben -- und nicht mehr durch Unterricht befördert -- so verwahrlost sind die Studien -- und nicht mehr durch Zwang erwirkt werden -- so machtlos ist das Rechtswesen. So ist es denn auch mit der Tugend, worüber wir jetzt zu handeln beginnen, bereits so weit gekommen, daß man nicht mehr die Losschälung von den Wollüsten, sondern schon das bloße Maßhalten darin für Züchtigkeit hält, und bereits den für keusch genug hält, der nicht allzu unkeusch gewesen ist. Doch überlassen wir mit der Welt selbst auch ihre Ehrbarkeit sich selber, mit ihrer Anlage, wenn sie der Natur, mit ihrer Strebsamkeit, wenn sie dem Unterricht, mit ihrer Dienstbarkeit, wenn sie dem Zwang ihr Dasein verdankte. Freilich, sie würde noch unglücklicher sein, wenn sie Bestand hätte; denn sie ist ohne Früchte, da sie nicht bei Gott ihren Wert sucht. Ich will lieber gar kein Gut als ein eitles. Was nützt es, das zu sein, was zu sein doch nichts nützt?
Mit dem Bestände unserer Güter geht es bereits auf die Neige; sogar die Grundlage der christlichen Ehrbarkeit wird erschüttert, die doch alles vom Himmel entnimmt, ihr Wesen aus dem Bad der Wiedergeburt, ihre Anleitungen aus den Urkunden des Evangeliums, ihre Strenge aus den Urteilen in beiden Testamenten, eine Strenge, die fester greift wegen der Furcht vor dem ewigen Feuer und dem Verlangen nach der ewigen Herrschaft. Hätte ich wohl zu ihrem Nachteil stillschweigen können?3) Ich höre nämlich, daß ein Edikt |s379/725 veröffentlicht worden ist, und zwar eine Definitivsentenz, Der oberste Pontifex, das ist der Bischof der Bischöfe erklärt: „Ich vergebe auch die Sünden des Ehebruchs und der Hurerei denen, die Buße getan haben”4).
Unter dieses Edikt kann man nicht schreiben: Recht so, wohlgetan! Und wo wird diese Liberalität öffentlich bekannt gemacht? Vermutlich sofort in den Lasterhöhlen unter den Aushängeschildern der Bordelle! Dort muß diese Art Buße promulgiert werden, wo die Sünde selbst ihr Wesen treibt, dort sollte von diesem Nachlaß zu lesen sein, wo man mit der Hoffnung auf ihn eintritt. Doch nein! Es steht in der Kirche zu lesen, in der Kirche wird es proklamiert, und die Kirche ist doch eine Jungfrau, Fort mit einer solchen Ankündigung, fort von der Braut Christi! Sie, die da die wahre, die keusche, die heilige ist, darf nicht einmal dadurch befleckt werden, daß sie so etwas hören muß. Sie hat keine Leute, denen sie ein solches Versprechen geben könnte, und wenn sie welche haben sollte, so gibt sie es ihnen nicht. Denn selbst der irdische Tempel Gottes konnte vom Herrn wohl als eine Räuberhöhle bezeichnet werden, aber nicht als eine Höhle der Ehebrecher und Hurer.
Es wird also auch diese Schrift5) gegen die Psychiker gerichtet sein, wie auch gegen meine frühere Ansicht, die ich mit ihnen gemein hatte, weshalb sie mir |s380/726 dieses um so mehr als Zeichen leichtfertiger Sinnesänderung vorwerfen können. Allein das Ausscheiden aus einer Gesellschaft berechtigt niemals von vornherein zum Schluß auf ein Vergehen, als ob es nicht leichter sei, mit mehreren zu irren, da doch die Wahrheit mit wenigen geliebt wird. Diese heilsame Leichtfertigkeit wird mir keine größere Schande bringen, als mir die schädliche Ruhm brachte. Ich schäme mich des abgelegten Irrtums nicht; ich freue mich vielmehr, davon freigeworden zu sein, da ich finde, daß ich nun besser und ehrbarer bin. Niemand schämt sich, wenn er einen Fortschritt gemacht hat. Auch die Wissenschaft in Christo hat ihre Altersstufen, ein Entwicklungsgang, den selbst der Apostel durchmachte. ,,Da ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind; da ich aber ein Mann geworden bin, habe ich, was des Kindes war, beiseite getan”6). Folglich hat er sich von seinen früheren Meinungen abgewendet und darum doch keinen Fehler Begangen, wenn er ein Eiferer wurde nicht mehr für die Traditionen der Väter, sondern für die christlichen, und sogar wünschte, daß die, welche die Beibehaltung der Beschneidung befürworteten, weggeschnitten würden7). Möchte dies doch auch mit denen geschehen, welche die echte und wahre Unversehrtheit des Fleisches abschwächen, und welche nicht etwa bloß die Oberfläche, sondern das innerste Wesen der Schamhaftigkeit selbst hinwegschneiden, indem sie den Ehebrechern und Hurern Vergebung verheißen, im Gegensatz zur sittlichen Grundlage des Christentums, für welche die Heidenwelt selbst ein so lautes Zeugnis ablegt, daß sie dieselbe bei unseren Frauen manchmal weniger durch Martern, als mit Befleckungen des Leibes zu bestrafen sucht, und ihnen das entreißen will, was sie höher stellen als ihr Leben8).
Allein dieser Ruhm ist bereits am Erlöschen, und zwar mit Schuld derer, welche solchen Makeln um so beharrlicher die Vergebung hätten verweigern müssen, |s381/727 weil sie, um nicht dem Ehebruch und der Hurerei zu erliegen, so oft Ehen eingehen, als sie Lust haben, da es ja besser sei, „zu heiraten als Brunst zu leiden”9). Natürlich, der Enthaltsamkeit wegen ist die Unenthaltsamkeit notwendig, der Brand soll mit Feuer gelöscht werden! Warum also gewähren sie nachher nach geleisteter Buße noch Vergebung für Verbrechen, für welche sie das Heilmittel im voraus festgesetzt haben in dem Rechte wiederholter Eheschließung? Denn einerseits das Heilmittel im voraus festgesetzt haben, in dem die Verbrechen Nachsicht finden, und andererseits werden die Verbrechen bleiben, wenn die Heilmittel keinen Zweck mehr haben10). So treiben sie denn nach beiden Seiten hin ein Spiel mit der Vorsorglichkeit und mit der Sorglosigkeit dadurch, daß sie in ganz vergeblicher Weise Vorsorge treffen gegenüber solchen Verbrechen, die sie doch schonend behandeln11), und in höchst alberner Weise Schonung üben in Bezug auf solche, gegen die sie Vorsorge treffen, obwohl man doch keine Vorsorge zu treffen braucht da, wo man schont, oder nicht schonen sollte, wo man Vorsorge trifft. Ihre Vorbeugungsmaßregeln erwecken den Schein, als wollten sie nicht, daß das in Frage stehende Vergehen vorkomme, ihre Nachsicht aber den Schein, als wollten sie doch, daß es vorkomme, obwohl sie doch, wenn sie das Vorkommen verhüten wollen, keine Verzeihung gewähren dürfen, wenn sie aber verzeihen wollen, keine Vorsorge zu treffen brauchen. Man darf doch nicht Ehebruch und Hurerei zu den kleinen und gleichzeitig zu den größten Vergehen12) rechnen, so daß beides auf sie Anwendung finde, |s382/728 sowohl die Sorgsamkeit, die Vorsorge trifft, als auch eine gewisse Unbesorgtheit13), die Verzeihung gewährt. Da aber beides Fehltritte sind, die auf dem Höhepunkt der Sündhaftigkeit stehen, so geht es nicht an, sie nachzulassen, als wären sie bloß kleine Vergehen, und zugleich sie zu verhüten, als wären sie die größten Vergehen.
Bei uns dagegen trifft man gegen sie, als gegen die größten und schlimmsten Fehltritte, schon in der Weise Vorsorge, daß man nicht erlaubt, nach Annahme des Glaubens an eine zweite Heirat zu denken, da sie sich von Ehebruch und Hurerei höchstens durch den Heirats- und Dotalvertrag unterscheidet, und darum schließen wir mit der größten Strenge die Digami, als welche dem Paraklet Unehre bereiten, aus, infolge der hohen Stufe unserer Sittenzucht. Genau dieselbe Türschranke14) setzen wir den Ehebrechern und Hurern; sie werden nur wirkungslose Tränen vergießen, durch die sie den Frieden nicht zu erlangen vermögen, und nichts weiter von der Kirche erreichen, als eine Bekanntmachung15) ihrer Schande.
2. Gott ist aber, wendet man ein, der Gute, ja der Beste, mitleidig, der Erbarmer und reich an Barmherzigkeit, die er jedem Opfer vorzieht; er zieht die |s383/729 Bekehrung des Sünders dem Tode desselben vor16); er ist der Heilbringer für alle Menschen und besonders für die Gläubigen17). Darum werden wir Kinder Gottes auch mitleidig und friedfertig sein müssen, einander vergebend, wie auch Christus uns vergeben hat, nicht richten, damit wir nicht gerichtet werden18). Denn nur seinem Herrn steht und fällt man. „Du aber, wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest”19). „Vergib, und es wird dir vergeben werden”20).
Von solcher Art sind die häufigen Ausreden, womit sie Gott schmeicheln und sich selbst etwas vormachen und wodurch die Sittenzucht mehr entkräftet als gestärkt wird. Wir sind imstande, sie mit ebensoviel gegenteiligen Stellen abzuwehren, welche die Strenge Gottes einschärfen, und Standhaftigkeit von uns fordern. Obwohl Gott von Natur gut ist, so ist er doch auch gerecht. Je nachdem die Sache liegt, versteht er, wie zu heilen, so auch zu schlagen; er bewirkt Frieden, er befiehlt aber auch das Unglück. Die Buße ist ihm freilich lieber, aber er befiehlt auch dem Jeremias, nicht mehr für das sündige Volk zu beten, „Wenn sie auch fasten, so werde ich ihre Bitten nicht erhören.” Und wiederum: „Auch du sollst nicht anbeten für das Volk und nicht für sie bitten in Flehen und Gebet; denn ich werde sie nicht erhören zur Zeit, wo sie mich anrufen, in der Stunde ihrer Trübsal,” Und kurz vorher sagt der, welchem Erbarmung lieber ist als Opfer: „Du sollst mich nicht anrufen für dieses Volk, und nicht Erbarmen für sie verlangen und nicht für sie vor mich treten; denn ich werde sie nicht erhören”21), jedenfalls auch wenn sie um Erbarmung flehen, wenn sie aus Reue weinen und fasten und ihr Leiden Gott darbringen. Denn Gott ist ein Eiferer und läßt seiner nicht spotten, nämlich von denen, die sich mit seiner Güte schmeicheln, und der, obwohl gütig, doch durch Isaias das Ende |s384/730 seiner Geduld androhen läßt: „Ich habe geschwiegen; werde ich vielleicht stets schweigen und dulden ? Ich habe geruht wie eine Gebärende; ich werde mich aufmachen und sie verdorren machen”22). „Denn Feuer wird hergehen vor seinem Angesichte und seine Feinde verzehren, nicht bloß den Leib tötend, sondern auch die Seele zur Hölle”23). Wie der Herr denen droht, die richten, das zeigt er selber. „Mit welchem Gerichte ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden”24). Somit hat er nicht verboten zu richten, sondern Anleitung dazu gegeben. Daher spricht denn auch der Apostel ein Urteil, und zwar in Sachen der Hurerei, man müsse einen solchen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben des Fleisches, und schilt darüber, daß die Brüder sich nicht von den Heiligen Recht sprechen ließen25). Denn er fügt hinzu: „Warum sollte ich jene richten, die draußen sind”26).
Du vergibst aber nur, um von Gott Vergebung zu erlangen. Es werden nur die Vergehen abgewaschen werden, die jemand gegen seinen Bruder, nicht die, welche er gegen Gott begangen hat. Daß wir endlich unsern Schuldnern nachlassen wollen, das bekennen wir im Vaterunser. Aber es geziemt sich für uns nicht, aus Autoritäten von Schriftstellen wie diese noch weiter ein Haderseil zu spinnen und es hin- und herzuzerren, so daß es den Anschein gewinnt, als wenn die einen die Zügel der Disziplin anzögen, die ändern sie schießen ließen wie bei einer Ungewissen Sache und als wenn die einen die Hilfsmittel der Buße durch Milde vergeuden, die ändern sie durch Strenge verweigern. Vielmehr bewahrt einerseits die Autorität der Hl. Schrift ihre feste Geltung in ihren Bestimmungen, ohne daß die eine der ändern widerspricht, und andererseits möge das Hilfsmittel der Buße genau begrenzt werden nach den ihm zukommenden Bedingungen, ohne daß unterschiedslose Zulassung stattfände, und vorerst ihre Objekte selbst |s385/731 durch eine genaue Einteilung unterschieden werden, ohne sie zu verwirren.
Als Objekte der Buße bezeichnen wir die Vergehungen. Diese teilen wir ihrem Endverlauf nach zwiefach ein; die einen sind nachlaßbar, die ändern nicht. Demgemäß ist es niemand zweifelhaft, daß die ersteren eine Züchtigung verdienen, die letzteren hingegen die Verdammnis. Jedes Vergehen findet entweder in der Vergebung seinen Abschluß oder in der Strafe; in der Vergebung als Folge der Züchtigung, in der Strafe als Folge der Verdammung.
In Betreff dieses Unterschiedes haben wir bereits gewisse, den Gegensatz hervorhebende Schriftstellen vorausgeschickt, wonach die Vergehungen bald behalten, bald nachgelassen werden. Aber auch Johannes wird uns dies sagen: „Wenn jemand weiß, daß sein Bruder eine Sünde begangen hat, die nicht zum Tode ist, so mag er bitten, und es wird das Leben demjenigen gegeben werden, der nicht zum Tode gesündigt hat” -- das wäre die nachlaßbare Sünde --, „es gibt aber auch eine Sünde zum Tode, nicht für diese, sage ich, soll jemand bitten”27) -- das wäre die unvergebbare Sünde, Wo also Raum bleibt für die Bitte, da auch für das Vergeben; wo aber kein Raum für die Bitte, da ebensowenig für das Vergeben.
Entsprechend dieser Verschiedenheit der Sünden, verhält es sich mit der Buße verschieden. Eine andere wird die sein, welche Verzeihung erzielen kann, nämlich bei einer nachlaßbaren Sünde, eine andere die, welche keine Vergebung erzielen kann, nämlich bei. einer unvergebbaren Sünde. Es erübrigt nun, speziell über das Wesen des Ehebruchs und der Hurerei eine Untersuchung anzustellen, welcher Klasse von Sünden sie zugeteilt werden müssen.
3. Vorerst will ich jedoch eine Entgegnung erledigen, die von der Gegenpartei erhoben wird in Bezug auf diejenige Art von Buße28), von der wir aufs |s386/732 bestimmteste erklären, daß sie ohne Verzeihung bleibe. Man wendet uns nämlich ein: Wenn irgendeine Buße29) ohne Vergebung bleibt, so braucht man sie überhaupt nicht zu üben. Denn man soll nichts Vergebliches tun. Vergeblich würde man nun sich der Buße unterziehen, wenn sie ohne Vergebung bliebe. Man solle aber jede Art Buße üben; folglich wird auch jede Buße Nachlassung bewirken, damit sie nicht vergeblich geübt werde; denn man würde keine Verpflichtung haben sie zu üben, wenn sie vergeblich geübt würde. [Sie wird aber vergeblich geübt, wenn sie ohne Nachlaß bleibt.]
Mit Recht erheben sie diesen Einwand, da sie auch die Frucht dieser Buße30), d, h, die Verzeihung, als zu ihrer Machtvollkommenheit gehörend in Anspruch genommen haben31). Was jene angeht, von welchen man die bloß menschliche Versöhnung erlangt32), so wird sie allerdings vergeblich verrichtet werden, bei uns aber, die wir nicht vergessen, daß Gott allein die Sünden, jedenfalls die Todsünden, nachläßt, wird sie nicht vergeblich geübt werden. Dem Herrn anheimgegeben und infolge dessen vor ihm hingeworfen, wird diese Buße um so eher Verzeihung erwirken gerade darum, weil sie dieselbe bloß von Gott erfleht, weil sie nicht glaubt, daß für ihr Vergehen die menschliche Versöhnung ausreiche, und es vorzieht, vor der Kirche Beschämung zu erdulden, als Gemeinschaft mit ihr zu besitzen. Denn sie steht draußen vor ihren Toren und gereicht durch das Beispiel ihrer Verdemütigung den übrigen Brüdern zur Warnung, ruft auch zu ihren Gunsten die Tränen |s387/733 der Brüder hervor, und hat, wenn sie nach Hause geht, mehr erreicht, nämlich Mitleiden, wenn auch nicht die Gemeinschaft. Und wenn sie hienieden auch die Versöhnung nicht einerntet, so säet sie dieselbe doch aus vor dem Herrn; sie verliert deren Frucht nicht, sondern bereitet sie vor; der Gewinn wird ihr nicht fehlen, wenn sie in ihrer Pflichtleistung nicht müßig werden wird. Und so ist denn auch eine solche Buße keine törichte und eine derartige Disziplin keine harte. Beide gereichen Gott zur Ehre. Die eine wird um so eher etwas erreichen, als sie sich nicht mit etwas schmeichelt, und die andere um so vollständiger helfen, als sie sich nichts anmaßt.
4. Wir können also, nachdem wir hinsichtlich der Buße die nötige Unterscheidung eingeschärft haben, nunmehr zur Beurteilung der Sünden selbst zurückkehren, um zu sehen, ob die genannten Sünden so sind, daß sie von Menschen Verzeihung erlangen können. Fürs erste verlangt es der Gebrauch, was wir als Ehebruch und Hurerei bezeichnen33). Es sind auch der Theologie gewisse Bezeichnungen geläufig. So halten wir in jeder Schrift am Gebrauch fest. Übrigens, wenn ich mich der Ausdrücke Ehebruch und Hurerei bediene, so ist das nur ein Schuldtitel für fleischliche Befleckungen. Denn es macht keinen Unterschied, ob sich jemand an einer Verheirateten34) oder an einer Witwe vergreift, da sie nicht seine Frau sind, wie es auch auf den Ort nicht ankommt, ob die Schamhaftigkeit in einem Schlafgemache oder unter der Stadtmauer gemeuchelt wird. Jeder Mord, auch außerhalb des Waldes, ist ein Raub35). So begeht also jeder, wo und mit welcher Person immer es |s388/734 geschehe, Ehebruch und Hurerei an sich selbst, wer anders als innerhalb der Ehe Umgang hat. Daher laufen denn bei uns auch die geheimen Ehebündnisse, d. i. die, welche nicht erst vor der Kirche eingegangen sind, Gefahr, auf gleiche Art wie Ehebruch und Hurerei beurteilt zu werden, weil zu befürchten ist, daß sie infolge derselben geknüpft werden36) und so durch den Deckmantel der Ehe das Verbrechen wegtäuschen. Die übrigen wahnsinnigen Lüste aber, die sowohl gegen die Leiber als gegen die Geschlechter in widernatürlicher Weise freveln, die halten wir nicht bloß von der Schwelle der Kirche fern, sondern von ihrem ganzen Hause37), weil sie nicht mehr Vergehungen, sondern Ungeheuerlichkeiten sind.
5. Fragen wir also, ein wie großes Verbrechen der Ehebruch sei -- und nach dem Vollzug des Vergehens betrachtet, ist das, was bei der Hurerei geschieht, dasselbe --, so steht uns zuerst das erste Gesetz Gottes zu Gebote. Denn nach dem Verbot der abgöttischen Verehrung fremder Götter und der Verfertigung von Götzen, nach Einschärfung der Sabbatsfeier und dem Befehle, den Eltern nächst Gott Ehrerbietung zu erweisen, hat das Gesetz bei der Aufstellung und Einschärfung solcher Paragraphen nichts anderes eher angereiht als die Vorschrift: „Du sollst nicht ehebrechen.” Nach der geistigen Keuschheit und Heiligkeit folgt die körperliche Unversehrtheit, Das Gesetz hat folglich auch sie dadurch gesichert, daß es sofort deren Feind, den Ehebruch, untersagte. Erkenne schon, von welcher Beschaffenheit dieser Fehltritt sein muß, dessen Verbot das Gesetz gleich hinter das des Götzendienstes gestellt hat. Zwischen dem ersten und zweiten ist die Entfernung niemals groß. Nichts ist dem ersten so nahe als das zweite. Was aus dem ersten kommt, ist |s389/735 gewissermaßen ein zweites erstes. Somit ist Ehebruch der Idololatrie benachbart. Denn da auch die Idololatrie dem Volke so oft unter der Bezeichnung Ehebruch und Hurerei zum Vorwurf gemacht wird, so wird er auch hinsichtlich seines Schicksals in unmittelbarer Verbindung mit ihr stehen wie in der Reihenfolge, Hinsichtlich der Verwerfung wird er mit ihr geradeso zusammenhängen, wie in der Aufstellung, Und noch mehr! Erst nachdem es vorausgeschickt hat: „Du sollst nicht ehebrechen”, fügt es hinzu: ,,Du sollst nicht töten.” Gewiß hat es dem Ehebruch eine Ehre erwiesen, indem es ihn vor den Totschlag stellte38); er ist gezeichnet, indem er ganz vorn im göttlichen Gesetz, in den ersten Paragraphen des vom Himmel stammenden Ediktes, in der Proskriptionsliste der Hauptvergehen steht. Aus der Stelle sollst du das Maß, aus der Reihenfolge die Beschaffenheit, aus der Umgebung das Verdienst eines jeden Vergehens erkennen! Auch das Böse hat einen Rang und Stand, das da an die Spitze oder in die Mitte der schlimmsten Verbrechen gestellt wird. Ich sehe da einen gewissen Prunk und Pomp im Auftreten des Ehebruchs; hier den Vortritt des vorhergehenden Götzendienstes, da den nachkommenden Totschlag als Gefolge. Zwischen den beiden vornehmsten Erzverbrechen nimmt er ohne Zweifel mit Würde seinen Sitz ein und hat als gleich angesehenes Verbrechen den in ihrer Mitte gleichsam freigebliebenen Platz bekommen.
Wer wollte nun den Ehebruch, von solchen Flanken eingeschlossen, von solchen Rippen umgeben, losreißen aus dieser einheitlichen Verbindung, aus der Verkettung mit benachbarten Verbrechen, aus der Umarmung verwandter Vergehen, um ihn allein teilnehmen zu lassen an der Frucht der Buße?!39) Wird ihn nicht auf der einen Seite der Götzendienst festhalten, auf der ändern der Mord? Würden sie nicht, wenn sie eine Stimme hätten, ihn zurückfordern und ausrufen: Das ist unser |s390/736 Halt, das ist unser Bindeglied! Denn durch seine Vermittlung bilden wir drei eine Einheit40), durch ihn, der uns trennt, sind wir beide miteinander verbunden, mit ihm, der aus der Mitte hervorragt, ist jeder von uns vereinigt. Verkörpert hat uns die Heilige Schrift, ihre Zeilen sind unser Kitt, und er, der Ehebruch, kann nicht mehr bestehen ohne uns beide! Ich wenigstens, der Götzendienst, gebe ja meistens zum Ehebruch die Gelegenheit her; meine Haine und meine Hügel, die lebendigen Quellen und die Tempel selbst in den Städten können Kunde davon geben, was ich zur Vernichtung der Schamhaftigkeit beitrage! Und ich, der Mord, ich mache für den Ehebruch nicht selten die Arbeit fertig. Um nicht von den Trauerspielen auf den Theatern zu reden, so wissen es heute die Giftmischer, so wissen es die Zauberer, für wie viele Buhlschaften ich Rache nehme, wie viele Nebenbuhler ich abwehre, wie viele Wächter, Verräter und Mitwisser ich auf die Seite schaffe! Auch die Hebammen wissen davon zu erzählen, wie viele Früchte des Ehebruches gemordet werden. Auch bei den Christen gibt es keinen Ehebruch ohne uns. Die Idololatrie treibt ihr Wesen da, wo der unreine Geist sein Wesen treibt, und wo ein Mensch, wenn er besudelt wird, dem Tode verfällt41), da liegt Menschenmord vor. Somit werden die Hilfsmittel der Buße entweder auch ihm42) nicht oder ebenfalls auch uns zugute kommen müssen. Entweder halten wir ihn fest oder wir gehen mit ihm.
So sprechen die Dinge selbst. Wenn sie aber keine Stimme besitzen, so erscheint da vor dir der Götzendiener und der Mörder, und in ihrer Mitte der |s391/737 Ehebrecher. In derselben Weise sitzen sie gemäß den Vorschriften der Buße flehentlich da43), sie erbeben in Sack und Asche, sie seufzen einer wie der andere, sie bestürmen uns mit denselben Bitten, fallen in gleicher Weise auf die Knie und flehen eine und dieselbe Mutter an. Was tust du nun, du Kirchenzucht, in deiner so großen Milde und so großen Menschenfreundlichkeit? Entweder mußt du das für alle sein -- denn selig sind die Friedfertigen -- oder wenn nicht für alle, dann mußt du auf unserer Seite stehen44). Den Götzendiener und Totschläger verdammst du ein für allemal; den Ehebrecher aber nimmst du aus der Mitte heraus, ihn, den Nachfolger des Götzendieners und den Vorläufer des Mörders, den Genossen von beiden?! Das ist ja Ansehen der Person! Du hast Bußen, die eher Erbarmen verdienen, unbeachtet gelassen!45)
6. Allerdings, wenn du zeigst, auf welche himmlischen46) Beispiele und Vorschriften gestützt du dem Ehebruch allein und damit auch der Hurerei die Türe der Buße weit öffnest, dann wird sich unser Streit auf dieser Kampflinie bewegen. Ich muß dir jedoch vorher die Form dieses Kampfes vorzeichnen, damit du nicht die Hand nach den Dingen der Vorzeit ausstreckest und nicht hinter dich blickest. Denn das Alte ist dahin, wie Isaias sagt47), und die Neuheit ist angebrochen nach Jeremias48), vergessend des Früheren, strecken wir uns aus nach dem vor uns Liegenden, wie der Apostel sagt49); |s392/738 das Gesetz und die Propheten gehen nach dem Ausspruche des Herrn bis auf Johannes50),
Denn, wenn wir auch unsern Nachweis in Betreff des Ehebruches vorzugsweise mit dem Gesetze begonnen haben, so taten wir es berechtigter Weise von jenem Stand des Gesetzes aus, den Christus nicht aufgelöst, sondern erfüllt hat. Die Lasten des Gesetzes dauerten bis auf Johannes, nicht die Heilmittel. Das Joch der Gesetzeswerke ist abgeschüttelt, nicht das der Sittenzucht, Die Freiheit in Christo tut der Sittenreinheit keinen Abbruch. Stets bleibt das ganze Gesetz, soweit es die Frömmigkeit, Heiligkeit, Milde, Wahrheit, Keuschheit, Gerechtigkeit, Erbarmung, Güte und Züchtigkeit betrifft. Der Mann, der über dieses Gesetz nachdenkt Tag und Nacht, ist glücklich51). Von ihm sagt David; „Das Gesetz Gottes ist untadelig und bekehrt die Seelen; die Zeugnisse Gottes sind gerade und erfreuen das Herz; das Gebot des Herrn leuchtet weithin und gibt Licht den Augen”52), Ähnlich sagt auch der Apostel: „So ist das Gesetz allerdings heilig und das Gebot heilig, gerecht und gut”53), natürlich das Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen,” Weiter oben heißt es: „Zerstören wir etwa das Gesetz durch den Glauben? Keineswegs, sondern wir bestätigen es”54), nämlich in dem, was auch jetzt im Neuen Testament verboten und durch gesteigerte Vorschriften untersagt wird. Anstatt: „Du sollst nicht ehebrechen”, heißt es: „Wer sie ansieht, um ihrer zu begehren, hat bereits die Ehe in seinem Herzen gebrochen”, und anstatt: „Du sollst nicht töten”, heißt es: „Wer zu seinem Bruder sagt: Raka, wird des höllischen Feuers schuldig sein”55). Nun frage noch, ob das Gesetz, keinen Ehebruch zu begehen, unangetastet geblieben sei, nachdem das Gebot, nicht zu begehren, noch hinzugekommen ist! |s393/739
Wenn es aber auch Fälle gibt, die euren höchsten Beifall finden, so dürften sie schließlich doch der Disziplin, die wir verteidigen, nicht entgegenstehen. Denn das Gesetz, welches sogar die Quellen der Sünde, d, i. die Begierden und Willensregungen, ebensosehr verdammt wie die Tat, wäre vergeblich hinzugekommen, wenn dem Ehebruch die Vergebung auch jetzt noch gewährt werden soll, weil sie ihm früher gewährt worden ist. Welchen Vorteil hätte es denn, daß er jetzt durch eine tiefer greifende sittliche Anleitung in Schranken gehalten wird, als vielleicht den, daß man ihm, durch dein größeres Reizmittel verlockt, eher nachgibt?56) Du wirst also wohl auch dem Götzendiener und jedem Apostaten Vergebung gewähren, weil wir finden, daß im Altertum das Volk, das sich solcher Dinge so vielmal schuldig machte, immer wieder in seinen vorigen Stand eingesetzt wurde! Du wirst wohl auch dem Mörder wieder Gemeinschaft gewähren, weil auch Achab das Blut Naboths durch Flehen sühnte und David sich von dem Morde des Urias nebst der Ursache davon, dem Ehebruche, durch Bekennen reinigte! Sogar die Blutschande wirst du vergeben wegen des Loth, die Hurerei mit Blutschande wegen des Juda, schandbare Eheschließungen mit Huren wegen des Osea, und nicht bloß die mehrmals wiederholten, sondern auch mehrere gleichzeitige Ehen wegen unserer Patriarchen!57) Wenn man auf Grund eines früheren Beispiels für den Ehebruch die Vergebung in Anspruch nimmt, ist es selbstverständlich billig, jetzt auch die Gnade die gleiche sein zu lassen in Bezug auf alles, was ehedem verziehen wurde.
Aber wir haben auch für unsere Ansicht Belege aus demselben Altertum, nicht bloß dafür, daß die Hurerei keine Verzeihung erhielt, sondern sogar für den sofortigen Eintritt des Gerichts über sie. Jedenfalls genügt |s394/740 es, daß die große Zahl von vierundzwanzigtausend Mann aus dem Volke, die mit den Töchtern von Moab gesündigt hatten, mit einem Schlage zugrunde ging.
Doch ich will lieber zur Ehre Christi die Kirchenzucht von Christus herleiten. Mögen denn, wenn die Psychiker so wollen, die früheren Zeiten Erlaubnis zu jeder Schamlosigkeit besessen haben. Mag vor Christus das Fleisch sein Spiel getrieben haben oder gar zugrunde gegangen sein, bevor sein Herr es aufsuchte -- es war eben der Gabe des Heiles noch nicht würdig und noch nicht geeignet zum Dienste der Heiligkeit, Es wurde noch in Adam eingerechnet mit seiner Sünde58), es begehrte leicht nach dem, was ihm reizend vorkam, es sah auf das tiefer Stehende und hatte von den Feigenblättern her ein Jucken zurückbehalten. Es haftete ihm noch allenthalben das Gift der bösen Begierde an -- ein ihm eingeflößter Schmutz, der darnach angetan war, sich festzusetzen --, das ja auch das Wasser noch nicht abgewaschen hatte59). Sobald aber das Wort |s395/741 Gottes in das Fleisch hinabstieg, welches noch durch keine Heirat entsiegelt war60), und als das Wort Gottes Fleisch geworden, das fürs Heiraten gar nicht entsiegelt werden sollte, das bestimmt war, zu dem Baume des Leidens, nicht zu dem der Unenthaltsamkeit hinzuzutreten, nichts Süßes, sondern nur Bitteres davon zu verkosten, das nicht in der Unterwelt bleiben, sondern in den Himmel gelangen sollte61), das nicht mit dem Laube der Zügellosigkeit, sondern mit den Blumen der Heiligkeit umgürtet werden und seine Reinheit dem Wasser mitteilen sollte -- von da an legt alles Fleisch seine sonstigen früheren Unreinheiten in Christo ab; es ist bereits ein anderes geworden, als ein neues steigt es empor nicht aus des Samens Schlamme, nicht aus der Begierlichkeit |s396/742 Flamme, sondern aus dem reinen Wasser und dem Hl. Geiste62).
Wozu willst du es also noch wegen des früheren Zustandes entschuldigen? Es wurde ja damals, als es noch für Ehebruch Vergebung erhielt, noch nicht Leib Christi, Glieder Christi, Tempel Gottes genannt. Wenn du demnach nach dem Zeitpunkte, wo es seinen Zustand änderte und auf Christus getauft Christum anzog, nachdem es um hohen Preis, nämlich um das Blut des Herrn und des Lammes, erkauft worden war, wenn du also von da an irgendein Beispiel, oder eine Vorschrift, oder eine Norm63), oder einen Spruch vorführen kannst, daß der Hurerei und dem Ehebruch Verzeihung zuteil wurde oder zuteil werden soll, so hast du die von uns genau festgesetzte Zeitgrenze, von wo an das Alter unserer Streitfrage zu rechnen ist.
7. Mit den Parabeln darfst du beginnen, worin die Rede ist vom verlorenen Schaf, welches der Herr sucht und auf seinen Schultern zurückbringt. Kommt her selbst mit den Bildern an euren Bechern64), wenn sogar in diesen sichtbar dargestellt sein soll, wie jenes Tier zu deuten ist, ob es auf einen christlichen oder auf einen heidnischen Sünder gehe in Bezug auf die Wiederversöhnung. Wir stellen nämlich auf Grund einer natürlichen Regel, auf Grund eines Gesetzes der Ohren und der Zunge, sowie des gesunden Denkens von vornherein den Grundsatz auf, die Antwort sei stets eine Erwiderung auf das, was sie herausfordert, d. h, sie müsse immer dem entsprechen, wodurch sie veranlaßt wird. Veranlassung war damals, wie ich glaube, der Umstand, daß die Pharisäer sich über den Herrn, der Zöllner und heidnische Sünder zu sich ließ und mit ihnen zusammen aß, ärgerten und murrten. War es dieser Vorfall, auf welchen der Herr die Wiedereinbringung des verlorenen Schafes in die Herde als Bild anwendete, so frage ich, auf wen kann er es sonst bezogen haben, als auf den |s397/743 verloren gegangenen Heiden, um den es sich dort handelte, nicht auf einen Christen, den es noch gar nicht gab? Oder soll der Herr etwa wie ein Sophist in seiner Antwort von dem damals gegenwärtigen Falle, den er doch hätte erledigen müssen, absehen und sich mit etwas Zukünftigem zu schaffen machen?
„Aber Schäflein im eigentlichen Sinne ist doch der Christ, und die Herde des Herrn ist das Volk in der Kirche, und der gute Hirte ist Christus, und daher ist. unter dem Schafe der Christ zu verstehen, der sich von der Herde der Kirche verirrt hat”65). -- Also, du willst es so haben, daß die Antwort des Herrn auf das Murren der Pharisäer gar nicht passe, sondern nur auf deine dir beliebte Annahme, Desungeachtet wirst du genötigt sein, letztere in dem Sinne aufrechtzuerhalten, daß du annimmst, was sich, wie du glaubst, auf den Christen bezieht, das passe auf den Heiden nicht. Sage mir, ist denn nicht das ganze Menschengeschlecht eine Herde Gottes? Ist nicht für alle Völker der Gott, der Herr und der Hirt einer und derselbe? Wer ist mehr für Gott verloren als der Heide, so lange er irrt? Wer wird eifriger von Gott gesucht als der Heide, da er doch von Christo zurückgerufen wird? Endlich tritt dieser Vorgang66) bei den Heiden früher ein; denn es werden nicht anders aus Heiden Christen, als wenn sie zuvor verloren waren, von Gott aufgesucht und von Christus zurückgetragen wurden. Daher werden wir die Ordnung dieses Vorganges auch insofern wahren müssen, daß wir ihn zuerst auf die deuten, bei denen er sich zuerst vollzieht.
Aber du, dünkt mich, gehst darauf aus, daß er das Schaf zu einem solchen mache, das nicht aus der Herde, sondern aus der umfriedigten Hürde oder dem Verschlag hinweg verloren gegangen sei67). Wenn der Herr |s398/744 aber auch die übrige Zahl gerecht nennt, hat er sie deshalb nicht als Christen bezeichnet68). Er verhandelt ja mit Juden und will diese besonders schwer treffen, weil sie sich über die Hoffnung der Heiden ärgerten. Um also seine Gnade und sein Wohlwollen der Mißgunst der Pharisäer gegenüber auch für einen einzelnen Heiden zum Ausdruck kommen zu lassen, hat er das durch Buße bewirkte Heil eines einzigen Sünders höher gestellt als ihr Heil aus der Gerechtigkeit, Oder sind die Juden etwa nicht die Gerechten und diejenigen, welche der Buße nicht bedurften69), weil sie als Leitstern der |s399/745 Sittenzucht und als Hilfsmittel der Gottesfurcht das Gesetz und die Propheten besaßen? Er nahm also sie in die Parabel auf, wenn auch nicht so, wie sie waren, dann doch so, wie sie sein sollten, um sie desto mehr zu beschämen, wenn sie hörten, daß die Buße für andere notwendig sei, für sie aber nicht.
Demnach deuten wir die Parabel von der Drachme, weil sie durch denselben Anlaß provoziert wurde, ebenfalls auf die Heiden, obgleich die Drachme im Hause, das wäre in der Kirche, verloren gegangen war, obgleich sie beim Lichte der Lampe, das wäre bei der Anhörung70) des Wortes Gottes, gefunden wurde. Aber die ganze Welt ist ein einziges Haus für alle. Dem Heiden, der sich in der Finsternis befindet, leuchtet darin die Gnade Gottes mehr als dem Christen, der schon im Lichte Gottes ist. Endlich ist die Verirrung, die dem Schaf und der Drachme zugeschrieben wird, eine und dieselbe. Wenn sie71) ein Bild des christlichen Sünders, der nach Annahme des Glaubens verloren ging72), hätten abgeben sollen, so wäre auch von dem zum zweiten Mal eingetretenen Verlust und der abermaligen Wiedereinbringung73) gehandelt worden.
Ich trete nun einstweilen von dieser Position zurück, um sie durch mein Zurücktreten desto mehr zu verstärken, indem ich auch so noch die gegenteilige Ansicht widerlegen werde. Ich nehme also nun an, in beiden Parabeln sei ein christlicher Sünder gemeint. Dann darf man aber doch noch nicht behaupten, es sei ein solcher gemeint, der nach dem Vergehen des Ehebruchs |s400/746 und der Hurerei durch die Buße wieder in seine Rechte eingesetzt werden könne. Wenn er nämlich auch ein „Verlorener” genannt wird, so wird doch erst über die Art des Verlorenseins zu verhandeln sein. Denn auch beim Schafe bestand das Verlorensein nicht im völligen Tode, sondern im Verirren, und bei der Drachme nicht in Vernichtung, sondern im Verborgensein. So kann man auch das verloren nennen, was noch unversehrt ist. Es geht auch der Gläubige verloren, wenn er sich versündigt durch Zuschauen beim Wahnsinn des Wettrennens und dem blutigen Treiben der Gladiatoren, bei den Abscheulichkeiten der Bühne und den Eitelkeiten der Fechtschule, durch Teilnahme an den Spielen, an Gastmählern und bei heidnischen Festen, wenn er zu den Dienstleistungen und Amtsverrichtungen beim Götzendienst anderer gewisse Dinge verfertigte oder neugierige Untersuchungen anstellte74), oder wenn ihm ein zweideutiges Wort der Verleugnung oder Lästerung Gottes entschlüpfte -- um irgendeines derartigen Fehltrittes willen ist er aus der Herde ausgestoßen, oder er hat vielleicht aus Stolz, Hochmut, Eifersucht oder endlich, was häufig geschieht, weil er keine Züchtigung auf sich nehmen wollte75), sich selber losgesagt, -- er muß wieder aufgesucht und zurückgerufen werden. Was wieder gewonnen werden kann, ist nicht gänzlich verloren, außer wenn es in seiner Absonderung verharrt. |s401/747
Deine Auslegung der Parabel wird eine gute sein, wenn du einen Sünder zurückrufst, in welchem noch Leben ist. Den Ehebrecher und Hurer aber wird jeder sofort nach der Tat einen Toten nennen. Mit welcher Macht der Stimme wirst du einen Toten der Herde wieder geben können auf Grund einer Parabel, die doch nicht ein totes Stück Vieh zurückgerufen werden läßt?! Wenn du endlich an die Prophetien erinnerst, worin die Hirten gescholten werden, so sagt, glaub ich, Ezechiel: „Ihr Flirten! Siehe, die Milch verzehrt ihr und in die Wolle kleidet ihr euch; was kräftig ist, schlachtet ihr, um das Schwache kümmert ihr euch nicht, was gebrochen ist, habt ihr nicht verbunden, was verscheucht war, nicht zurückgeführt, was verloren war, nicht gesucht”76). Macht er ihnen etwa auch in Betreff des Krepierten Vorwürfe, daß sie auch solches der Herde wiederzugeben nicht bemüht gewesen sind? Allerdings hält er ihnen dringend vor, daß sie Schuld waren77), daß die Schafe verloren gingen und von den wilden Tieren aufgefressen wurden, und natürlich, sie müssen ja umkommen und aufgefressen werden, wenn man sich um sie nicht bekümmert, nicht aber78), daß die umgekommenen und aufgefressenen wieder gewonnen werden sollen. Wie das Beispiel von der Drachme zeigt, kann es der Kleinheit und dem geringen Gewicht der Drachme entsprechend sogar innerhalb der Kirche ganz geringe Vergehen geben79), welche in ihr versteckt, aber bald in ihr aufgefunden, sofort in ihr unter Freude über die Besserung80) ausgeglichen werden. |s402/748
Der Ehebruch aber und die Hurerei sind keine Drachmen, sondern ganze Kapitalien, die zu suchen man nicht den Lichtschimmer einer Lampe, sondern die ganze Sonnenhelle nötig hat. Sobald sie zutage treten, wird der Mensch sofort aus der Kirche verstoßen, er bleibt nicht darin; er verursacht auch der Kirche keine Freude, wenn sie ihn wieder findet, sondern Trauer, und sie ruft81) nicht zur Mitfreude die Nachbarinnen herbei, sondern zur Mittrauer die benachbarten Brüdergemeinden. Wenn also auch diese unsere jetzige Erklärung82) mit der von jenen gegebenen in Vergleich gestellt wird, so werden sich die Argumente vom Schaf und der Drachme um so mehr auf den Heiden beziehen, je weniger sie auf einen Christen Anwendung finden können, der ein solches Verbrechen begangen hat, wegen dessen sie von der Gegenpartei gewaltsam auf einen Christen bezogen werden.
8. Sehr viele Erklärer der Parabeln werden aber durch das Endresultat in derselben Weise enttäuscht, |s403/749 wie es oft beim Besetzen von Gewändern mit Purpurstückchen geschieht. Wenn man glaubt, die Abtönungen der Farben richtig miteinander in Harmonie gebracht und meint, sie mit Geschick zu lebensvoller Wirkung untereinander zusammengestellt zu haben83), dann aber beides, der Leib der betreffenden Person und das rechte Licht dazu kommt, so treten die Mißtöne zutage und lassen das Ganze als verfehlt erscheinen. In derselben Finsternis tappen die Erklärer auch bei der Parabel von den beiden Söhnen fernab vom rechten Lichte in der Deutung des eigentlichen, vom Gegenstand der Parabel verbrämten Vergleiches umher, indem einzelne Züge nur für den Augenblick mit ihrer Erklärung harmonieren84).
Sie lassen nämlich mit den beiden Söhnen zwei Völker gemeint sein, mit dem älteren Sohn das jüdische Volk und mit dem jüngeren Sohn das christliche. Denn nur so können sie den jüngeren Sohn als ein Bild des christlichen Sünders, der Verzeihung erhalten werde, aufstellen, wenn sie in dem älteren Sohne den Juden abgebildet sein lassen. Wenn ich aber zeigen werde, daß der Vergleich des Juden mit dem älteren Sohne nicht ganz paßt, so wird infolgedessen ganz natürlich auch der jüngere Sohn nicht mehr als Bild des Christen gelten können. Denn mag auch das Judenvolk den Namen Sohn und älterer Sohn bekommen haben, weil es früher adoptiert wurde, mag es auch dem Christen die Versöhnung mit Gott dem Vater mißgönnen, was die Gegenpartei ganz besonders betont, so wird der Jude doch nicht zum Vater sagen können: „Siehe, so und soviel Jahre diene ich dir schon, und niemals habe ich dein Gebot übertreten”85). Denn wann gab es eine Zeit, wo der Jude nicht Übertreter des Gesetzes war, wo er mit den Ohren hörte und doch nicht hörte, |s404/750 denjenigen nicht haßte, der ihn unter den Stadttoren beschämte und das heilige Wort nicht verachtete?86) Weiter kann auch der Vater nicht zum Juden sagen: „Du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein”87). Denn die Juden bekamen den Namen abtrünnige Söhne, die wohl geboren und großgezogen seien, die aber den Herrn nicht als solchen behandelt, die ihn verlassen und den Heiligen Israels zum Zorne herausgefordert haben88). Werden wir fürwahr vom Juden aussagen können, daß ihm alles zugewiesen sei, da ihm doch die angenehmsten Produkte der Schöpfung zum Genüsse versagt sind, sogar das Land der Verheißung seiner Väter selber?! Ja das Judenvolk bettelt heutzutage ebenso wie der jüngere Sohn nach Verprassung der Güter Gottes im fremden Lande umher, und es dient noch immerfort den Fürsten desselben, d, h, den Fürsten dieser Welt89).
Die Christen müssen sich also nach einem anderen Bruder umsehen; denn der Jude als sein Bruder paßt nicht in die Parabel. Viel passender hätte man den Christen mit dem älteren Sohne und den Juden mit dem jüngeren gleichgestellt, indem man die Annahme des Glaubens als Vergleich heranzog, wenn nur die Reihenfolge der beiden Völker, die bei der Niederkunft der Rebekka vorgezeichnet wurde, eine solche Vertauschung zuließe. Aber auch dann stände der Schluß im Wege. Denn es wird sich geziemen, daß sich der Christ über die Wiederannahme des Juden nicht betrübt, sondern freut, da ja unsere ganze Hoffnung mit der zukünftigen Erwartung Israels verbunden ist. Wenn also auch einiges paßt, so wird doch dadurch, daß anderes dagegen spricht, die Durchführung des Vergleiches mit den Vorbildern zunichte gemacht.
Indessen, wenn auch alles einander entspräche, wie beim Bilde im Spiegel, so hüte man sich doch immer vor einer besonderen Klippe der Deutungen, nämlich vor der, daß man sich das Auffinden von Vergleichungen nicht |s405/751 leicht mache90), weil man sie nach fremdartigen Zielen modelt, nicht wie sie der sachliche Inhalt einer jeden Parabel gebieterisch an die Hand gibt. Wir wissen recht gut, daß die Schauspieler auch ihre Gesänge mit allegorischen Gesten begleiten und dadurch Dinge, die dem jedesmaligen Stück, der Szene und Person fernliegen, sehr passend zum Ausdruck bringen. Doch lassen wir diese außergewöhnliche Erfindungsgabe, Ich pfeife auf eine Andromache91), So brüten auch die Häretiker dieselben Parabeln, indem sie sie auf einen frei ersonnenen Gegenstand, nicht auf den, der sich gehört, hinrichten, ganz passend aus. Warum sage ich ganz passend? Weil sie von vornherein, je nachdem die Parabeln ihnen Gelegenheit dazu boten, den Inhalt ihrer Lehren sich erdichtet haben. Denn nachdem sie sich von der wahren Glaubensregel losgesagt hatten, stand ihnen das Feld offen, die Dinge zu suchen und zusammenzustellen, welche in den Parabeln scheinbar vorgebildet sind.
9. Wir aber legen uns den Gegenstand nicht willkürlich nach den Parabeln zurecht, sondern deuten die Parabeln nach dem Gegenstand der Lehre. Darum quälen wir uns auch nicht so ab, alles in eine Auslegung zu pressen, wenn wir nur alles vermeiden, was ihr entgegensteht92). Warum sind es gerade hundert Schafe? warum |s406/752 zehn Drachmen? und was bedeutet der Besen? Wenn er eben ausdrücken wollte, die Errettung selbst eines einzigen Sünders sei Gott sehr wohlgefällig, so mußte er notwendig irgendeine bestimmte Zahl nennen, von welcher er eins als verloren gegangen darstellte. Es war auch notwendig, der Frau einen Besen und ein Licht in die Hand zu geben, um ihr so die Haltung einer den Drachmen im Hause suchenden Person zu verleihen. Solche neugierige Fragen erregen in Bezug auf einzelne Züge der Parabeln allerlei Vermutungen93) und leiten durch die Spitzfindigkeit gezwungener Deutungen oft von der Wahrheit ab. Manches steht aber klar und einfach da, um die Parabel auszubauen, zu disponieren und durchzuführen, um so auf das hinzuführen, wofür das Beispiel gewählt wird,
So werden denn auch die beiden Söhne gewiß eben demselben Zwecke dienen wie die Drachme und das Schaf. Denn sie haben dieselbe Veranlassung wie das, womit sie in Zusammenhang stehen, nämlich dasselbe Gemurre der Pharisäer gegen den Umgang des Herrn mit Heiden, Oder sollte jemand zweifeln, daß die Zollpächter in Judäa, welches schon seit langer Zeit durch die Truppen des Pompejus und Lukullus besetzt war, Heiden gewesen, dann lese er das Deuteronomium, wo es heißt: „Es soll keine Abgabe verhängt werden über die Söhne Israels”94). Auch wäre der Name der |s407/753 Zollpächter vor dem Herrn nicht so verabscheuungswert gewesen, wenn er nicht ein fremder gewesen wäre, ein Name von Leuten, die die Zugänge zum Lande und zum Meere, ja zur Luft selbst sich bezahlen ließen. Wenn er aber den Zöllnern die Sünder anreiht, so deutet er damit nicht gleich auf die Juden, wenn deren auch einige darunter sein konnten, sondern in der einen Gattung der Heiden unterscheidet er als die eine Art die Sünder von Profession, das sind die Zöllner, die andere sind die Sünder von Natur, nämlich die Nichtzöllner, und stellt sie so zusammen. Übrigens würde sein Zusammenleben mit Juden gar nicht getadelt worden sein, sondern nur sein Umgang mit Heiden, von deren Tisch die jüdische Disziplin fernzubleiben nötigte.
Jetzt müssen wir hinsichtlich des verschwenderischen Sohnes zuerst erwägen, was das Nützlichere sei. Denn eine Identifizierung der Gleichnisse, wäre sie auch so passend, daß sie auf der Goldwage gewogen erscheint, kann doch nicht gestattet werden, wofern sie dem Seelenheil schädlich ist. Wir sehen aber, daß der ganze Bestand des Seelenheils, der ja auf der Festigkeit der Disziplin beruht, durch diese Interpretation, welche von unsern Gegnern beliebt wird, völlig untergraben wird. Wenn der, welcher den vom Vater erhaltenen Vermögensanteil -- d. i. natürlich der Schatz der Taufe, sowie des Hl. Geistes und infolgedessen der Hoffnung des ewigen Lebens -- durch heidnisches Leben, weit vom Vater umherschweifend, vergeudete, ein Christ ist, wenn es ein Christ ist, der, der geistigen Güter beraubt, sogar dem Fürsten dieser Welt -- was natürlich kein anderer sein kann als der Teufel -- Knechtesdienste leistete, von ihm mit der Fütterung der Säue, d. h. dem Dienste der unreinen Geister, beauftragt, endlich zur Besinnung kam und zum Vater zurückkehrte, dann würden zufolge dieser Parabel schon nicht bloß die Ehebrecher und Hurer, sondern auch die Götzendiener, Gotteslästerer, Verleugner und der ganze Schwärm der Apostaten dem Vater auf Grund dieser Parabel Genugtuung leisten können. Dann wäre in Wahrheit das ganze Hab und Gut unserer Religion durch eine solche Beziehung des in Frage stehenden |s408/754 Gleichnisses95) förmlich vernichtet. Denn wer wird sich scheuen, verschwenderisch mit einer Sache umzugehen, die er wieder erwerben kann? Wer wird besorgt sein, sich das für immer zu bewahren, was er nicht für immer verlieren kann? Sicherheit beim Sündigen ist zugleich eine anstachelnde Lust zum Sündigen, Es wird also auch der Apostat sein früheres Kleid wieder gewinnen, das Gewand des Hl. Geistes, und abermals den Ring, das Siegel der Taufe, Christus wird wiederum für ihn geschlachtet werden, und er wird bei jenem Gastmahle zu Tische sitzen96), von dem die nicht angemessen Gekleideten durch die Henker weggewiesen und in die Finsternis geworfen zu werden pflegen, geschweige diejenigen, die ihres Gewandes beraubt worden sind. Es kommt also noch als verschärfendes Moment hinzu97), daß die Beziehung der Geschichte des verlorenen Sohnes auf den Christen auch nicht frommt. Da nun aber auch das Bild des unbescholtenen98) Sohnes auf den Juden nicht paßt, so wird die Deutung sich einfach der Absicht des Herrn anbequemen müssen.
Der Herr war gekommen, um zu retten, was verloren war, als ein Arzt, der mehr für die Kranken als für die Gesunden notwendig war. Das bildete er in den Gleichnissen vor, das lehrte er in seinen Aussprüchen, Welcher Mensch nun ist verloren, wer leidet an einer Krankheit, wenn nicht vor allem der, der von Gott nichts weiß?! Wer ist wohlaufgehoben und gesund, als nur wer Gott kennt? Diese beiden Fälle, der Art nach |s409/755 verbrüdert, sie dürften auch in dieser Parabel versinnbildet sein. Frage dich, ob dem Heiden nicht jenes Besitztum eignet, daß er von Gott als Vater abstammt99) und sich jener Weisheit und natürlichen Erkenntnis Gottes erfreut, durch welche, wie der Apostel tadelnd bemerkt, die Welt in der Weisheit Gottes Gott nicht durch die Weisheit erkannt hat100), obwohl sie dieselbe doch von Gott empfangen hatte. Der Heide also hat sie verschwendet, indem er sich in seinen Sitten weit von Gott entfernte, zwischen den Irrtümern, Lockungen und Lüsten dieser Welt, wo er, vom Hunger nach der Wahrheit geplagt, sich dem Fürsten dieser Welt übergeben hat. Derselbe hat ihm die Obhut über die Schweine übertragen, damit er diese, den Dämonen vertraute101) Tiergattung weide, womit er nicht einmal sein Brot erwerben konnte und zugleich sehen mußte, wie die anderen im Tagelohn Gottes Überfluß an Himmelsbrot hatten. Er erinnert sich Gottes, seines Vaters, nach ihm geleisteter Genugtuung kehrt er zurück und erhält sein früheres Kleid wieder, nämlich den Zustand, den Adam durch seine Übertretung verloren hatte. Auch erhält er zum erstenmal102) den Ring, womit er den Bund des Glaubens |s410/756 auf die Fragen hin besiegelt, und so ausgestattet103) genießt er von da an von dem reichlichen Gastmahle des Leibes des Herrn, nämlich die Eucharistie.
Dieser also wird der verlorene Sohn sein, der früher noch nie brav, sondern von Anfang an ein Verschwender war, was doch nicht gleich von Anfang an der Christ ist104). Er war es, über den die Pharisäer sich betrübten, als er in den Personen der Zöllner und Sünder aus dem Heidentum in die Arme seines Vaters zurückkehrte. Darum paßt der Neid des älteren Bruders auch bloß auf diesen allein105), nicht weil die Juden unschuldig und Gott gehorsam waren, sondern weil sie die Heiden um die Erlösung beneideten; natürlich hatten sie immer bei dem Vater sein müssen. Es seufzt ja auch der Jude bei der ersten Berufung des Christen, nicht aber bei der zweiten Wiederaufnahme. Denn jene ist eine auch den Heiden offen bekannte Sache, diese zweite aber, wie sie in den Kirchen stattfindet, ist nicht einmal den Juden bekannt.
Ich glaube damit Deutungen gegeben zu haben, welche dem Gegenstande der Parabeln, dem Zusammenhang der Dinge und der Wahrung der Sittenzucht angemessener sind. Wofern übrigens die Gegenpartei darnach lechzt, das Schaf, die Drachme und den unzüchtigen Sohn auf den christlichen Sünder zu deuten, um so den Ehebruch und die Hurerei durch die Buße zu vergeben, so wird man entweder auch die übrigen Kapitalsünden ebenso vergeben müssen, oder auch diejenigen, welche diesen gleichstehen, den Ehebruch und die Hurerei, als unvergebbar vorbehalten müssen. Allein höher stellen wir die Forderung, daß man keine Auseinandersetzung über die Grenzen hinausführen darf, innerhalb deren der Gegenstand des Streites liegt. Dürfte man die |s411/757 Parabeln überhaupt anderswohin übertragen, so würden wir die durch sie bereitete Hoffnung lieber auf das Martyrium hinlenken. Dieses allein wird imstande sein, den Sohn nach Verprassung seiner sämtlichen Habe zu restituieren; dieses allein wird mit Freude verkünden, daß die Drachme wiedergefunden ist, wenn auch im Kote; dieses allein wird das Schaf, wenn es sich auch in alle möglichen Einöden und Abhänge verlaufen hatte, sogar auf den Schultern des Herrn selbst zurücktragen. Doch wir wollen von der Hl, Schrift lieber ein zu geringes, wenn dem so sein sollte, als ein unrichtiges Verständnis haben. Mithin müssen wir sowohl die Meinung des Herrn wahren als sein Gebot. Ein Abirren in der Deutung ist nicht geringfügiger als ein Abweichen im Lebenswandel.
10. Nachdem also das Joch, das uns die Psychiker für die Deutung dieser Parabeln auflegen wollten, abgeschüttelt106), und ein für allemal die Notwendigkeit, sie |s412/758 nicht anders zu erklären, als Stoff und klare Veranlassung es fordern, erkannt und angenommen ist, behaupten jene nunmehr, die Verkündigung der Buße sei gar nicht an die Heiden gerichtet, da die Sünden der Heiden ihr nicht unterliegen, weil sie der Unwissenheit beizumessen seien; diese aber sei bloß infolge der Natur vor Gott sündhaft107). Mithin fänden auch die Heilmittel keine Anwendung auf solche, für welche die Gefahren nicht in Frage kommen. Der Seinsgrund der Buße sei nur da vorhanden, wo mit Wissen und Willen gesündigt wird, wo von Schuld und andererseits von Gnade die Rede sein könne. Nur der trauere, nur der sei gebeugt, der weiß, was er verloren hat und was er wieder erlangen wird, wenn er Gott seine Buße dargebracht hat, der sie selbstverständlich mehr seinen Kindern anbiete als den Fremden.
Gut; dann hat also auch wohl Jonas aus diesem Grunde bei den heidnischen Niniviten eine Buße nicht für nötig gehalten, da er dem Auftrag zu predigen sich zu entziehen suchte. Oder fürchtete er nicht vielmehr, die Barmherzigkeit Gottes, welche er auch über die draußen Stehenden ausgegossen hat, werde sogar seine Ankündigung gleichsam zuschanden machen?108) Und da ist nun wegen einer unheiligen Stadt, die Gott noch gar nicht einmal angehörte, der Prophet beinahe ums Leben gekommen! Freilich hat er ein Vorbild des Leidens des Herrn durchgemacht, welches auch die bußfertigen Heiden erlösen sollte109). Gut trifft es sich, daß |s413/759 auch Johannes, der Wegebereiter des Herrn, nicht weniger den Soldaten und Zöllnern, als den Söhnen Abrahams Buße predigte. Der Herr selbst glaubte an die Bußfertigkeit der Bewohner von Tyrus und Sidon, im Falle sie die Belege seiner Wunderkraft sähen110). Umgekehrt möchte ich behaupten, Buße passe für die, welche von Natur Sünder sind, noch mehr als für die freiwillig Sündigenden. Denn der, welcher von ihr noch gar nicht Gebrauch gemacht hat, wird ihren Lohn eher verdienen, als wer sie schon gemißbraucht hat, und es haben die Heilmittel mehr Wirkung, wenn sie zum ersten Mal gebraucht werden, als wenn sie abgenutzt sind. Natürlich, der Herr ist ja auch lieber gütig gegen die Undankbaren als gegen die Unwissenden; er erbarmt sich schneller der schlecht Bewährten als der noch nicht Bewährten; er zürnt nicht gegen den Schimpf, der seiner Milde angetan wird, sondern er freut sich dessen vielmehr; er verschleudert letztere lieber an seine Kinder, als daß er sie an die draußen Stehenden verteilte, weil er die Heiden dann erst an Kindesstatt annahm, als die Juden mit seiner Langmut ihr Spiel trieben. Aber, so wollen es einmal die Psychiker, Gott, der Richter über das Böse, soll lieber die Buße, als den Tod desjenigen Sünders wollen, der doch den Tod lieber wollte als die Buße, Wenn dem so ist, dann erwerben wir uns durch Sündigen am Ende wohl gar Verdienste.
Also wohlan denn, mache deine Seiltänzerkünste mit der Züchtigkeit, Keuschheit und Heiligung des Geschlechtslebens, du, der du auf dem dünnen Faden einer solchen Disziplin, die der Wahrheit fremd111) ist, mit luftigem Schritte einherschreitest, das Fleisch durch den Geist im Gleichgewicht haltend, die Geistesgegenwart durch das Zutrauen aufrechthaltend, das Auge durch die Furcht zügelnd112). Was richtest du deine ganze |s414/760 Aufmerksamkeit auf deinen Schritt? Schreite nur zu, so wie du kannst, so wie du willst, da du so sicher bist und gleichsam wie auf festem Boden wandelst. Wenn dich irgendein Schwanken des Fleisches, ein Verlassen der Geistesgegenwart, ein Abirren des Auges vom Laufe abbringt: Gott ist ja gütig. Er hat für die Seinigen seinen Mantel untergebreitet, nicht etwa für die Heiden; die zweite Buße wird dich aufnehmen, und nachdem du Ehebrecher gewesen, wirst du wieder Christ sein! Mit so etwas kommst du mir, du nachsichtigster Dolmetsch Gottes!
Trotzdem würde ich dir recht geben, wenn jene Schrift „der Pastor”, die allein113) den Ehebrechern günstig gesinnt ist, unter die göttlichen Urkunden gesetzt zu werden verdiente, wenn sie nicht vielmehr von jeder Kirchenversammlung, auch den eurigen, für apokryph und falsch erklärt worden wäre; sie ist selber ehebrecherisch114) und darum eine Beschützerin ihrer Genossen, Von ihr empfängst du auch sonst deine Einweihung115). Ihr wird höchstens noch Beistand leisten jener Pastor, den du in deinem Becher abgebildet hast, er, der selbst auch ein Schänder der christlichen Heilslehre ist, so recht ein Götzenbild der Trunkenheit und eine Zuflucht für den Ehebruch, der auf das Bechern zu folgen pflegt. Von ihm saugst du nichts lieber in dich |s415/761 hinein als das Schaf der zweiten Buße116). Ich hingegen schöpfe aus den Schriften des Hirten, der unzerbrechlich ist117). Sie bringt mir sofort Johannes mit seiner Bußtaufe und seiner Bußpredigt entgegen, der ausruft118): „Bringet würdige Früchte der Buße und saget nicht: Unser Vater ist Abraham” -- nämlich damit sie nicht aus der Gnade119), die ihren Vätern zuteil wurde, einen Anreiz, zu sündigen, nehmen sollten -- „denn Gott kann aus Steinen Söhne Abrahams erwecken”120). Damit meint er auch uns121), nämlich als solche, die nicht mehr sündigen sollen und würdige Früchte der Buße bringen. Denn welche Frucht reift aus der Buße, als die bewirkte Besserung? Allein auch wenn die Vergebung eher die Frucht der Buße ist122), dann kann auch diese nicht bestehen ohne das Aufhören der Sünde. So ist denn das Aufhören der Sünde die Wurzel der Vergebung, damit diese letztere die Frucht der Buße sein könne.
11. Damit ist, was das Evangelium angeht, die Untersuchung über die Parabeln beendigt. Wofern aber der Herr auch in Tatsachen zugunsten der Sünder ähnliche |s416/762 Kundgebungen gemacht hat, wie wenn er z. B, dem sündigen Weibe sogar erlaubte, seinen Leib zu berühren, als sie seine Füße mit Tränen wusch, mit ihren Haaren abtrocknete und mit einer Salbung sein Begräbnis inaugurierte, wenn er der Samariterin, die in ihrer sechsten Ehe bereits nicht mehr den Namen einer Ehebrecherin, sondern einer Prostituierten verdiente, was er sonst nicht leicht bei. jemand tat, sogar offenbarte, wer er sei, so wird damit den Gegnern keinerlei Vorschub geleistet, wenn123) selbst er solchen Vergebung ihrer Sünden gewährt hätte, die bereits Christen waren. Denn für die Jetztzeit sagen wir: das kommt allein dem Herrn zu. Möge in unseren Zeiten die ihm zustehende Gewalt, Vergebung zu erteilen, sich betätigen. Was aber jene Zeiten angeht, als er auf Erden weilte, so behaupten wir, es bilde kein Präjudiz gegen uns, wenn er den Sündern, auch den jüdischen Sündern, Verzeihung gewährte. Denn die christliche Sittenzucht beginnt erst mit der Erneuerung des Bundes und, wie wir vorausgeschickt haben, mit der Erlösung des Leibes, d. i. mit dem Leiden |s417/763 des Herrn. Niemand ist vollendet, bevor die Heilsordnung des Glaubens eröffnet war124), niemand ein Christ vor der Aufnahme Christi in den Himmel, niemand heilig, bevor der Hl. Geist aus dem Himmel als derjenige erschienen ist, der die Grenzen der Sittenzucht bestimmt.
12. Jene also, die in den Aposteln und durch die Apostel einen ändern Paraklet empfangen haben, den sie, da sie ihn in seinen eigenen Propheten125) nicht anerkannt haben, auch bereits in den Aposteln nicht besitzen, mögen uns nun aus den Schriften der Apostel beweisen, daß die Makeln des Fleisches, wenn es nach der Taufe wieder befleckt worden ist, durch die Buße abgewaschen werden können. Begrüßen wir nicht in den apostolischen Schriften, daß auch sie in der gleichen Form wie das Gesetz des Alten Bundes in Bezug auf den Ehebruch aufzeigen126), wie schlimm er sei, damit er ja unter dem neuen Sittengesetze nicht für geringer gehalten werde als unter dem alten? Sobald das Evangelium erschollen, das Alte zum Weichen gebracht war und über die Beibehaltung oder Nichtbeibehaltung des Bestandes des alten Gesetzes127) verhandelt wurde, da erließen die Apostel für die, welche nach und |s418/764 nach aus den Heidenvölkern aufgenommen wurden, in der Autorität des Hl. Geistes zuerst folgende Regel: „Es hat dem Hl. Geiste und uns gefallen, euch keine neue Last aufzuerlegen außer der Enthaltung von dem, was notwendig ist, nämlich von den Götzenopfern, der Hurerei und dem Blut, Hütet ihr euch davor, so wird euer Wandel recht sein, indem der Hl, Geist euch trägt”128).
Es genügt, auch hier Ehebruch und Hurerei ihren Ehrenplatz zwischen der Idololatrie und dem Menschenmorde behaupten zu sehen. Denn das Verbot des Blutes werden wir weit mehr vom Menschenblut verstehen können129). Wofür wollen nun die Apostel wohl diese Verbrechen angesehen wissen, welche sie allein aus dem früheren Gesetze herausgreifen, deren Vermeidung allein sie als notwendig vorschreiben?! Nicht als ob sie damit hätten die ändern gestatten wollen, sondern sie stellen diese allein heraus als schlechterdings nicht nachlaßbar, da sie die übrigen Lasten des Gesetzes um der Heiden willen für nachlaßbar erklärten. Warum anders befreien sie unsern Nacken von jenem so schweren Joch, als nur um ihm diese verkürzte Sittenzucht für immer aufzuerlegen? Warum anders haben sie uns so viele Fesseln erlassen, als um uns für immer an das, was notwendig ist, festzubinden? Sie haben uns von so manchem gelöst, um uns zur Vermeidung dessen, was weit schädlicher ist, fest zu verpflichten. Es ist eine Ausgleichung vor sich gegangen. Wir haben vieles profitiert, gegen einige Gegenleistungen, Der Ausgleichsvertrag ist unwiderruflich. Er würde aber widerrufen |s419/765 durch Wiederholung des Ehebruchs, des Blutvergießens und des Götzendienstes. Denn das ganze Gesetz ist dahin, wenn die Bedingung hinsichtlich des Sündennachlasses aufgehoben wird. Leicht zu nehmende Verträge hat der Hl. Geist mit uns keine gemacht; da er seinerseits aus freien Stücken den Vertrag schloß, so ist er um so mehr mit Ehrfurcht zu behandeln. Was er als Kontrahent zugesichert hat, wird niemand rückgängig machen; jeder Versuch ist vergeblich130). Er wird nicht mehr wieder an sich nehmen, was er freigegeben hat, und nicht freigeben, was er festbehalten hat. Der Zustand des letzten Bundes ist unveränderlich für immer, und die Verkündigung dieses Dekrets und jener Beschluß werden sicher nur mit der Welt selber ein Ende nehmen. Die Vergebung der Sünden, deren Vermeidung er131) besonders hervorgehoben hat, hat er deutlich genug versagt; was er demgemäß nicht zugestand, das hat er sich vorbehalten. Daher kommt es auch, daß weder bei Idololatrie noch bei Blutvergießen der Kirchenfrieden von den Kirchen wieder erteilt wird. Daß die Apostel von dieser Bestimmung abgefallen sein sollten, das darf man, meine ich, nicht annehmen, oder wenn manche vor dieser Annahme nicht zurückschrecken, so müssen sie ihre Beweise vorbringen.
13. Die falschen Vermutungen, denen sie sich auch |s420/766 in Bezug auf diesen Punkt hingeben, sind uns freilich genugsam bekannt. Sie machen in Wirklichkeit die törichte Annahme, der Apostel Paulus habe im zweiten Korintherbriefe demselben Hurer Vergebung erteilt, über den er im ersten die Sentenz gesprochen hatte, er sei dem Satan zum Verderben des Fleisches zu übergeben, er, der ruchloserweise als Erbe in die Ehe seines Vaters eintrat. Also hätte er seine früheren Worte später ausgestrichen132), als er schrieb: „Wenn jemand Ursache zur Betrübnis gegeben hat, so hat er sie nicht mir gegeben, sondern zum Teil -- ich will nicht beschwerlich sein -- euch allen. Es genügt für einen solchen jene Züchtigung, die von vielen ausgeht, so daß ihr im Gegenteil vielmehr vergebet und tröstet, damit ein solcher nicht durch übermäßige Traurigkeit verschlungen werde. Darum bitte ich euch, daß ihr ihm Liebe zuwendet. Denn ich habe auch deswegen an euch geschrieben, um eure Bewährung zu erkennen, ob ihr mir in allem gehorcht. Wenn ihr aber jemand Vergebung habt zuteil werden lassen, dann auch ich. Denn auch ich habe, wenn ich etwas nachgelassen, es in Christo133) nachgelassen, damit wir nicht vom Satan hintergangen würden; denn seine Einflüsterungen sind uns nicht unbekannt”134).
Wo ist hier etwas, was auf den Hurer, was auf den Verunreiniger des Ehebettes seines Vaters, was auf den Christen, der die Schamlosigkeit der Heiden überboten hatte, zu beziehen wäre? Der Apostel würde jedenfalls einen, den er in spezieller Entrüstung verurteilt, doch auch ebenso in spezieller Vergebung losgesprochen haben135). Er ist ja in seiner Barmherzigkeit undeutlicher als in seiner Entrüstung! Er ist in seiner Strenge |s421/767 besummier als in seiner Milde! Nun aber pflegt sich doch der Zorn mehr versteckt zu halten als die Nachsicht. Man zögert mehr mit traurigen als mit freudigen Dingen. Es handelte sich nämlich nur um eine Nachlassung in einer geringen Sache, die vielleicht nicht einmal besondere Aufmerksamkeit erregte, während doch die Nachlassung bei den größten Verbrechen nicht einmal ohne feierliche Verkündigung zu geschehen pflegt, geschweige denn gar ohne bestimmte Bezeichnung136).
Selbst du, wenn du die Brüder in die Kirche einführst, um für den büßenden Ehebrecher Fürbitte zu leisten137), läßest ihn im härenen Bußgewand, in Asche, |s422/768 im schimpflichen und schauerlichen Aufzuge sich in der Mitte niederwerfen vor den Witwen und vor den Priestern; allen sucht er Tränen zu entlocken, aller Fußstapfen küsset er, aller Knie umfasset er, und auf ein solches Schicksal dieses Menschen predigst138) du, mit allen möglichen Reizmitteln des Mitleidens als „guter Hirt und preiswürdiger Vater”139), und suchst dann im Gewände der Parabel140) vom verlorenen Schaf deine Ziegen, damit ferner dein Schaf nicht noch einmal von der Herde fortlaufe -- als ob erst von nun an nicht gestattet wäre, was keinmal gestattet war141) --, flößest |s423/769 du auch den übrigen Schafen Furcht ein, in dem Augenblick, wo du doch in Wirklichkeit die größte Nachsicht übst: der Apostel dagegen soll es mit Verzeihung der verbrecherischen Lust der Hurerei, die noch durch Blutschande erschwert war, so leicht genommen haben, daß er von ihm nicht einmal die geschilderten gesetzmäßigen Übungen der Buße, die du doch von ihm erlernen sollst, verlangt, keine Drohungen für die Zukunft gemacht und keine Ermahnungen für die Folgezeit hinzugefügt hätte?! Ja er geht noch weiter, er beschwört die Korinther, sie sollen dem Betreffenden Liebe zuwenden, wie einer, der etwas wieder gut macht, nicht wie einer, der verzeiht!142) Und doch, ich höre nur das Wort Liebe, nicht das Wort Kirchengemeinschaft. Ebenso spricht er auch im Briefe an die Thessalonicher: „Wenn einer nicht hört auf mein Wort in diesem Schreiben, den weiset zurecht und verkehret nicht mit ihm, damit er in sich gehe, aber haltet ihn nicht wie einen Feind, sondern tadelt ihn wie einen Bruder”143). Also hätte er wohl sagen können, daß auch dem Hurer nur Liebe zuteil geworden sei, nicht aber die Kirchengemeinschaft; dem Blutschänder aber auch nicht einmal Liebe, da er ihn nämlich aus ihrer Mitte -- noch viel mehr also aus ihrem Sinne -- zu entfernen befohlen hatte. |s424/770
Aber er fürchtete wohl, sie würden vom Satan betrogen werden, durch das Verlorengehen einer solchen Person, die er selbst dem Satan übergeben hatte -- oder der werde durch übergroße Traurigkeit verzehrt werden, den er doch selbst dem Verderben des Leibes preisgegeben hatte?! Nun deuten sie schon in der in Rede stehenden Stelle144) das „Verderben des Leibes” auf die Leistung der Bußübung, die145) durch Fasten, schmutzige Kleidung, durch jegliche Selbstvernachlässigung und absichtliche Selbstpeinigung das Fleisch gleichsam aufreibe und Gott dadurch Genugtuung leiste, um daraus den Schluß abzuleiten, der Apostel habe den Hurer, ja sogar jenen Blutschänder nicht dem Satan zum Verderben übergeben, sondern zur Besserung, als werde er nachher wegen dieses Verderbens, d. i. wegen der Kasteiungen seines Leibes Verzeihung erlangen und habe sie also auch erlangt. -- Allerdings hat derselbe Apostel den Hymenäus und Alexander dem Satan übergeben, damit sie gebessert würden und nicht mehr lästerten, wie er an seinen Timotheus schreibt146). Allein er sagt auch, daß ihm selbst „ein Pfahl beigegeben sei, ein Engel des Satans, der ihm Backenstreiche versetze, damit er sich nicht überhebe”147). Wenn sie auch auf diese letztere Stelle den Finger legen, auf daß wir die von ihm dem Satan Überlieferten als nur zur Besserung, nicht zum Verderben ihm übergeben ansehen sollen, so frage ich, welche Ähnlichkeit hat denn Gotteslästerung und Blutschande mit einer Seele, die von diesen Dingen rein ist, ja, die aus keinem anderen Grunde als wegen ihrer höchsten Heiligkeit und vollkommenen Keuschheit hoch erhoben ist148), die beim Apostel allenfalls durch |s425/771 Backenstreiche gezügelt werden sollte, das ist, wie man glaubt, durch Ohren- und Kopfschmerzen? Blutschande und Lästerung aber verdienten es, daß jene Menschen ganz149) dem Satan selber, nicht etwa bloß seinem Engel als Besitz überliefert wurden. Auch darin liegt ein Unterschied, ja darauf kommt sehr viel an, daß die Genannten, wie wir lesen, vom Apostel dem Satan förmlich übergeben wurden, dem Apostel selbst aber ein Engel des Satans nur beigegeben war.
Schließlich, als Paulus zum Herrn rief, was bekam er zu hören? „Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft vollendet sich in der Schwachheit”150). Das kann man zu denen, die dem Satan übergeben sind, nicht sagen. Wenn aber das Vergehen des Hymenäus und Alexander, nämlich die Blasphemie, unvergebbar ist, sowohl in dieser als in jener Welt151), dann hat sicherlich der Apostel sie, die sich vom Glauben ab- und der Blasphemie zugewendet hatten, nicht, entgegen der Vorschrift des Herrn, mit der Hoffnung auf Verzeihung dem Satan übergeben. Darum hat er sie auch für schiffbrüchig im Glauben erklärt, für Leute, die bereits den Trost des Schiffleins der Kirche nicht mehr besitzen. Denn die Vergebung wird denen verweigert, welche vom Glauben aus152) in die Blasphemie gefallen sind. Die Heiden und Häretiker dagegen erheben sich jeden Tag aus der Blasphemie. Wenn er aber auch gesagt hat: „Ich habe sie dem Satan übergeben, damit sie lernen, nicht zu lästern”, so hat er das auf die anderen berechnet, welche, nachdem jene dem Satan übergeben, d. h. aus der Kirche hinausgestoßen waren, lernen sollten, daß man |s426/772 nicht lästern dürfe153). So also hat er auch den Blutschänder dem Satan, zu dem er durch seine mehr als heidnische Sünde bereits übergetreten war, nicht zur Besserung, sondern zum Verderben überliefert, damit man an ihm lerne, keine Unzucht zu treiben.
Endlich sagt er: zum Untergang, nicht zur Peinigung des Fleisches, und verurteilt die Substanz selbst, mittels derer jener abgefallen war, welche von da an bereits dem Untergang verfallen war durch den Verlust der Taufe. „Damit der Geist”, heißt es, „gerettet werde am Tage des Herrn.” Denn auch in Bezug auf diesen Punkt muß man die Frage stellen, ob der Geist desselben154) Menschen gerettet werde? Gerettet also soll werden ein mit einem solchen Verbrechen befleckter Geist, nachdem der Leib deshalb zugrunde gerichtet worden ist? Gerettet soll er sein in der Strafe? Folglich würde die entgegengesetzte Meinung eine Bestrafung ohne Leib annehmen: damit geben wir die Auferstehung des Fleisches preis155). Es bleibt also nur eins übrig, nämlich daß er dem Geist, der unter der Kirche verstanden wird, Rettung zugesprochen habe, d. h. daß er am Tage des Herrn rein dastehen soll von der Befleckung jeglicher Unlauterkeit, nachdem der blutschänderische Unzüchtige hinausgeworfen ist. Denn er fügt hinzu: „Wißt ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?”156) Die blutschänderische Hurerei war aber doch nicht ein wenig Sauerteig, sondern eine ganze Masse.
14. Nachdem diese Zwischenfragen erledigt sind, kehre ich zum zweiten Korintherbriefe zurück, um zu zeigen, daß auch der andere Ausspruch des Apostels: „Für einen solchen Menschen mag genug sein die Zurechtweisung, die von vielen kommt”, nicht auf die Person des Hurers passe. Wenn Paulus erklärt hat, daß er dem Satan übergeben werden müsse zum Verderben des |s427/773 Fleisches, so hat er ihn jedenfalls verurteilt und nicht bloß zurechtgewiesen. Der, bei dem es mit der Zurechtweisung genug sein sollte, war also eine andere Person. Denn der Hurer hatte ja durch Urteilsspruch des Apostels bereits nicht eine Zurechtweisung, sondern seine Verdammung empfangen. Ich lege dir nämlich auch folgende Frage zur Untersuchung vor: Finden sich im ersten Briefe nicht auch noch andere Personen, die den Apostel durch unpassendes Betragen betrübt hatten, und dann ihrerseits durch ihn betrübt wurden, indem sie Zurechtweisungen erhielten im Sinne des zweiten Briefes? Aus der Zahl dieser letzteren konnte dann im zweiten Briefe der eine oder der andere Verzeihung erhalten. Beachten wir, daß der ganze erste Brief sozusagen nicht mit Tinte, sondern mit Galle geschrieben, daß er voll von Aufwallungen, Zorn, Unwillen, Drohungen, Mißmut und in seinen einzelnen Klagepunkten gegen bestimmte Personen gerichtet ist, als wären sie die Hauptschuldigen. Denn so hatten es ihre Spaltungen, Feindschaften, Spannungen, Anmaßungen, Überhebungen und Streitigkeiten notwendig gemacht, daß sie mit Mißbilligungen überhäuft, durch Tadel zurückgewiesen, durch barsche Behandlung gebessert und durch Strenge eingeschüchtert werden mußten.
Und wie beschaffen ist sein Unwille, der sie zur Demut anspornen soll! „Ich danke Gott”, sagt er, ,,daß ich niemanden von euch getauft habe als nur Crispus und Gajus, damit niemand sagen könne, daß ich auf meinen Namen getauft hätte. Denn ich habe nicht dafür gehalten, etwas zu wissen bei euch, außer Jesum Christum, und zwar diesen als den Gekreuzigten”157), Und weiter: ,,Ich glaube, uns Apostel hat Gott als die letzten auserwählt -- etwa wie die Tierkämpfer -- denn wir sind ein Schauspiel geworden für diese Welt, die Engel und Menschen, und wir sind ein Auskehricht dieser Welt geworden, der Abschaum aller”158). Und wiederum: „Bin ich nicht Apostel, habe ich nicht unsern Herrn Jesus Christus geschaut?”159) Wie groß war auf Seite der |s428/774 andem die Überhebung, die ihn nötigte, unumwunden zu erklären: „Mir ist es ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von irgendeinem menschlichen Gerichtstage; denn ich bin mir nichts bewußt” und „meinen Ruhm möge niemand zunichte machen.” „Wisset ihr nicht, daß wir die Engel richten werden?”160) Wie freimütig aber ist seine Rüge, wie blank gezogen das geistige Schwert, wenn er sagt: „Schon seid ihr reich, schon seid ihr gesättigt, schon herrschet ihr”, und „wenn jemand glaubt, er wisse etwas, dann weiß er noch gar nicht, wie man wissen muß”161). Ist es nicht, als wenn er einen ins Gesicht schlüge mit den Worten: „Wer hat dir einen Vorzug gegeben? Was aber hast du, was du nicht empfangen hast? Warum rühmst du dich, als wenn du nicht empfangen hättest?”162) Schlägt er nicht auch jene163) auf den Mund, denen er zuruft: „Manche essen bei ihrem Wissen bis jetzt das Götzenfleisch als Götzenfleisch. Die aber, welche so das Gewissen schwacher Brüder verletzend sündigen, sündigen gegen Christus”?164) Sodann wird er auch persönlich: „Haben wir etwa nicht auch die Befugnis, zu essen und zu trinken und Frauenspersonen mit uns umherzuführen, wie die übrigen Apostel, die Brüder des Herrn und Kephas?” Und an einer anderen Stelle: „Wenn andere ein Verfügungsrecht über euch besitzen, warum nicht vielmehr wir?”165) Er faßt sie auch im Singular: „Darum, wer stehet, der sehe zu, daß er nicht falle”, und: „Wenn jemand streitsüchtig erscheint, wir haben eine solche Gewohnheit nicht, noch auch die Kirche Gottes”166), Wenn er in folgende |s429/775 Schlußformel eine Verwünschung einhüllt: „Wenn jemand den Herrn Jesum nicht liebt, der sei Anathema, Maranatha”167), so hat er damit gewiß irgendeine bestimmte Person getroffen.
Ich will indes lieber bei der Stelle bleiben, wo sich der Apostel noch mehr aufgebracht zeigt, wo der Hurer auch noch anderen Ungelegenheit bereitet hat: „Einige sind aufgeblasen, als wenn ich nicht zu euch kommen würde. Ich werde aber rascher kommen, wenn es der Herr gibt, und Einsicht nehmen, nicht von den Worten derer, die aufgeblasen sind, sondern von ihrer Kraft. Denn das Reich Gottes besteht nicht im Reden, sondern in der Kraft. Was zieht ihr vor, soll ich zu euch kommen mit der Rute oder im Geiste der Milde”168). Was lag denn vor? Dies: „Man hört überhaupt bei euch von Hurerei, und zwar von solcher Hurerei, wie nicht einmal bei den Heiden ist, daß einer die Frau seines Vaters hat. Und da seid ihr noch aufgeblasen, da habt ihr euch nicht vielmehr betrübt, damit der aus eurer Mitte entfernt werde, der eine solche Schandtat begangen hat?”169) Über wen sollten sie trauern? Natürlich über einen Toten, Und zu wem hin sollte ihre Trauer gerichtet sein? Natürlich zum Herrn hin, damit jener auf irgend welche Weise aus ihrer Mitte entfernt werde, sicherlich nicht, damit er aus der Kirche gestoßen würde. Denn das sollte doch nicht von Gott erbeten werden, was zur Pflicht des Vorstehers gehörte, sondern damit er durch den gewöhnlichen Tod des Leibes im buchstäblichen Sinne noch vollständiger aus der Kirche entfernt würde, er, der bereits ein verwesender Leichnam, der durch die unaustilgbare Unzucht eine Modergruft geworden war. Und deshalb sprach der Apostel über einen solchen Menschen das Urteil -- auf diese Weise konnte er vorläufig weggeschafft werden170) -- er sei dem Satan zu übergeben zum Verderben des Leibes. Denn es war die natürliche Folge, daß das Fleisch, welches dem Teufel |s430/776 hingeworfen worden war171), verflucht werden mußte, so daß er des Sakramentes der Segnung172) verlustig erklärt wurde und niemals wieder in das Heerlager der Kirche zurückkehren sollte.
Wir sehen also, daß die Strenge des Apostels hier verteilt sei auf eine aufgeblähte Person und auf eine unzüchtige und sich gegen die eine mit der Rute, gegen die andere mit einem Strafurteil gewappnet habe. Die Rute war es, womit er drohte, die Strafsentenz, die er aussprach; jene war noch erhoben, diese ließ er sofort herniederfahren, durch die eine schalt, durch die andere verdammte er. Und sicher ist, daß von da an der Gescholtene unter der ihm drohenden Rute zitterte, der Verdammte aber unter der sofort eintretenden Strafe zugrunde ging. Der erstere nämlich, der den Schlag fürchtende, steht noch (in ihrer Mitte), der andere aber, der die Strafe büßende173), ist (aus ihrer Mitte) verschwunden.
Als nun derselbe Apostel zum zweiten Male einen Brief an die Korinther schrieb, wurde allerdings eine Verzeihung erteilt, aber es bleibt ungewiß, |s431/777 wem, weil weder die Person noch die Sache bekannt gegeben wird. Ich will die Sachen mit dem Eindruck, den sie hervorrufen, vergleichen174). Wenn der Unzüchtige vor Augen gestellt wird, so steht auch der Übermütige neben ihm. Sicherlich wird man dem, was die Sache fordert gerecht, wenn der Übermütige gescholten, der Unzüchtige aber verworfen wird. Dem Übermütigen wird verziehen, jedoch nur, nachdem er zurechtgewiesen ist, der Unzüchtige erweckt nicht den Anschein175), daß ihm verziehen worden ist, da er verdammt wurde. Wenn demjenigen verziehen wurde, bei dem man fürchtete, der übergroße Kummer werde ihn verzehren, so war der bis dahin nur Zurechtgewiesene176) in Gefahr, verzehrt zu werden, wenn er den Mut verlor ob der Strafandrohung und in Trauer versenkt wurde ob der Rüge; der Verdammte aber wurde als bereits durch Schuld und Strafsentenz verschlungen angesehen, als einer, der gar nicht mehr zu trauern, sondern nur noch für das zu leiden habe, was er vor diesem Leiden hätte betrauern können. Wenn die Vergebung deswegen stattfand, „damit wir nicht vom Satan betrogen würden”, so wurde doch sicherlich Vorsorge gegen Erleidung eines Verlustes nur bei dem getroffen, was noch nicht zugrunde gegangen war; für das, womit es vorbei ist, trifft man keine Vorsorge mehr, sondern nur für das, was |s432/778 noch am Leben ist. Der aber, welcher verurteilt war, und zwar in den Besitz des Satans, der ging für die Kirche bereits verloren, als er diese Schandtat verübte, vollends aber, als er von der Kirche feierlich exkommuniziert wurde. Wie sollte sie noch fürchten, den zu verlieren, den sie einerseits als einen ihr Entrissenen bereits verloren hatte und den sie andererseits als einen Verworfenen gar nicht mehr besitzen konnte? Der Richter endlich, für was wird er Verzeihung geben dürfen? Für das, was er durch Endurteil entschieden, oder für das, was er durch einen Zwischenspruch vertagt hat? Und vollends ein Richter, dessen Gewohnheit es nicht ist, was er zerstört hat, wieder aufzubauen, damit er nicht für einen Übertreter gehalten werde!
Wohlan, wenn die Zahl der Personen, welche der erste Brief in Betrübnis versetzte, auch nicht groß wäre, wenn er niemanden ausgescholten, niemanden in Furcht versetzt, wenn er bloß den Blutschänder allein niedergeschlagen hätte, wenn er ferner bei der Sache des letzteren177) niemanden in Schrecken gesetzt und keinen Aufgeblasenen niedergeschmettert hätte, würde selbst dann deine Vermutung nicht besser, deine Argumentation nicht getreulicher178) sein, wenn du annähmest, damals habe es, im Zusammenhang mit der genannten Sache179), in Korinth noch einen ganz anderen gegeben, der zurechtgewiesen, in Schrecken gesetzt und dann von Kümmernis ganz aufgezehrt wurde, und dieser habe später, da es die Geringfügigkeit seines Vergehens gestattete180), Verzeihung erhalten, als daß du diese Verzeihung auf den blutschänderischen Hurer beziehst? Das hättest du herauslesen sollen, wenn auch nicht aus dem Briefe, dann doch aus der ganzen Handlungsweise des |s433/779 Apostels, indem es deutlicher in seinem Charakter, als durch seine Feder ausgedrückt ist, damit du nicht ihn, einen Paulus, den Apostel Christi, den Lehrer der Völker im Glauben und in der Wahrheit, das Gefäß der Auserwählung, den Gründer der Kirchen, den Zensor über die Kirchenzucht eines solchen Wankelmutes bezichtigtest, als habe er den, den er bald darnach wieder lossprechen wollte, leichtfertiger Weise verdammt, oder umgekehrt den in leichtfertiger Weise losgesprochen, den er doch wahrlich nicht leichtfertig verurteilt hätte, selbst wenn er ihn bloß wegen einfacher Hurerei verurteilt hätte, geschweige denn wegen einer blutschänderischen Ehe gottloser Wollust und vatermörderischer Unzucht, eine Unzucht, die er nicht einmal mit der Unzucht bei den Heiden auf eine Linie gestellt hatte181), damit sie nicht mit dem Herkommen entschuldigt werde, eine Unzucht, über die er abwesend das Urteil gesprochen, damit der Schuldige nicht etwa Zeit gewinne, eine Unzucht, die er sogar mit Anrufung der Autorität des Herrn verdammt hatte, damit die Strafsentenz nicht etwa als eine bloß menschliche angesehen werde. Er hat also mit seinem eigenen Geiste, dem Engel der Kirche182) und der Autorität des Herrn183) nur sein Spiel getrieben, wenn er das Urteil, welches er nach dem Rate dieser gesprochen hatte, wieder vernichtete.
15. Wenn du auch das, was in dem angeführten Briefe weiter folgt, auf die Androhung durch den Apostel ausdehnst, so darf auch dieses keineswegs für die Tilgung der Blutschande in Anspruch genommen werden, damit dem Apostel nicht die Schmach angetan werde, als stimmten seine späteren Gesinnungen mit den früheren nicht überein. Was würde es heißen, wenn er, nachdem er soeben dem blutschänderischen Hurer |s434/780 die Rückkehr in den Kirchenfrieden verliehen hat, sofort scharfe Warnungen hinsichtlich der Verabscheuung der Unzucht, der Beseitigung der Makeln und eindringliche Ermahnungen zur Heiligkeit anreiht, gerade so, als ob er nicht kurz vorher etwas dekretiert hätte, was dem widerspräche? Vergleiche z. B., ob der imstande ist, zu sagen: „Darum, da wir dieses Amt erhalten haben gemäß der Erbarmung, die wir erlangten, lassen wir nicht ab, sondern richten unsere Absage gegen alle heimliche Schlechtigkeit”184), der nicht etwa eine Schlechtigkeit, sondern ein offenbares Verbrechen verziehen185) hat? Ob der irgendeine Unkeuschheit noch entschuldigen kann, der bei Aufzählung seiner Arbeiten nach den Bedrängnissen und Nöten, nach den Fasten und Nachtwachen auch die Keuschheit hervorgehoben hat?186) Ob ferner der jeden beliebigen Verworfenen in die Gemeinschaft wieder aufgenommen haben kann, der da schreibt: „Was haben Gerechtigkeit und Gottlosigkeit miteinander zu tun, welche Gemeinschaft besteht zwischen Licht und Finsternis, welche Übereinstimmung zwischen Christus und Belial? Welchen Anteil hat der Gläubige mit dem Ungläubigen, welche Übereinstimmung der Tempel Gottes mit den Idolen?”187) Würde man ihm nicht frischweg zur Antwort geben müssen: Wie kannst du voneinander scheiden, was du vorhin durch Wiederaufnahme des Blutschänders miteinander verbunden hast? Wenn dieser der Kirche wiederum einverleibt ist, dann befindet sich die Gerechtigkeit in der Gesellschaft der Gottlosigkeit, das Licht steht mit der Finsternis in Gemeinschaft, Belial harmoniert mit Christus, und der Gläubige hat mit dem Ungläubigen Anteil an |s435/781 den Sakramenten. Und was die Idole angeht, siehe da: der Besudler des Tempels Gottes kommt ja sogar in den Tempel. Denn er sagt an dieser Stelle auch: „Ihr seid ein Tempel des lebendigen Gottes, denn es heißt: Ich werde unter ihnen wohnen und wandeln und werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Deswegen weichet aus ihrer Mitte, sondert euch ab und rühret Unreines nicht an”188). Auch dieses189), lieber Apostel, legst du vor, und das tust du gerade dann, wo du einem Ausbund von Unzucht die Hand reichst! Ja du fügst noch den Ausspruch hinzu: „Im Besitz also dieser Verheißung, Geliebte, wollen wir uns reinigen von jeder Befleckung des Geistes und Leibes, vollendend die Keuschheit in der Furcht Gottes”190). Ich bitte dich, wer unserem Geiste solche Grundsätze einprägt, hatte der wohl einen Hurer in die Kirche zurückgerufen? Oder schreibt er es nicht vielmehr deshalb, um jetzt191) bei dir den Schein fernzuhalten, als hätte er einen solchen zurückgerufen?
Diese Stellen müssen sowohl in Bezug auf das Vorangegangene als Prozeßeinreden dienen, als auch für das Folgende zum voraus die Norm feststellen. Wenn er also gegen Ende des Briefes sagt: „Damit mich Gott, wenn ich abermals komme, nicht demütige und ich nicht viele von denen zu beklagen habe, die vorher gesündigt und keine Buße getan haben für die Unzucht, Hurerei und Geilheit, die sie getrieben haben”192), so hat er damit keinesfalls festgesetzt, daß solche Menschen, die er noch in der Kirche finden sollte193), wiederaufgenommen |s436/782 werden sollten, für den Fall, daß sie Buße täten, sondern sie sollten beweint und ohne Zaudern ausgestoßen werden, um von ihrer Buße keinen Nutzen zu haben. Im übrigen aber geht es nicht an, daß er hier über die Erteilung der Gemeinschaft Anweisungen gegeben habe, er, der vorher die Gemeinschaft zwischen Licht und Finsternis, Gerechtigkeit und Gottlosigkeit in Abrede gestellt hatte. Aber die kennen den Apostel nicht, welche eines seiner Worte im Widerspruch zum Charakter und zur Denkart dieses Mannes selbst, sowie gegen die ständige Norm und Regel seiner Lehren deuten und glauben, er, der jegliche Heiligkeit auch durch sein eigenes Leben lehrte, der alle Unreinheit verfluchte und ausfegte und sich immer in dieser Weise zeigte, habe dem Blutschänder und nicht vielmehr einem ändern, der einer geringeren Sünde schuldig war, die Kirchengemeinschaft wieder erteilt.
16. Es ist daher notwendig, den Gegnern fort und fort den Apostel vorzuhalten, von welchem ich beweisen werde, daß er sich im zweiten Briefe an die Korinther gerade so zeige, wie ich ihn in seinen ändern Briefen gefunden habe. Er hat ja bereits im ersten zu allererst den Tempel Gottes eingeweiht: „Wißt ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes seid und der Herr in euch wohnt?”194) Er hat ja auch für die Unverletzlichkeit und Reinigung dieses Tempels die Gotteshausordnung vorgeschrieben: „Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, so wird Gott auch ihn verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr”195). Gut nun, wer wird jemals den von Gott dem Verderben preisgegebenen, d. h. den dem Satan zum Verderben des Fleisches über-gebenen wiederherstellen, zumal er eigens hinzugefügt hat: „Niemand täusche sich selbst”196), d. h. niemand |s437/783 wähne, daß der von Gott dem Verderben preisgegebene abermals wieder hergestellt werden könne? So wie hier hat er unter anderem oder vielmehr vor allem ändern da, wo er den Ehebrechern, Hurern, Weichlingen, Knabenschändern die Erlangung des Himmelreiches abspricht, die Worte vorangeschickt: „Irret euch nicht”197), nämlich wenn ihr glauben wolltet, sie würden es erlangen. Denjenigen aber, welchen das Reich genommen ist, wird auch das Leben nicht mehr zugestanden, das dem Reiche innewohnt. Wenn er ferner einschärft: „Das seid ihr gewesen, nun aber seid ihr abgewaschen, nun seid ihr geheiligt im Namen des Herrn Jesu Christi und im Geiste unseres Gottes”198), so hat er, je leichter er bei diesen Sünden vor der Taufe die Tilgung eintreten läßt, desto nachdrücklicher sie als nach der Taufe unvergebbar hingestellt, da man nicht zum zweiten Male getauft werden kann.
Erwäge auch, daß Paulus in folgenden Aussprüchen als eine nicht wankende Stütze der Sittenzucht erscheint. „Die Speisen sind für den Bauch und der Bauch für die Speisen; Gott wird sowohl diesem als jenen ein Ende machen; der Leib aber ist nicht bestimmt für die Hurerei, sondern für Gott”199); -- Gott sagte: „Lasset uns den Menschen machen nach unserem Bilde und Gleichnisse, und Gott schuf den Menschen; nach seinem Bilde und Gleichnisse schuf er ihn”; „der Herr für den Leib”; -- „das Wort ist Fleisch geworden”200) -- „Gott aber hat den Herrn wieder auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft”, verstehe, wegen der Verbindung unseres Körpers mit ihm. Darum heißt es: „Wisset ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind?”201) -- weil auch Christus der Tempel Gottes ist: „Zerstöret diesen Tempel, und ich werde ihn in drei Tagen wieder herstellen”202). „Soll ich die Glieder Christi nehmen und sie zu Gliedern der Hure machen? |s438/784 Wisset ihr nicht, wer einer Hure anhänget, der wird mit ihr ein Leib. Denn sie zwei werden zu einem Fleische werden. Wer aber dem Herrn anhänget, der ist ein Geist mit ihm. Fliehet die Hurerei”203). Wenn darunter eine solche zu verstehen ist, die durch Verzeihung wieder rückgängig gemacht werden kann, wie soll ich dann sie fliehen, da ich wieder ein Ehebrecher sein werde?204) Es wird mir nichts nützen, wenn ich sie fliehe: ich werde ein Leib mit der sein, mit der ich verbunden bleiben werde, seitdem ich mit ihr in Gemeinschaft trat, „Jede Sünde, die der Mensch begeht, ist außerhalb seines Leibes, wer aber hurt, der sündigt gegen seinen eigenen Leib''205). Und damit du dich nicht dieses Ausspruches zugunsten der Hurerei bemächtigst, als sündigtest du gegen etwas, was dir, nicht dem Herrn gehört, so entzieht er dich gleichsam dir selbst und spricht dich, wie er es vorher schon angeordnet hatte, Christo zu, indem er sofort hinzufügt206): „Ihr gehört nicht euch selbst zu; denn ihr seid erkauft um einen hohen Preis”, nämlich des Blutes des Herrn. „Verherrlichet und traget den Herrn in eurem Leibe!”207) Frage dich, ob, wer solche Vorschriften gibt, einem verziehen haben werde, der den Herrn ver-unehrt und ihn aus seinem eigenen Leibe hinausgeworfen hat, und zwar noch dazu durch Blutschande!
Wenn du vom Apostel eine erschöpfende Kenntnis |s439/785 gewinnen, wenn du einsehen willst, wie er mit der scharfen Axt des Sittenrichters das ganze Gestrüpp der Lüste so umhaut, entwurzelt und ausrottet, daß er jedes neue Aufsprossen ausgeschlossen hat, dann blicke hin auf ihn, wie sehr er wünscht, die Seelen möchten sich auch die erlaubte Frucht der Natur, den Genuß der Ehe versagen! „In Betreff der Dinge aber, wovon ihr geschrieben habt, ist es gut, daß der Mensch kein Weib anrühre. Allein wegen der Hurerei habe jeder seine Ehefrau; der Mann soll dem Weibe und das Weib soll dem Manne die Pflicht leisten”208). Wer wüßte nicht, daß er den Verschluß vor diesem Genüsse nur ungern gelockert hat, um der Hurerei entgegenzuwirken?! Hätte er aber letztere jemandem vergeben oder vergibt er sie ihm, so hat er ja das angeratene Heilmittel entkräftet und er wird verpflichtet sein, durch die Enthaltsamkeit der Ehe die Zügel anzulegen209), wenn man die Hurerei, um derentwillen die Ehe gestattet wird, nicht mehr zu fürchten braucht. Denn, was Vergebung findet, wird kein Gegenstand der Furcht mehr sein.
Und doch gesteht er offen, den Gebrauch der Ehe nur nachgesehen, nicht aber befohlen zu haben. Er will ja, daß alle seien wie er. Wenn aber bei dem, was Adam erlaubt war210), eine Nachsicht statt hat, wer wird eine |s440/786 solche für das Unerlaubte hoffen? Auch den Unverheirateten und Witwen, sagt er, sei es gut, wenn sie nach seinem Beispiele so blieben, wenn sie aber keine Kraft dazu besitzen, sollen sie heiraten, da es besser sei zu heiraten, als Brunst zu leiden211). In welchem Feuer zu brennen, so frage ich, ist schlimmer, im Feuer der Begierde oder im Feuer der Strafe? Wenn aber die Hurerei Verzeihung findet, so wird die Begierde darnach nicht mehr brennen212). Nein, es ist dem Apostel mehr darum zu tun213), gegen das strafende Feuer Vorsorge zu treffen. Wenn es aber die Strafe ist, die brennt214), dann gibt es keine Vergebung für die Hurerei, die da von dem Feuer der Strafe verbrannt werden wird215). Indem der Apostel daneben auch die Ehescheidung verbietet, setzt er an Stelle derselben entweder das Verharren in der Witwenschaft oder nach der Vorschrift des Herrn die Wiederherstellung des Friedens, um dem Ehebruch entgegenzuwirken; denn „wer sein Weib entläßt außer wegen Ehebruchs, der macht, daß sie die Ehe bricht, und wer eine vom Manne Geschiedene heiratet, der |s441/787 bricht die Ehe”216). Wie viele Gegenmittel hat doch der Hl. Geist geschaffen, damit das nicht wieder begangen werde, wofür er keine Vergebung mehr erteilen will!
Wenn er dann in einem fort sagt, es sei das beste für den Menschen, so zu bleiben: „Bist du an die Frau gebunden, so verlange nicht nach Lösung”, damit du dem Ehebruch keinen Raum gebest „bist du aber gelöst, so verlange nicht nach einer Ehegattin”, um dir deine vorteilhaftere Lage zu bewahren; wenn du aber auch eine Gattin nimmst und wenn die Jungfrau heiratet, so sündigt sie nicht, doch werden solche Bedrängnisse im Fleische haben217) -- so gewährt er auch an diesen Stellen nur aus Schonung Erlaubnis. Aber er hat übrigens die Zeit für „bedrängt” erklärt, „so daß auch die, welche Frauen haben, sein sollen, als hätten sie keine. Denn es vergeht die Gestalt dieser Welt”218), sie hat das „Wachset und mehret euch” bereits nicht mehr nötig.
Er will also, daß wir ohne Sorgen leben, weil die Unverheirateten an Gott denken, wie sie ihm gefallen können; die Verheirateten aber denken an die Welt, wie sie ihren Gatten gefallen”219). Daher erklärt er, wer eine Jungfrau als solche erhalte, tue besser, als wer sie weggibt. So entscheidet er auch, jene sei die Glücklichere, die, nach Verlust ihres Mannes den Glauben annehmend, diese Gelegenheit zum Witwenstande willkommen heiße220). Wenn er nun alle diese Ratschläge zur Enthaltsamkeit als göttliche empfiehlt -- er sagt nämlich: „Auch ich glaube, den Geist Gottes zu haben”221) --, wer ist dann dieser freche Vertreter der Unlauterkeit, dieser wahrhaftig getreuliche Anwalt der Ehebrecher, Hurer und Blutschänder, zu deren Ehrenrettung er sich dieser Sache gegen den Hl. Geist annahm, um falsches Zeugnis gegen dessen Apostel zu geben? Paulus hat keine solche Indulgenz gegeben, er, der es unternimmt, |s442/788 alle fleischlichen Verbindlichkeiten, auch wenn sie auf rechtschaffenen Titeln beruhen, zu vernichten. Er gibt wohl Indulgenz, aber nicht für Ehebrecher, sondern für das Heiraten; er gewährt wohl Schonung, aber für die Ehe, nicht für die Hurerei. Er strebt dahin, nicht einmal der Natur nachzugeben, um nicht der Sünde Vorschub zu leisten. Er sucht sogar die Art des geschlechtlichen Umgangs, die den Segen empfangen hat222), einzuschränken, um für die verfluchte keine Entschuldigung zu lassen. Nur die Aufgabe war noch für ihn übrig, das Fleisch auch von den Unsauberkeiten zu reinigen; denn von den Befleckungen kann er es nicht reinigen. Allein es ist so die Gewohnheit bei den verkehrten und unwissenden Häretikern, ja auch schon bei sämtlichen Psychikern, die zufällige Zweideutigkeit irgendeiner Stelle als Waffe gegen ganze Armeen von Grundsätzen der ganzen Hl. Schrift zu gebrauchen.
17. Fordere die apostolische Schlachtreihe heraus! Blicke hin auf seine Briefe: sie kämpfen sämtlich für die Ehrbarkeit, für die Keuschheit, für die Heiligkeit; alle werfen ihre Geschosse gegen die Werke der Ausschweifung, Geilheit und Wollust, Was schreibt er an die Thessalonicher? „Unsere Aufmunterung kommt nicht aus Irrwahn, noch aus Unlauterkeit”, und „das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, daß ihr euch enthaltet von der Hurerei, jeder von euch wisse sein Gefäß zu besitzen in Heiligkeit und Anstand, nicht in der Lust der Begierde, wie die Heiden, welche Gott nicht kennen”223). Was bekamen die Galater zu lesen? „Die Werke des Fleisches sind offenbar.” Welche denn? Voran stellt er die Hurerei, Unreinheit und Geilheit, „in Betreff derer ich euch verkündige, wie ich euch bereits verkündigt habe: die, welche solches tun, werden das Reich Gottes nicht ererben”224).
Die Römer aber, was sollen sie vor allem lernen, als gerade Gott nach Annahme des Glaubens nicht mehr zu |s443/789 verlassen, „Was also wollen wir sagen? Sollen wir beharren in der Sünde, damit die Gnade um so reichlicher werde? Das sei fern! Wir sind der Sünde abgestorben, wie könnten wir noch in ihr leben? Oder wisset ihr nicht, daß wir, die wir getauft sind, auf Christus, auf seinen Tod getauft sind? Wir sind also durch die Taufe mit ihm begraben in den Tod, damit, wie Christus von den Toten auferstanden ist, auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln. Denn, wenn wir mit ihm begraben sind in Verähnlichung seines Todes, so werden wir es auch sein in seiner Auferstehung, wissend, daß unser alter Mensch mit ihm ist gekreuzigt worden. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir auch, daß wir mit ihm leben werden, wissend, daß Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt und der Tod nicht mehr herrscht über ihn. Denn was er gestorben, ist er der Sünde gestorben ein für allemal, was er aber lebt, lebt er für Gott. Daher erachtet auch euch selbst als solche, die abgestorben sind der Sünde, aber für Gott leben durch Christus Jesus”225), Da also Christus ein für allemal gestorben ist, so kann niemand, der nach Christus gestorben ist226), der Sünde und noch dazu einer so großen wieder aufleben. Oder aber, wenn Hurerei und Ehebruch abermals könnten Einlaß erhalten, so wäre es auch möglich, daß Christus abermals stürbe.
Der Apostel fährt fort mit seinen Verboten, daß die Sünde in unserem sterblichen Leibe herrschen soll, dessen Fleischesschwäche er kennen gelernt hatte. „Wie ihr eure Glieder dargeboten habt, zu dienen der Unzucht und Gottlosigkeit, so bietet sie nun auch dar für den Dienst der Gerechtigkeit zur Heiligkeit”227), Wenn er auch in Abrede gestellt hatte, „daß etwas Gutes in seinem Fleische wohne”228), so war das nach dem Gesetz des Buchstabens geschehen, in dem er gelebt hatte; nach dem Gesetz des Geistes aber, an das er uns weist, sagt er: „Das Gesetz des Geistes des Lebens hat mich frei |s444/790 gemacht vom Gesetze der Sünde und des Todes”229). Obwohl es zum Teil den Anschein hat, als wenn er vom Standpunkte des Judentums aus spräche, so richtet er doch die sittlichen Vorschriften in ihrer Vollständigkeit und Vollkommenheit an uns, um derentwillen Gott, da wir unter dem Gesetz uns abmühten, „seinen Sohn im Fleische sendete, in der Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde, und wegen der Sünde verdammte er die Sünde im Fleische, damit das Recht des Gesetzes an uns erfüllt werde, die wir nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln. Denn die, welche nach dem Fleische wandeln, sinnen auf das, was des Fleisches ist, und die nach dem Geiste auf das, was des Geistes ist”230). Die Gesinnung des Fleisches bezeichnete er als Tod, sodann als Feindschaft gegen Gott. „Die, welche im Fleische leben”, sagt er, d. h. in der Gesinnung des Fleisches, „können Gott nicht wohlgefällig sein”, und „wenn ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr sterben”231). Was verstehen wir unter fleischlicher Gesinnung und fleischlichem Leben anders als die Dinge, welche man sich schämt, auszusprechen? Sonstige Dinge, die das Fleisch angehen, hätte auch der Apostel mit ihrem Namen benannt.
Ebenso rückt er den Ephesern die Vergangenheit vor und ermahnt sie für die Zukunft. „In solchen Dingen sind auch wir gewandelt, tuend nach den Begierden und Lüsten des Fleisches”232). Er beschuldigt endlich jene, welche abgeleugnet hatten, nämlich Christen zu sein, der Undankbarkeit233), weil sie sich Werken jeglicher Unreinheit hingegeben hatten, und sagt: „Ihr aber, ihr habt Christum nicht so kennen gelernt”234). Und wiederum, wenn er sagt: „Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr”235), verschweigt er236): Wer bisher ein Ehebrecher |s445/791 war, der breche die Ehe nicht mehr, und wer ein Hurer war bisher, der hure nicht mehr. Dies nämlich hätte er sicher hinzugefügt, wenn er die Gewohnheit gehabt hätte, solchen Verzeihung zu gewähren, oder gewollt hätte, daß sie ihnen überhaupt gewährt werden solle, er, der, weil er nicht wollte, daß man sich auch nur mit einem Worte beflecke, sagt: „Keine schändliche Rede gehe hervor aus deinem Munde”237), und ebenso: „Hurerei und jegliche Unreinheit soll unter euch nicht einmal genannt werden, wie es bei Heiligen sich geziemt” -- um wieviel weniger würde er für das Begehen derselben eine Entschuldigung zulassen --, „die da wissen, daß kein Hurer oder Unreiner das Reich Gottes besitzen wird. Niemand verführe euch mit leeren Worten! Deswegen kam der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens”238). Wer verführt denn mit leeren Worten, wenn nicht der, der predigt, daß der Ehebruch nachlaßbar sei, und dabei nicht einmal bedenkt, daß vom Apostel auch die Fundamente desselben zerstört wurden, indem er der Trunkenheit und Schlemmerei die Zügel anlegt, wie z. B. aa der unmittelbar folgenden Stelle: „Wollet euch nicht berauschen mit Wein, worin Unkeuschheit ist”239). Er zeigt auch den Kolossern, welche Glieder sie töten sollen auf Erden: „Die Hurerei, Unreinheit, Geilheit, böse Begierlichkeit und Zotenreißerei”240).
Gib doch nun nach allen diesen zahlreichen Aussprüchen den Satz auf, an dem du festhältst! Das |s446/792 Wenige wird durch das Viele, das Unsichere durch das Gewisse, das Undeutliche durch das Deutliche in den Schatten gestellt. Wenn es auch sicher wäre, daß der Apostel jenem Korinther die Hurerei verziehen hätte, so wäre das nur ein zweiter Beleg dafür, daß er für einmal den Zeitumständen entsprechend gegen seine eigene Anordnung gehandelt hat. Er beschnitt ja auch den einzigen Timotheus, und doch schaffte er die Beschneidung ab.
18. Allein diese Aussprüche zielen, so sagt er, dahin, jegliche Unzucht zu untersagen und vollständige Keuschheit zu diktieren, wobei jedoch für die Verzeihung Raum gelassen wird. Letztere ist nicht sofort versagt, wenn gegen die Vergehungen eine Verdammung ausgesprochen wird, da ja die Zeit für die Verzeihung mit der Verdammung konkurriert, und letztere durch sie aufgehoben wird241). -- Es konnte nicht ausbleiben, daß die Psychiker auch auf diesen Gedanken verfielen; daher haben wir für diesen Abschnitt die Auseinandersetzung der Bestimmungen aufgespart, welche klar und deutlich gegen eine Erteilung der Kirchengemeinschaft in solchen Fällen, selbst in der alten Zeit, getroffen worden sind242).
Schon in den Sprichwörtern Salomos, welche wir παροιμίαι nennen, heißt es speziell vom Ehebruch als von etwas nicht wieder gut zu Machendem: „Der |s447/793 Ehebrecher bringt durch Niedrigkeit seiner Gedanken Verderben über seine Seele; Unehre und Schande warten seiner. Seine Schmach wird nicht vertilgt in Ewigkeit; denn der eifernde Grimm schont nicht des Mannes am Tage des Gerichts”243). Wenn du der Ansicht sein solltest, dieser Ausspruch beziehe sich auf die Heiden, so hast du sicher von Isaias hinsichtlich der Gläubigen den Ausspruch vernommen: „Ziehet aus aus ihrer Mitte, sondert euch ab und rühret Unreines nicht an”244). Du findest im Anfang der Psalmen: „Selig der Mann, der nicht geht zum Rate der Gottlosen, noch auf dem Wege der Sünder steht und auf dem Stuhle des Verderbens nicht sitzt”245). Nachher heißt es da: „Ich habe nicht gesessen in der Ratsversammlung der Toren und werde nicht eingehen zu den Übeltätern, ich haßte die Versammlung der Übeltäter, und bei den Gottlosen werde ich nicht sitzen” und „ich will mit den Unschuldigen meine Hände waschen und zu Deinem Altar hinzutreten, o Herr”246), einer so gut wie mehrere; denn es heißt auch: „Mit dem Heiligen wirst du heilig und mit dem unschuldigen Manne wirst du unschuldig sein; mit dem Auserwählten wirst du auserwählt und mit dem Verkehrten verkehrt sein”247). Und anderswo heißt es: „Zu dem Sünder spricht der Herr: Warum verkündigest du meine Gerechtigkeiten und nimmst in den Mund meinen Bund? Wenn du einen Dieb sähest, so liefest du mit ihm und machtest Gemeinschaft mit den Ehebrechern”248). Aus diesen Quellen Belehrung schöpfend, sagt der Apostel: „Ich habe euch auch geschrieben, ihr solltet mit Hurern nicht umgehen, natürlich nicht mit Hurern dieser Welt” usw., „sonst müßtet ihr ja aus der Welt hinausgehen. Jetzt aber schreibe ich euch: Wenn bei euch einer ein Mitbruder heißt, der ein Hurer oder Götzendiener ist” -- wie sind sie doch so eng verbunden! -- „oder ein Betrüger” -- denn was ist so nahe miteinander |s448/794 verwandt! -- usw., „mit solchen sollt ihr gemeinschaftlich nicht einmal Speise nehmen” -- geschweige denn die Eucharistie, -- „denn auch ein wenig Sauerteig verdirbt die ganze Masse”249). Ebenso schreibt er an Timotheus: „Lege niemandem vorschnell die Hände auf und nimm nicht teil an fremden Sünden”250), ebenso an die Epheser: „Wollet nicht ihre Mitgenossen sein; denn ihr wäret einmal auch Finsternis”251). Noch eindringlicher ist folgendes: „Wollet nicht teilnehmen an den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr überwindet sie! Denn was in der Verborgenheit von ihnen geschieht, ist schimpflich auch nur auszusprechen”252). Was ist schimpflicher als Unkeuschheiten? Wenn er den Thessalonichern gebietet, sich einem dem Müßiggange ergebenen Bruder zu entziehen253), um wieviel mehr noch einem Hurer!
Das sind die Ratschläge Christi, der die Kirche liebt, „der sich für sie dahingegeben hat, auf daß er sie heilige, sie reinigend durch das Bad des Wassers in seinem Wort, und sich eine Gemeinde in Herrlichkeit herstelle ohne Makel und Runzel” -- natürlich nach dem Bade, -- „damit sie heilig sei und ohne Fehl”254), von da an natürlich ohne Runzel des Alters, wie eine Jungfrau, ohne Makel der Hurerei, wie eine Braut, ohne die Schande der Gemeinheit, wie eine Gereinigte.
Wie, wenn du nun auf die Idee verfielest, uns auch hier zur Antwort zu geben, es werde allerdings den Sündern, vor allem den durch fleischliche Vergehen Befleckten, die Kirchengemeinschaft genommen, aber nur für jetzt, sie sei ihnen indes, wohlgemerkt, infolge des Wetteifers der Buße255) wieder zurückzugeben, wie es der Barmherzigkeit Gottes entspreche, gemäß der er lieber die Buße des Sünders will als seinen Tod. -- Dieses Fundament eurer Anschauung muß nämlich bis |s449/795 auf den Grund zusammengeschlagen werden. Wir behaupten daher, wenn es der göttlichen Milde angemessen gewesen wäre, den Erweis derselben auch den nach der Annahme des Glaubens Gefallenen zu gewähren, so würde sich der Apostel in folgender Weise ausgedrückt haben: Wollet nicht Gemeinschaft haben mit den Werken der Finsternis -- außer wenn sie Buße getan haben, und mit solchen Leuten sollt ihr nicht einmal Speise genießen -- außer nachdem sie sich vor den Brüdern am Boden gewälzt und ihnen die Schuhe abgeputzt haben, und wer den Tempel Gottes verunehrt hat, den wird Gott verderben -- außer wenn er in der Kirche die Asche von allen Kochherden für seinen Kopf verbraucht hat. Denn er hätte für das, was er verdammte, ebenfalls die genaue Bestimmung beigeben müssen, für wie lange und unter welcher Bedingung er es verdammte, falls seine Strenge im Verdammen wirklich nur eine zeitweilige und bedingte, keine dauernde war. Da er nun aber in allen seinen Briefen, und zwar nach Annahme der Taufe die Zulassung solcher Leute untersagt und die Zugelassenen aus der Gemeinschaft stößt, ohne alle Hoffnung auf irgendeine Bedingung oder Frist, so steht er mehr auf seiten unserer Ansicht und gibt zu erkennen, jene Buße, welche vor Annahme des Glaubens, vor der Taufe stattfindet, sei dem Herrn willkommener und gelte für besser als der Tod des Sünders, welch letzterer einmal256) abzuwaschen ist durch die Gnade Christi, der auch nur einmal für unsere Sünden den Tod erlitten hat.
Dies statuiert der Apostel auch an seiner eigenen Person. Er sagt nämlich, Christus sei zu dem Zwecke gekommen, die Sünder zu erretten, „deren erster er selbst gewesen sei”, und was fügt er hinzu? „Ich habe Barmherzigkeit gefunden, da ich in Unwissenheit gehandelt habe, im Unglauben”257). So bezieht sich denn jene Milde Gottes, welche lieber die Bekehrung des Sünders will als seinen Tod, auf die noch Unwissenden und Ungläubigen, um deren Erlösung willen Christus gekommen ist, nicht auf die, welche Gott bereits |s450/796 erkahnt und die Geheimnisse des Glaubens kennen gelernt haben. Wenn nun Unwissenden und Ungläubigen die Nachsicht Gottes zugute kommt, dann zieht sicherlich die Buße die Nachsicht auf sich herab, unbeschadet übrigens jener Art der Buße, die nach Annahme des Glaubens stattfindet und durch welche man für die leichteren Fehler Vergebung vom Bischöfe erlangen kann, oder für die größeren und unvergebbaren von Gott allein.
19. Doch warum spreche ich beständig nur von Paulus, da ja auch Johannes, ich weiß nicht wie, die Gegenpartei zu unterstützen scheint? Er habe in der Apokalypse unumwunden der Hurerei das Hilfsmittel der Buße an der Stelle in Aussicht gestellt, wo der Geist an den Engel der Thyatirener die Bestellung ergehen läßt, er habe das gegen ihn, daß das Weib Jezabel258), „die sich eine Prophetin nennt, lehrt und meine Knechte verführt, Hurerei zu treiben und vom Götzenopfer zu essen. Ich habe ihr Zeit gegeben, Buße zu tun, und sie will sie nicht antreten für ihre Hurerei. Siehe, ich werde sie auf das Krankenlager bringen und ihre Buhlen mit ihr in die größte Bedrängnis, wenn sie nicht Buße tun für ihre Werke”259).
Ein Glück ist es, daß die Apostel in Bezug auf die Regeln des Glaubens und der Disziplin miteinander harmonieren. „Sei es nun ich oder sie”, heißt es, „so predigen wir”260). Es liegt im Interesse des Gesamtchristentums, nichts als von Johannes zugestanden anzusehen, was von Paulus untersagt ist. Wer an dieser Gleichförmigkeit des Hl. Geistes festhält, der wird von ihm selbst in das Verständnis seiner Worte261) eingeführt. Der Betreffende führte ein häretisches Weib, welches, |s451/797 was sie bei den Nikolaiten gelernt, zu lehren unternahm, heimlich in die Kirche ein und drang mit Recht bei ihr auf Buße, Denn wem könnte es zweifelhaft sein, daß ein Häretiker, der durch die häretische Lehre getäuscht wurde262), wenn er nacher sein Unglück erkannt und durch Buße gesühnt hat, Vergebung erlangt und in die Kirche zurückgebracht wird? Daher wird bei uns263) der Häretiker, als dem Heiden gleich, ja noch über ihm stehend, durch die wahre Taufe von beidem264) gereinigt und dann zugelassen. Oder wenn du dessen gewiß bist, daß jenes Weib nach Annahme des lebendigen Glaubens in Häresie verfiel, und für sie mithin nicht als für eine häretische, sondern als für eine rechtgläubige Sünderin Vergebung durch die Buße in Anspruch nimmst, dann mag sie immerhin Buße tun, allein nur so, daß ihr ehebrecherischer Wandel ein Ende nehme, nicht so, daß sie auch die Wiederaufnahme erlange. Das wäre die Buße, deren Pflichtmäßigkeit wir noch viel bereitwilliger anerkennen, was aber die Vergebung angeht, so stellen wir diese Gott anheim.
Und so hat denn dieselbe Apokalypse in den folgenden Kapiteln auch die Schamlosen und die Hurer, so gut wie die Feiglinge, Ungläubigen, Mörder, Giftmischer und Götzendiener, welche dies nach Annahme der Taufe geworden sind, in den Feuerpfuhl verwiesen, ohne Einschränkung betreffs der Verdammung. Denn sie wird doch nicht den Anschein erwecken können, als meine sie die Heiden, wenn sie von den Gläubigen gesagt hat: „Die, welche überwinden, werden jene Erbschaft besitzen, ich werde ihr Gott sein, und sie werden meine Kinder sein”, und dann also weiter fortfährt: „Die Feiglinge, Ungläubigen, Schamlosen, Hurer, Mörder, |s452/798 Giftmischer und Götzendiener haben ihren Anteil im Pfuhl des Feuers und Schwefels, welches der zweite Tod ist”265). So heißt es auch wiederum: „Selig, welche nach den Geboten handeln, auf daß sie Anrecht haben am Baume des Lebens und eingehen durch die Tore in die heilige Stadt. Die Hunde, die Giftmischer, die Hurer und Mörder sind draußen”266), natürlich, weil sie nicht nach den Geboten handeln. Denn nur die können hinausgeworfen werden, die darin gewesen sind. Im übrigen ging der Grundsatz voraus: „Was habe ich über die, so draußen sind, zu urteilen?”267)
Auch aus dem Briefe des Johannes greifen sie eine Stelle heraus. Gleich am Anfange steht268): „Das Blut seines Sohnes reinigt uns von jeder Sünde”269). Also dürfen wir wohl ohne Unterlaß und auf jede Weise sündigen270), wenn er uns immer und von jeder Sünde reinigt, wenn aber nicht immer, dann auch nicht nach Annahme des Glaubens, und wenn nicht von jedem271) Verbrechen, dann auch nicht von der Hurerei. Wovon war Johannes an dieser Stelle ausgegangen? Er hatte Gott als das Licht gepriesen, Finsternis sei nicht in ihm, und wir lögen, wenn wir sagten, wir hätten Gemeinschaft mit ihm und wandelten doch in der Finsternis. „Wenn wir”, heißt es, „im Lichte wandeln, so werden wir Gemeinschaft mit ihm haben272), und das Blut Christi, unseres Herrn, reinigt uns von jeder Sünde.” Also im Lichte wandelnd, sündigen wir, und im Lichte sündigend, werden wir gereinigt? Keineswegs, Wer sündigt, der |s453/799 befindet sich nicht im Lichte, sondern in der Finsternis. Daher zeigt Johannes auch, in welcher Weise wir von der Sünde gereinigt werden, wenn wir im Lichte wandeln, in welchem eine Sünde nicht vorkommen kann: wir werden von Gott gereinigt, sagt er, nicht insofern, als ob wir noch sündigten, vielmehr insofern, daß wir gar nicht sündigen. Denn wenn wir im Lichte wandeln, so haben wir an der Finsternis keinen Teil und werden als Gereinigte wandeln, nicht insofern wir ein begangenes Vergehen abgelegt haben, sondern insofern wir kein Vergehen mehr begehen. Das ist die Wirkung des Blutes des Herrn, daß die, welche es von der Sünde gereinigt und von da an in das Licht versetzt hat, von da an in der Reinheit fest verharren273), wenn sie fortfahren, im Lichte zu wandeln.
Aber, wendest du ein, er fügt ja bei: „Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht und erläßt sie uns und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit”274) . -- Etwa auch von der Unzucht? Wenn aber dies, dann auch vom Götzendienst! Doch nein, es verhält sich mit dem Sinn der Stelle anders. Denn siehe, es heißt wiederum auch: „Wenn wir sagen, wir hätten nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns”275), und weiter: „Kindlein, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündiget, und wenn ihr gesündigt habt, so haben wir einen Fürsprecher bei Gott dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten, und er selbst ist die Versöhnung für unsere Sünden”276). Demgemäß, behauptest du, stehe es fest, sowohl daß wir sündigen, als daß wir Verzeihung finden, -- Wie steht es aber, wenn ich weiter gehend finde, daß es anders |s454/800 gemeint ist?277) Johannes leugnet nämlich, daß wir überhaupt Sünden begehen, und bringt vieles zu dem Zweck278) vor, nichts derart zuzugeben, indem er vor Augen stellt, Christus habe ein für allemal die Sünden nachgelassen, die nachher keine Vergebung mehr finden sollen, wobei er folgende Stellen279) für die Ermahnung zur Keuschheit vorlegt. „Jeder”, heißt es, „der diese Hoffnung hegt, der macht sich selbst keusch, weil auch er (Gott) keusch ist. Jeder, der Sünde tut, der begeht auch Ungerechtigkeit, und die Sünde ist Ungerechtigkeit. Und ihr wißt, daß jener erschienen ist, um die Sünden hinwegzunehmen”280), die sicherlich nur bis dahin begangen werden durften. Denn er fügt bei: „Jeder, der in ihm bleibt, der sündigt nicht, jeder, der sündigt, der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt. Kindlein, niemand täusche euch! Jeder, der die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie auch jener gerecht ist. Wer Sünde tut, der ist aus dem Teufel, weil der Teufel von Anfang an sündigt. Denn dazu ist der Sohn Gottes geoffenbart worden, um die Werke des Teufels zu zerstören”281). Er hat sie auch zerstört, indem er den Menschen befreite durch die Taufe, nachdem die Handschrift des Todes getilgt ist282). Und darum „tut niemand, der aus Gott geboren ist, Sünde, weil der Same Gottes in ihm bleibt, und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist. Darin sind |s455/801 offenbar die Kinder Gottes und die Söhne des Teufels”283). Worin also? Worin anders als nur darin, daß jene keine Sünden begehen, seitdem sie aus Gott geboren sind, diese aber sündigen, da sie aus dem Teufel sind, gerade so, als wären sie niemals aus Gott geboren. Wenn er nun sagt, „wer nicht gerecht ist, der ist nicht aus Gott”284), wie wird dann der Unzüchtige, welcher aufgehört hat, aus Gott zu sein, es wiederum sein können?
Es läge also nahe, zu sagen, Johannes sei sich selbst untreu geworden, da er im Anfang des Briefes leugnet, daß wir ohne Sünde sind, nun aber die Gegeneinrede erhebt, daß wir überhaupt nicht sündigen, da er ferner dort in etwa mit der Hoffnung auf Vergebung schmeichelt, hier aber allen denen, welche gesündigt haben, den Namen Kinder Gottes entschieden verweigert. Doch das sei fern! Denn auch wir selbst sind uns nicht untreu geworden in dem Punkte, wovon wir ausgegangen sind, der Unterscheidung nämlich zwischen den Sünden, und hier ist die Stelle, wo Johannes sie bestätigt hat, daß es nämlich gewisse Sünden gibt, die uns täglich zustoßen, denen wir alle ausgesetzt sind. Denn wem wird es nicht passieren, daß er einmal mit Unrecht zürnt, sogar über Sonnenuntergang hinaus, daß er einmal zuschlägt, leicht flucht, leichtfertig schwört, sein gegebenes Wort nicht hält und eine Scham- oder Notlüge begeht? Im Geschäft, im Amt, im Erwerb, beim Sehen und Hören sind wir so vielen Versuchungen ausgesetzt, daß niemand zum Heile gelangt, wenn es für solche Dinge keine Vergebung gibt. Für solche Sünden wird es also Verzeihung geben durch Christus, den Fürbitter beim Vater.
Es gibt aber auch Sünden, die ganz anders geartet sind als diese, die viel schwerer und ganz verderblich sind und bei denen die Vergebung ausgeschlossen ist: Mord, Götzendienst, Betrug, Ableugnung des Glaubens, Gotteslästerung, in jedem Falle auch Ehebruch und Hurerei, und was es sonst noch für Verletzungen des Tempels Gottes gibt285). Für solche Sünden ist Christus |s456/802 ferner kein Fürbitter mehr. Solche Sünden begeht der überhaupt nicht, der aus Gott geboren ist, und er wird aufhören, Kind Gottes zu sein, wenn er sie begangen hat. Somit wird ein Grund vorhanden sein für die verschiedene Ausdrucksweise bei Johannes, da er einen Unterschied unter den Sünden aufstellen will, wenn er bald bejaht, bald verneint, daß die Kinder Gottes sündigen. Er sah nämlich schon auf die Schlußstelle seines Briefes hin und arbeitete ihr durch die genannten Stellen vor, um gegen Ende deutlicher auszusprechen: „Wenn jemand weiß, daß sein Bruder eine Sünde begangen habe nicht zum Tode, so wird er für ihn bitten, und Gott wird dem das Leben geben, der nicht sündigte zum Tode. Es gibt nämlich eine Sünde zum Tode, und ich sage nicht, daß einer dafür bitte”286). Er hatte seinerseits nicht vergessen, daß dem Jeremias von Gott verboten worden war, für das Volk, welches Todsünden beging, zu beten287). „Jede Ungerechtigkeit ist Sünde, und es gibt eine Sünde zum Tode. Wir wissen aber, daß jeder, der aus Gott geboren ist, keine Sünde begeht”288), d. h. keine Sünde, welche zum Tode ist. So bleibt dir denn jetzt nichts mehr übrig, als entweder zu leugnen, Ehebruch und Hurerei seien Todsünden, oder einzugestehen, sie seien unvergebbar und Vergehungen, für welche nicht einmal zu bitten erlaubt ist.
20. Die Disziplin also setzen zwar schon die an erster Stelle und ausschlaggebend in Betracht kommenden eigenen Schriften der Apostel als eine solche fest, die als Vorsteherin Wache hält über die volle Heiligkeit des Tempels Gottes und jeden sakrilegischen Frevel gegen die Keuschheit schonungslos überall aus der Kirche ausrottet, ohne die geringste Erwähnung einer Wiederaufnahme289). Ich will jedoch zum Überfluß |s457/803 auch noch das Zeugnis eines Begleiters der Apostel hinzufügen, welches geeignet ist, die Disziplin der Lehrer, und zwar mit unmittelbar folgendem Recht, zu bestätigen. Es ist nämlich ein an die Hebräer gerichtetes Schreiben des Barnabas vorhanden290). Der |s458/804 selbe war ein von Gott hochgeehrter Mann, da ihn Paulus in Beobachtung der Enthaltsamkeit sich zur Seite stellte, da er in einem Zuge fortfährt: „Haben denn bloß ich und Barnabas nicht das Recht zu arbeiten?”291) Jedenfalls ist der Brief des Barnabas bei den Kirchen mehr angenommen292) als jener apokryphe „Pastor” der Ehebrecher.
Indem Barnabas also die Schüler ermahnt, mit Beiseitelassung aller Anfangsstufen nach der Vollkommenheit zu streben und nicht wieder den Grund in der Buße über tote Werke293) zu legen, sagt er: „Es ist unmöglich, daß diejenigen, welche einmal erleuchtet sind, das himmlische Geschenk gekostet, an dem Hl. Geiste teilgenommen und die Süßigkeit des Wortes Gottes gekostet haben, wenn sie, da die Welt sich bereits zum Untergang neigt294), abgefallen sind, wiederum zur Buße berufen werden, sie, die den Sohn Gottes in ihrer Person wieder ans Kreuz schlagen und verspotten. Denn das Land, welches öfters die darauf herabrinnende Feuchtigkeit getrunken und Früchte gebracht hat, denen zum Nutzen, um derentwillen es bebaut wird, empfängt Segen von Gott; trägt es aber Dornen, so ist es verworfen und dem Fluche nahe, sein Ende ist Verbrennung”295). Wer dies von dem Apostel gelernt und mit den Aposteln gelehrt hat, der wußte, daß dem Ehebrecher und Hurer |s459/805 von den Aposteln keine zweite Buße in Aussicht gestellt sei. Denn dafür erklärte er das Gesetz zu gut, und was dessen Figuren vorbilden, besaß er bereits in der Wirklichkeit.
In Bezug auf diesen Punkt der Disziplin war nämlich in Bezug auf die Aussätzigen folgende Bestimmung getroffen: „Wenn der Ausschlag heraussproßt auf die Haut und die ganze Haut bedeckt hat von Kopf bis zu Füßen, wo man hinblickt, und der Priester ihn beschaut hat, so soll er ihn für rein erklären; weil er weiß geworden, ist er rein. An welchem Tage aber an einem solchen sich rohes Fleisch zeigt, ist er befleckt”296). Denn wenn der Mensch sich bekehrt vom früheren Aussehen seines Fleisches zur Weiße des Glaubens, welcher vor der Welt als ein Fehler und Flecken gilt, so sollte der Gereinigte auch für ganz erneuert angesehen werden, da er bereits nicht mehr bunt vom Ausschlag und weder vom alten noch von einem neuen Ausschlag befleckt ist. Wenn aber nach der Reinigung wieder etwas an seinem Fleische von dem, was der Sünde abgestorben zu sein schien, wiederauflebt, so daß der frühere Zustand wieder da ist297), so sollte er für unrein erklärt und nicht mehr vom Priester gereinigt werden. So ist der Ehebruch, der aus der Vergangenheit sich wiederholt und die eine neue Farbe, von der er ausgeschlossen worden war, befleckt, auch ein Gebrechen, von dem man nicht mehr gereinigt werden kann.
Ähnlich war es mit den Häusern, Wenn dem Priester das Vorhandensein gewisser Flecken und Vertiefungen an den Wänden angezeigt wurde, so ließ er, bevor er eintrat, es in Augenschein zu nehmen, alles aus dem Hause tragen, indem so, was zum Hause gehörte, nicht unrein wurde. Dann sollte der Priester eintreten, und wenn er grünliche oder rötliche Vertiefungen bemerkte, die beim Anblick etwas tiefer als die Wandfläche |s460/806 erschienen, so sollte er aus der Türe gehen und das Haus sieben Tage schließen. Wenn er sodann, am siebenten Tage wiederkommend, bemerkte, daß jene getroffenen Stellen an den Wänden um sich gegriffen hatten, so sollte er befehlen, die Steine, an welchen sich die Spuren vom Aussatz fanden, herauszuziehen, sie außerhalb der Stadt an einen unreinen Ort zu werfen, andere behauene and feste Steine zu nehmen, an die Stelle der früheren zu setzen und das Haus mit anderem Staube anzustreichen298).
Denn wenn man zu Christus, dem höchsten Priester des Vaters, hintritt, so ist es nötig, zuvor in Zeit einer Woche aus dem Hause unserer Person alle Hindernisse zu entfernen, damit ein reines Haus bleibe, Leib und Seele, und sobald das Wort Gottes in dasselbe eintritt und rötliche oder grünliche Flecken findet, sofort die todbringenden und blutdürstigen Gesinnungen herauszuziehen und hinauszuwerfen -- auch die Apokalypse läßt den Tod auf einem fahlen299), den Streiter aber auf einem roten Pferde sitzen -- und anstatt ihrer behauene, zusammengefügte und feste Steine einzufügen, so beschaffen, daß sie zu Kindern Abrahams werden300), damit der Mensch so geeignet werde, Gott aufzunehmen301). Wenn aber der Priester nach der Wiederinbesitznahme und Herstellung an demselben Hause wiederum etwas von den früheren Aushöhlungen und Flecken wahrnahm, so erklärte er es für unrein und ließ das Material, die Steine und das ganze Gefüge niederlegen und an einen unreinen Ort wegbringen.
Dem entspräche nun der Mensch, Leib und Seele, der, nachdem er durch die Taufe und den Eintritt der |s461/807 Priester erneuert wurde, von neuem den Ausschlag und die Flecken des Fleisches auf sich nimmt und aus der Stadt hinaus an einen unreinen Ort geworfen, dem Satan nämlich zum Verderben des Fleisches übergeben und in der Kirche nach seinem Sturze nicht wieder aufgebaut wird. So heißt es auch von dem Beischlaf mit einer Sklavin, die für einen Mann bestimmt, aber noch nicht losgekauft, noch nicht eine freie war: „Man soll für sie Fürsorge treffen, und sie soll nicht sterben, weif sie noch nicht für den freigelassen war, für den sie bestimmt war”302). Das von Christus nämlich, für den es bestimmt war, noch nicht befreite Fleisch wurde noch ungestraft befleckt. Darum gibt es für dasselbe jetzt, da es befreit ist, keine Vergebung mehr.
21. Je besser dies die Apostel wußten, desto besser sorgten sie natürlich auch dafür303). Aber auf diesen Streitpunkt will ich mich jetzt einlassen, indem ich zwischen der Lehre der Apostel und ihrer Vollmacht unterscheide. Die Sittenlehre leitet den Menschen, die Vollmacht drückt ihm ein Siegel auf304). Eine Sache für sich ist die Geistes-Vollmacht, der Geist aber ist Gott305). |s462/808 Was lehrte er306) nun? Man solle keinen Teil haben an den Werken der Finsternis. Beobachte, was er befiehlt. Wer aber war imstande, die Sünden zu vergeben? Das ist etwas, was ihm allein zusteht: Denn „wer läßt Sünden nach als nur Gott allein?”307) Und auf alle Fälle die Todsünden, weil sie gegen ihn sowie gegen seinen Tempel begangen sind. Denn das, was eine Schuld gegen dich enthält, wird dir in der Person Petri befohlen, sogar siebenundsiebzigmal zu vergeben308). Wenn es also auch ausgemacht wäre309), daß die seligen Apostel persönlich Verzeihung für etwas erteilt hätten, dessen Verzeihung nur von Gott, nicht von einem Menschen erlangt werden kann, so hätten sie es nicht in kraft der Ordnung der Sittenlehre, sondern kraft einer besonderen Vollmacht getan. Denn sie haben auch Tote auferweckt, was Gott allein kann, Kranke wieder hergestellt, was nur Christus kann, aber auch Wunden geschlagen, was Christus nicht tun wollte. Denn es paßte sich nicht, daß der, welcher gekommen war, zu leiden, Wunden schlage. Es wurden geschlagen Ananias und Elymas; Ananias mit dem Tode, Elymas mit Blindheit, damit dadurch |s463/809 bewiesen würde, daß Christus auch die Macht gehabt habe, solches zu tun. So haben auch früher Propheten für Mord und damit verbundenen Ehebruch denen, die Buße dafür taten, Vergebung erteilt, weil sie auch Beweise ihrer Strenge gegeben hatten.
Laß mich also jetzt, apostolischer Herr, Proben deiner prophetischen Begabung sehen, damit ich die Gottheit daran erkenne, und dann nimm für dich die Gewalt, derartige Sünden nachzulassen, in Anspruch!310) Wenn dir aber bloß die Amtspflichten der Lehr- und Sittenzucht übertragen sind und dein Vorsteheramt das eines Dieners, nicht eines Gebieters ist311), so frage ich, wer bist du oder was hast du, daß du vergeben willst, da du weder etwas von einem Propheten, noch von einem Apostel an dir darstellst312) und folglichderjenigen Kraft entbehrst, der das Verzeihen zusteht?
Aber, entgegnest du, die Kirche hat die Gewalt, Sünden zu vergeben. Das erkenne auch ich an und stelle auch ich auf, und zwar in noch höherem Grade, da ich den Paraklet selbst in den neuen Propheten habe, der da sagt: „Die Kirche kann die Sünde vergeben, aber ich will es nicht tun, damit nicht auch noch andere sündigen”313). Wie aber, wenn ein falscher Prophetengeist |s464/810 diesen Ausspruch getan hätte? -- Aber für den bösen Geist hätte es sich fürwahr viel eher geschickt, sich durch Milde einzuschmeicheln und die übrigen zum Sündigen anzuleiten. Oder, wenn er auch in Bezug auf diesen Punkt den wahren Hl. Geist nachäffen wollte, dann kann also der wahre Hl. Geist den Hurern wohl Vergebung erteilen, will es aber nicht tun, da es der Mehrzahl zum Nachteil gereichen würde314).
Doch nun stelle ich eine Untersuchung über deine Ansicht an, woher du dieses Recht für die Kirche in Anspruch nimmst315). Wenn du deshalb, weil der Herr zu Petrus gesagt hat: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, dir habe ich die Schlüssel des Himmelreiches gegeben”, oder: „Was du binden und lösen wirst auf Erden, das soll auch im Himmel gebunden und |s465/811 gelost sein”316), wenn du also deshalb annimmst, die Bindeund Lösegewalt sei auch auf dich, d. h. auf jede Kirche, die mit Petrus (oder: mit der Kirche Petri) verwandt ist, übergegangen: wie kannst du dich erdreisten, die offenkundige Absicht des Herrn, der dieses dem Petrus Eur persönlich überträgt, umzustoßen und zu verdrehen!317) Auf dich, heißt es, will ich meine Kirche |s466/812 bauen und dir will ich die Schlüssel geben, nicht der Kirche, und was du binden und lösen wirst, nichtf was sie lösen und binden werden. So lehrt es auch der Verlauf der Sache. In ihm ist die Kirche erbaut worden, d. h. durch ihn, er selbst hat den Schlüssel zuerst gebraucht, sieh hier, welchen: „Ihr Männer von Israel, höret, was ich sage: Jesum von Nazareth, den Mann, der euch von Gott bestimmt war usw.”318). Er selbst hat dann zuerst den Zugang zum Himmelreiche aufgeriegelt in der Taufe Christi; durch sie werden die Sünden, die früher gebunden waren, gelöst, und jene gebunden, die nicht gelöst worden sind, entsprechend dem wahren Heil. Den Ananias hat er gebunden mit den Banden des Todes, und den Lahmen gelöst von dem Übel seiner Krankheit. Aber auch bei der bekannten Kontroverse über die Beobachtung des Gesetzes wurde Petrus zuerst von allen vom Antrieb des Hl. Geistes berührt und sprach zuerst für die Berufung der Heiden: „Und nun”, sagte er, „warum habt ihr den Herrn versucht, den Brüdern ein Joch aufzuerlegen, das weder wir, noch unsere Väter zu tragen imstande waren? Durch die Gnade Christi glauben wir das Heil erlangt zu haben, so wie auch sie”319). Dieser Ausspruch löste das, was vom Gesetze noch geblieben war, und band das, was bestehen blieb. Mithin hat die dem Petrus übertragene Binde- und Lösegewalt nichts zu schaffen mit Kapitalvergehen der Gläubigen. Wenn ihm der Herr vorgeschrieben hatte? sogar dem siebenundsiebzigmal gegen ihn fehlenden Bruder zu vergeben, so würde er ihm sicherlich nicht später befohlen haben, etwas zu binden, d. h. zu behalten, wenn nicht gerade die Sünden, die jemand gegen den Herrn, nicht gegen den Bruder begangen hat320). Denn |s467/813 wenn die gegen Menschen begangenen Sünden vergeben werden, so ist darin von vornherein das Urteil ausgesprochen, daß die Sünden gegen Gott nicht nachgelassen werden sollen.
Was hat dies321) nun mit der Kirche, und zwar erst recht mit der deinigen, zu tun, o Psychiker? Denn entsprechend der Person Petri wird die genannte Vollmacht nur pneumatischen Personen zustehen: einem Apostel oder einem Propheten322). Denn auch die Kirche selbst323) ist ja im eigentlichen und vorzüglichsten Sinne Geist, in welchem die Dreifaltigkeit der einen Gottheit ist, der Vater, der Sohn und der Hl. Geist. Er sammelt jene Kirche, welche der Herr schon bei dreien bestehen läßt324). Und so wird von da an jede beliebige Anzahl325) von Leuten, welche in diesem Glauben sich vereinigen, als Kirche von demjenigen erachtet, der die Kirche |s468/814 gegründet und eingeweiht hat326). Darum wird allerdings die Kirche die Sünden vergeben, aber die Geisteskirche durch einen pneumatischen Menschen, nicht die Kirche als eine Zahl von Bischöfen. Denn Recht und bestimmender Wille sind Sache des Herrn, nicht des Knechtes, nur Gottes selbst, nicht des Priesters.
22. Du aber dehnst diese Vollmacht bereits auch auf deine Märtyrer aus! Sobald irgendeinem infolge eines vermittelten Zugeständnisses Fesseln angelegt sind, die ihn unter der neuen Bezeichnung Haft (Custodia327) gar nicht drücken, so machen ihm sofort die Ehebrecher ihre Aufwartung, sofort stellen sich die Hurer |s469/815 ein, schon ertönen Bitten, schon fließen Bäche von Tränen aller Befleckten, und niemand erkauft sich den Einlaß in den Kerker eifriger, als die den Einlaß in die Kirche verloren haben. Es drängen und drücken sich328) Männer und Frauen in den dunklen Orten, die man wegen der Gewohnheit, Unzucht zu treiben, wohl kennt, und suchen den Kirchenfrieden bei denen, deren eigener Friede in Gefahr ist. Andere nehmen ihre Zuflucht zu den Bergwerken und kommen als Inhaber der Kirchengemeinschaft von da zurück, wo doch bereits ein anderes Martyrium notwendig wäre wegen der nach dem Martyrium begangenen neuen Sünden. Denn wer ist auf Erden und im Fleische ohne Schuld? Wer ein Märtyrer, so lange er noch die Zeitlichkeit bewohnt, um Groschen bittet, des Arztes bedarf, und beim Gläubiger in Schuld steht?329) Stelle dir ihn nun vor unter dem Schwerte des Henkers, wenn sein Haupt bereits in die wagerechte Lage gebracht ist, stelle ihn dir vor am Kreuze, wenn sein Leib bereits ausgestreckt ist, stelle ihn dir vor am Pfahl, wenn der Löwe schon zum Sprung ansetzt, stelle ihn dir vor auf dem Scheiterhaufen, wenn das Feuer bereits angelegt ist, wer gibt dem Menschen selbst dann, sage ich, wenn er das Martyrium in sicherer Aussicht und sozusagen schon in der Hand hat330) -- wer gibt ihm die Erlaubnis, zu vergeben, was Gott vorbehalten werden muß, von welchem jene Sünden ohne Entschuldigung verdammt worden sind, die nicht einmal die Apostel, soviel ich weiß, selbst auch Märtyrer, für vergebbar hielten? Hatte ja doch z. B. Paulus zu Ephesus schon gegen wilde Tiere gekämpft zur Zeit, als er dem Blutschänder den Untergang zudekretierte. |s470/816
Es sei dem Märtyrer genug, sich von seinen eigenen Vergehungen gereinigt zu haben! Es ist ein Zeichen von Undankbarkeit und Hochmut, unter andere auszuteilen, was er selbst um hohen Preis erlangt hat. Wer kann den Tod anderer durch den seinigen sühnen als nur der Sohn Gottes allein? Denn auch er hat erst während seines Leidens den Räuber befreit. Er war dazu nämlich gekommen, um, selbst von Sünde rein und durchaus heilig, für die Sünder zu sterben. Also du, der du ihm nacheiferst in Vergebung der Sünden, leide ebenso wie er für mich, wenn du selbst keine Sünden begangen hast. Wofern du aber ein Sünder bist, wie wird das öl deines Lämpchens für dich und mich ausreichen können?!
Ich habe auch jetzt noch ein Kennzeichen, um Christus zu erkennen. Wenn Christus zu dem Zwecke im Märtyrer ist, damit derselbe Hurer und Ehebrecher losspreche, dann möge der Märtyrer auch die Geheimnisse des Herzens offenbaren, und unter dieser Voraussetzung möge er die Sünden vergeben, und er ist Christus. Denn in dieser Weise hat Christus der Herr seine Macht geoffenbart: „Warum denkt ihr Böses in eurem Herzen? Was ist leichter zu dem Gichtbrüchigen zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben, oder: Stehe auf und wandle? Damit ihr also wisset, daß der Menschensohn die Macht habe auf Erden, die Sünden zu vergeben, so sage ich dir: Gichtbrüchiger, stehe auf und wandle”331). Wenn der Herr so sehr dafür besorgt war, seine Macht zu beweisen, daß er ihre Gedanken offenlegte und dann jenem befahl, gesund zu werden, damit man nicht glaube, er besitze nicht die Macht, Sünden zu vergeben, so darf ich bei niemandem das Vorhandensein dieser Macht annehmen ohne solche Beweise, Wenn du aber für die Ehebrecher und Hurer von dem Märtyrer Vergebung erbittest, so gestehst du damit ein, daß derartige Verbrechen nur durch das eigene Martyrium zu tilgen seien, während du beanspruchst, es könne durch ein fremdes Martyrium geschehen. So viel ich weiß, ist auch das Martyrium eine andere Art Taufe. Denn es |s471/817 heißt: „Ich habe auch noch eine andere Taufe”332), weshalb auch aus der Seitenwunde des Herrn Wasser und Blut floß als Zubereitung beider Taufen. Ich muß also auch durch die erste Taufe einen anderen befreien können, wenn ich es durch die zweite kann.
Es drängt mich die Pflicht, immer und immer wieder zu Gemüt zu führen: Jede Belegstelle, jeder Grund, der dafür sprechen könnte, dem Ehebrecher und Hurer den Kirchenfrieden zurückzugeben, verlangt, daß man auch dem Mörder und dem Götzendiener, wenn sie Buße tun, zu Hilfe komme, sicher auch demjenigen, der den Glauben verleugnet, und letzterem jedenfalls dann, wenn er im Kampfe wegen des Bekenntnisses durch die Grausamkeit niedergeworfen wurde, nachdem er mit der Folter gerungen. Im übrigen wäre es Gottes und seiner Barmherzigkeit unwürdig, unwürdig der Barmherzigkeit gerade desjenigen333), der die Buße des Sünders dem Tode desselben vorzieht, daß die Rückkehr in die Kirche für die leichter sein soll, die in Geilheit, als für die, die im Kampfe gefallen sind. Die Ungebührlichkeit zwingt uns, uns folgendermaßen auszudrücken: Du willst lieber von Unreinheit befleckte als mit Blut befleckte Leiber zurückrufen? Welche Buße verdient mehr Mitleid, die, welche einen von Lüsten gekitzelten Leib in den Staub beugt, oder einen von den Foltern zerfleischten? Wann ist bei allen Prozeßsachen gnädige Nachsicht mehr der Billigkeit entsprechend, wenn ein Sünder sie anruft, der freiwillig, oder einer, der mit Widerstreben sündigte? Niemand wird mit seinem Willen zum Leugnen getrieben, niemand dagegen begeht Hurerei ohne seinen Willen. Zur Wollust zwingt uns keine Gewalt, als nur die in ihr selbst liegende; das, was man aus eigenem Belieben tut, kennt keinen Zwang. Indes, wie zahlreich sind nicht die Kunstgriffe des |s472/818 Henkers, die zur Verleugnung treiben, sowie die Arten von Martern! Wer ist ein schlimmerer Verleugner Christi, wer ihn unter Qualen oder wer ihn unter Ergötzlichkeiten verloren hat? der, welcher bei seinem Verlust Schmerz empfand oder der, welcher dabei schäkerte? Und doch, jene Narben wurden im christlichen Streite eingedrückt, und sicherlich tun sie Christus gleichsam Gewalt an, weil sie nach dem Siege wenigstens begehrten, und auch so noch sind sie ruhmvoll, weil sie nur unterlagen dadurch, daß sie nicht siegten334). Zu ihnen blickt der Teufel auch jetzt noch mit Scheu hinauf, bei ihrem Unglück, welches aber doch rein ist, bei ihrer Buße, die in Trauer, aber ohne erröten zu müssen, auf den Herrn hingerichtet ist, um bei ihm Verzeihung zu erlangen335). Ihnen wird abermals vergeben werden, weil sie auf sühnbare Weise den Glauben verleugnet haben. Auf sie allein paßt das Wort: „Das Fleisch ist schwach”336). Hingegen ist kein Fleisch so mächtig als das, welches den Geist zu Boden wirft!337)
1. 1) Der Übersetzung wurde die Ausgabe von Rauschen (Bonn 1915) zugrunde gelegt, da sie unter allen Ausgaben die beste ist. Es sei noch bemerkt, daß ich in den drei folgenden Schriften, besonders in de pudicitia, die Übersetzung an sehr vielen Stellen anders gestaltet habe, als sie vorlag.
2. 2) Vgl dazu Apolog. c. 9 gegen Ende.
3. 1) Während die meisten Ausgaben das allerdings schwer erträgliche „nenne” haben, wofür Gelenius „nuncne” liest, folgt Rauschen der von Junius vorgeschlagenen Lesart: Adversus hanc nunc, ne dissimulare potuissem, audio etiam edictum esse propositum etc. Dann wäre zu übersetzen: Gegen diese ist jetzt, wie ich höre, so daß ich nicht mehr schweigen konnte, ein Edikt erlassen worden. Vielleicht ist statt „nuncne” „numne” zu lesen.
4. 1) Gangneius überlieferte moechiae et fornicationis funes dimitto, was man in den Text aufnehmen sollte, vgl. de virg. vel. 14 funes delictorum.
5. 2) Erit igitur et hic adversus psychicos titulus; hic titulus ist nicht, wie Kellner deutete, ,,diese Bezeichnung”, nämlich die Kirche als Jungfrau; auch nicht, wie Rauschen erklärt, das genannte Edikt, insofern es ein Argument gegen die Psychiker ist, sondern „diese Schrift”. Ich zitiere nur de pudic. 20. Exstat enim et Barnabae titulus ad Hebraeos. Aus dem Satz ergibt sich, daß schon eine oder mehrere Schriften gegen die „Psychiker” geschrieben sind, leider ist nicht gesagt welche.
10. 2) Mit Unrecht wird die überlieferte Lesart: si remedia vacabunt von Rauschen beanstandet und durch „remedia praecavent'' ersetzt. Zur Bedeutung von vacare = zwecklos, gegenstandslos, ohne Folgen, ohne Funktion sein vgl. Hoppe 140f.
11. 3) quibus parcunt; unter „quibus” sind nicht „Leute” zu verstehen, sondern Sünden. Vgl. kurz nachher ,,tale aliquid”. Die schonende Behandlung bestand darin, daß sie nicht mit immerwährendem Ausschluß bestraft wurden.
12. 4) Mit Recht hat Rauschen die Lesart: de modicis (nicht mediis) et de maximis angenommen; sie wird durch den folgenden Satz (indulgeri quasi modica und praecaveri quasi maxima) und sodann durch den sonstigen Sprachgebrauch bei T. gefordert. T. kennt keine delicta media.
13. 1) securitas im Gegensatz zu sollicitudo bedeutet, daß man in Bezug auf andere, weniger schwere Sünden nicht so besorgt zu sein braucht, daß man sie mit immerwährendem Ausschluß bestraft Man braucht bei ihnen sich nicht so zu beunruhigen, nicht so scharf aufzutreten, da sie durch die Buße Vergebung finden.
14. 2) limen limitis figimus ist dasselbe wie foris sistimus; vgl. de pudic. 3: adsistit pro foribus eius; de paen. 7. Collocavit in vestibulo paenitentiam secundam; die Worte sind nicht bloß metaphorisch, sondern lokal zu verstehen, Vgl. d'Alès, L'Édit de Calliste 409 ff.
15. 3) D. h. die Montanisten hatten für diese Sünder zwar keine Verzeihung und Wiederaufnahme in die Kirche, ließen sie aber zu den öffentlichen Bußübungen zu; vgl. Kap. 3.
16. 1) Vgl. Joel 2, 13; Ezech. 23, 11.
18. 3) Vgl. Matth. 5, 79 ; Kol. 3, 13; Matth. 5, 1.
21. 6) Jer. 14, 11 ff.; 11, 14; 7, 16.
23. 2) PS. 96, 3; Matth. 10, 28.
25. 4) 1 Kor. 5, 3 ff.; 6, 1 ff.
28. 2) für die schweren, die sog. Kapitalsünden, vgl. Kap. 18 am Schluß.
29. 1) aliqua paenitentia, irgendeine Art von Buße, also auch die für die schweren Kapitalsünden.
30. 2) huius quoque paenitentiae der für die Kapitalsünden.
31. 3) in sua potestate; potestas steht hier in dem bestimmten Sinn, der später (Kap. 21) dargelegt wird. Die kirchliche Gewalt hat nur die potestas, die geringeren Sünden zu vergeben. Die potestas, die schweren Sünden zu vergeben, hat nur der Hl. Geist, eventuell diejenigen, denen der Hl. Geist sie außerordentlicher Weise verleiht, nämlich die Geistbegabten.
32. 4) pacem humanam, eine Vergebung und Aufnahme in die Kirche, die aber von Gott nicht ratifiziert wird, weil nur er allein die Gewalt hat, schwere Sünden zu vergeben.
33. 1) In sophistischer Weise bemüht sich hier T., die fornicatio dem Ehebruch gleichzustellen.
34. 2) Bei nuptam alienam ist alienam wahrscheinlich zu tilgen.
35. 3) Omne homicidium et extra silvam latrocinium est. Wenn der Text richtig überliefert ist, will T. wohl sagen: Jeder Mord ist auch ein Raub, weil das kostbarste Gut, das Leben, durch ihn gerauht wird. Kellner wollte übersetzen: Jeder Mord ist Mord, und auch außerhalb des Waldes gibt es Straßenraub! Aber das besagt der Text nicht.
36. 1) Nach der Lesart ne inde consertae, nämlich infolge eines fleischlichen Vergehens.
37. 2) Die widernatürlichen Unzucbtssünder wurden demnach bei den Montanisten (penes nos -- submovemus nicht mehr zur Buße, auch nicht zu lebenslänglicher, zugelassen, also jeder seelsorgerischen Einwirkung der Kirche verlustig erklärt.
38. 1) adv. Marc. II, 17 zitiert er: Non occides, non adulterabis. In LXX steht das Verbot des Ehebruches vor dem Verbot des Mordes; vgl. auch Luk. 18, 20 Dach dem griechischen Text.
39. 2) secernat ad paenitentiae fructum. Zum Gebrauch von ad vgl. Hoppe, 141.
40. 1) Nach der Konjektur von Rauschen: Ab illa enim tria unitamur. Der Sinn des ganzen Satzes ist: Der Ehebruch trennt uns (Idololatrie und Mord) voneinander. Wir beide sind aber mit ihm verbunden, und so ist er das Band, das uns drei zu einer Einheit verbindet.
41. 2) ubi homo, cum inquinatur, occiditur. T. denkt hierbei an den Tod der Seele, der durch die Unzuchtsünde eintritt.
42. 3) Nach der Lesart nec illi, die unbedingt den Vorzug verdient. Andere lesen nec illis; dann wäre Ehebruch und Hurerei gemeint.
43. 1) de paenitentiae offieio sedent; officium paenitentiae ist die vorgeschriebene Exomologese mit ihren Akten (vgl. de paen. 9), hier also = die Vorschriften, das Reglement der Buße. Zum Gebrauch von de vgl. Hoppe 33. sedent = sie sitzen da als Büßer in flehentlicher Stellung.
44. 2) aut, si non omnibus, nostra esse (sc. debebis) darf nicht übersetzt werden : „oder, wenn nicht für alle, dann doch für uns”. Der Sinn ist vielmehr: dann mußt du auf unserer Seite stehen, die montanistische Praxis befolgen, d. h. dem Unzuchtssünder ebenso die Wiederaufnahme verweigern wie den beiden anderen.
45. 3) Diesen Gedanken führt T. weiter aus im Schlußkapitel 22.
46. 4) d. h. aus der Hl. Schrift.
56. 1) d. h. ihn leichter begeht; das lenocinium ist die gewährte Vergebung und Wiedervereinigung mit der Kirche. Über den Gebrauch von nisi = quam vgl. Hoppe 77 f.
57. 2) die Polygamie; ,,frequentatas nuptias” sind die nach dem Tode eines Ehegatten eingegangenen neuen Ehen. T. gebraucht den Ausdruck ,,frequentatas”, weil er an eine eventuell mehrmals stattfindende Wiederverheiratung denkt.
58. 1) cum suo vitio ist der kraft der Abstammung aus Adam der menschlichen Natur anhaftende sündhafte Zustand, das vitium originis, das durch den origo naturalis mit der menschlichen Natur auf alle übergeht (redundat) und ein „naturale quodammodo” geworden ist; vgl. de anima 40 u. 41 de test. an. 3.
59. 2) Der Text lautet nach der edit. princ. des Gangneius: et lactae sortes non habentes idoneae. An diesem Text sind viele Versuche angestellt worden, die aber alle gar nicht, oder wenig befriedigen. Mit Recht hat man statt „sortes” „sordes” korrigiert. Kellner und Rauschen entscheiden sich für ,,lacteae” statt „lactae”. T. spielt dann auf den weißen, klebrigen Saft des Feigenbaumes an, wenn er nicht direkt an das vorhergehende „virus libidinis” denkt. Im Anschluß an Oehler will Kellner lesen: et lacteae sordes hoc habent (haben das an sich), wobei idoneae zum folgenden Satzteil zu ziehen wäre. Mit Recht lehnt Rauschen diese Konjektur ab und schlägt vor zu lesen: lacteae sordes non abluendi idoneae. Aber diese Konjektur widerspricht dem folgenden Satzteil: quod nec ipsae adhuc aquae (das Wasser der Taufe) laverant. T. kann nicht sagen wollen, dieser Schmutz sei nicht geeignet, abgewaschen zu werden, oder könne nicht leicht abgewaschen werden. Er sagt ja, daß er durch die christliche Taufe abgewaschen werde -- ein Gedanke, den er oft ausgesprochen hat, z. B. Scorp. 12: vestitus animae caro. Sordes quidem baptismate abluuntur --, aber vor der Ankunft Christi (ante Christum, als die pristina tempora habebant omnis impudicitiae potestatem) noch nicht abgewaschen wurde und deshalb festklebte. Statt non habentes idoneae wird -- das kann man wohl mit Sicherheit sagen -- inhaerendi idoneae zu lesen sein. Das paßt sowohl zum Gedanken, wie zu dem vorhergehenden „inhaerebant”. Inhaerendi idoneae bedeutet: der sich leicht festsetzt = klebrig. Da ferner „inhaerebat” überliefert ist (nicht inhaerebant), so wird wohl „et” vor lacteae zu tilgen und zu lesen sein: Inhaerebat usquequaque libidinis virus, lacteae sordes inhaerendi idoneae, quod etc.; lacteae wäre Apposition zu virus libidinis. Dann erklärt sich auch besser, daß T. schrieb: quod nec ipsae aquae adhuc laverant. Behält man also lacteae bei, so wäre zu übersetzen : Es klebte ihm noch allenthalben der Schleim der bösen Begierde an, ein milchartiger, klebriger Schmutz, usw. -- Indes „lacteae” ist zweifelhaft, und der Gedaüke an den weißen klebrigen Saft des Feigenbaumes wäre doch sehr gesucht. Deshalb möchte ich lieber „et lactae” nicht in „et lacteae”, sondern in „iniectae” korrigieren. Wie Oehler anmerkt, las Rigaltius in seiner ersten Ausgabe 1634 „et iactae”; vgl. auch Kap. 13: iniectiones eius (sc. Satanae). Dann entspricht der Sinn des Satzes einem öfters von T. ausgesprochenen Gedanken: Durch die Sünde Adams ist in die caro das Gift der bösen Begierde eingedrungen, ein Schmutz, der ihr fest anhaftet, ein naturale quodammodo ist, weil er sich als vitium originis mitfortpflanzt. Um von ihm gereinigt zu werden, bedarf es der Gnade der Taufe. Nach dieser Konjektur habe ich oben übersetzt.
61. 2) T. denkt hier unter Beziehung auf Apg, 2, 24 ff. an die Auferstehung und Himmelfahrt Christi.
63. 2) Forma ist = lex oder institutum ; vgl. z. B. Apol. 2; 7 usw.
64. 3) Die Darstellung des guten Hirten auf den Gläsern, die bei den Agapen benutzt wurden.
65. 1) Eine Argumentation von seiten der Katholiken.
66. 2) des Verlorengebens und Aufsuchens.
67. 3) Den schwierigen Satz: At tu, opinor, hoc velis, ut ovem non de grege perditam faceret, sed de arca vel armario will Rauschen den Katholiken in den Mund legen. Unter „tu” sei T. zu verstehen, dem vorgehalten werde: At de grege non cogitas, sed ovem quasi de arca elapsam esse fingis. Indes, der in diesem Satz Apostrophierte kann nur derselbe sein, von dem vorher die Rede ist, und von dem es heißt: Ergo nihil . . . respondere vis. Auch ,,opinor” beweist klar, daß T. spricht. Ferner kann der Sinn des Satzes nicht sein, T. denke nicht an die Herde. Er hat ja gerade „die Herde” als „omne hominum genus” erklärt. Vielmehr muß sein Gegner diese Deutung als unerlaubt ablehnen. Dieser Gegner hat betont, daß unter grex die Kirche zu verstehen sei, und für diese Deutung sich auch darauf berufen, daß der Herr die übrige Zahl (die neunundneunzig Gerechte) als gerecht hinstelle, worunter unmöglich ,,omne hominum genus” (die Heidenwelt) verstanden sein könne. T. macht seinem Gegner nun den Vorwurf, er enge den Begriff der Herde ein, bzw. gebe ihn auf, und fingiere, das Schäflein habe sich nicht von der auf freiem Felde weidenden Herde verirrt, sondern sei gleichsam aus einem umfriedigten Eepositorium ausgebrochen. Das sei aber willkürlich in die Parabel hineingetragen. Statt faceret wird wohl faceres zu lesen sein. Aber auch wenn man faceret beibehalten will (Subjekt zu faceret ist dann der Herr), ist der Sinn derselbe. Das hoc vor velis kann sich aber auch auf das Vorhergehende, nämlich auf den oben in Anführungszeichen stehenden Satz aus dem Munde des Gegners zurückbeziehen, so daß zu übersetzen wäre: Aber du, dünkt mich, willst dies (daß die Herde die Kirche sei usw.) so, um das Schäflein zu einem solchen zu machen usw. Zum Gebrauch von facere vgl. Hoppe 51.
68. 1) Der überlieferte Text lautet: Sie etsi ethnicorum reliquum numerum iustum ait, non ideo Christianos ostendit etc. Wie Rauschen mit Recht anmerkt, ist entweder (mit van der Vliet) vor ethnicorum ein non zu setzen oder ethnicorum zu tilgen. Indes wenn man statt ethnicorum ethnicos non liest, bedarf es solcher Eingriffe nicht.
69. 2) et quibus paenitentia opus non esset ist Zitat aus Luk. 15, 7, qui non indigent paenitentia. Deshalb hat Rauschen mit Recht die Lesart habentes (nicht habentibus) gewählt.
70. 1) ad dei verbum, auf das Wort Gottes hin, bei Verkündigung oder Anhörung des Wortes Gottes; vgl. ad ux. I, 5 ad primam angeli tubam u. Hoppe 141.
71. 2) das Schäflein und die Drachme.
72. 3) Es ist zu lesen: peccatorem post fidem perditum, nicht perditam. Es handelt sich nicht um einen Sünder, der den Glauben verloren hat, sondern um einen, der nach Annahme des Glaubens (post fidem, wie post aquam, post baptismum nach Empfang der Taufe; eine Fülle von Beispielen beweist diesen Gebrauch von post), also als Christ eine schwere Sande begangen hat.
73. 4) iterata amissione et restitutione; iterata gehört zu beiden Hauptwörtern.
74. 1) Den Kommentar hierzu liefert die Schrift de idol. cap. 6 -- 9; 12--14; 16--18 und de spect. cap. 8 -- 28. Unter curiositates ist die Astrologie und Magie zu verstehen, die de idol. 9 eigens behandelt wird und als deren Urheber (proditores huius curiositatis) die Dämonen hingestellt werden. Die Lesart lautet nach Gangneius: aliquas artes adhibuit curiositatis. Die Wiener Ausgabe liest: aliquas artes adhibuit aut incuriosius in verbum ancipitis negatioms aut blasphemiae impegit. Aber was durch ,,incuriosius” abgedruckt werden soll, liegt schon in „ancipitis”. Andererseits wird in de idol. das Verfertigen von Götzenbildern, und anderen der Idololatrie dienenden Gegenständen eigens aufgeführt und von der Astrologie und Magie die ebenfalls eigens behandelt werden, unterschieden. Es wird demnach wohl zu lesen sein: aliquas artes adhibuit aut curiositates.
75. 2) die Annahme der Exomologese verweigerte; vgl. cap. 2: alia castigationem mereri.
77. 2) Zum Gebrauch von facere s. Hoppe 51.
78. 3) non, ut, nämlich non ingerit, ut.
79. 4) Hier handelt es sich um ganz geringe Vergehen, welche nicht durch Ausschluß oder Auferlegung von Bußleistungen bestraft wurden; deshalb schreibt T. intra domum dei ecclesiam, ibidem reperta, ibidem statim transigantur,
80. 5) cum gaudio emendationis darf nicht übersetzt werden: sie nahmen ein Ende durch erfreuliche Besserung. Der Sinn ist vielmehr: die Gemeinde braucht nicht zu trauern, wie bei dem Auffinden der schweren Sünden, braucht auch nicht strafend vorzugehen, sondern kann sich freuen; vgl. später gaudium confert repertrici ecclesiae. Das „congratulamini mihi” in der Parabel von der Drachme hat also nach der Deutung T.'s nur bei ganz geringen Vergehen Berechtigung, wie das „erit gaudium de uno peccatore paenitentiam agente” in der Parabel vom Schäflein nur auf die Bekehrung eines Heiden Bezug haben soll.
81. 1) Nach der Lesart advocat, die durch das vorhergehende matri ecclesiae, sowie durch das vorbildliche Weib in der Parabel (convocat amicas et vicinas Luk. 15. 9) befürwortet wird. Gangneius, dem Rauschen folgt, hat advocant. Dann wäre zu übersetzen: man ruft nicht herbei. Falsch ist die Übersetzung: er (der Sünder) provoziert nicht die Beglückwünschung usw.
82. 2) etiam hac nostra interpretatione ist jene, die er nur eventuell, decedens de gradu suo, vorgebracht hat. Die Übersetzung bei de Labriolle und Kellner ist falsch, ebenso wird von beiden der Schlußteil des Satzes: propter quod etc. unrichtig übersetzt. Der Sinn ist: Tatsächlich gehen die Parabeln auf einen Heiden, aber selbst wenn man sie auf einen christlichen Sünder bezieht, können sie unmöglich -- das glaubt T. gezeigt zu haben -- auf einen Ehebrecher und Hurer, sondern nur auf einen nicht so schwerer Sünden schuldigen Christen Anwendung finden. Gerade deshalb aber deuten die Gegner die Parabeln gewaltsam auf einen christlichen Sünder und lehnen die Deutung auf die Heiden ab, um ihre Praxis in Bezug auf die schweren Sünder zu rechtfertigen.
83. 1) Gangneius hat amasse, wofür die Wiener Ausgabe unasse, Ursinus und Oehler animasse setzen. Apol. 48 wird der Hl. Geist der animator omnium genannt = der allen Dingen ihre Gestalt und Schönheit verleiht.
84. 2) aber das Endresultat, der exitus, zeigt, daß ihre Deutung eine irrige ist.
89. 4) den heidnischen Kaisern.
90. 1) Nach der Lesart facilitas (andere lesen felicitas) comparationum. Der Sinn ist: Viele machen sich das Auffinden von Vergleichen leicht, weil sie ihre der Parabel fremdartigen Gedanken in sie hineintragen, ex parabolis materias commentantur vgl. cap. 9. Daß facilitas die richtige Lesart ist, beweist der gleiche Gedanke de praescr. 29: in excogitandis instruendisque erroribus facilitatem (sc. habent) non adeo mirandam . . . cum de saecularibus quoque scripturis exemplum praesto sit eiusmodi facilitatis.
91. 2) nihil enim ad Andromacham, eine proverbiale Redensart, die wahrscheinlich von einem Schauspiel stammt, das den Namen Andromache führte, in dem der Dichter weit vom Gegenstande abschweifte, oder das in einer Weise komponiert war, wie er sie de praescr. 29 kritisiert. Wie Forcellini bemerkt, ist die Konstruktion wie im griechischen οὐδὲν πρὸς ἔπος, πρὸς Διόνυσον.
92. 3) dum contraria quaeque caveamus. Kellner übersetzt: „sondern wir vermeiden alle Extreme'', was nicht angeht; de Labriolle : „il nous suffit, d'éviter toute contradiction” = Deutungen zu geben, die einen Widerspruch enthalten; aber das will T. nicht sagen, sondern, wie die folgenden Ausführungen besagen, daß jede Deutung unbedingt auszuschließen ist, welche der Lehre widerspricht oder der Disziplin schädlich ist.
93. 1) Huiusmodi curiositates sind nicht „solche Nebendinge”, sondern solche neugierigen, grüblerischen Fragen, wie die vorhergenannten: Weshalb gerade hundert Schafe usw.? suspecta faciunt quaedam (der Gegensatz ist: sunt autem, quae et simpliciter posita sunt) = als ob in solchen nur zur Einkleidung dienenden Zügen etwas Besonderes vorgebildet wäre; vgl. de res. carn. 21 : significantiae figuratae suspicio. Gerade in solche Züge legten die Gnostiker allerlei Deutungen hinein; vgl. z. B. de carne Chr. 8.
94. 2) Tertullian scheint an Deut. 23, 19 und Lev. 25, 37 gedacht und aus dem Gedächtnis zitiert zu haben. Die Stellen lauten aber in Wirklichkeit ganz anders.
95. 1) Nach der Lesart hoc imaginis modo; imago = Gleichnis oder Parabel.
96. 2) Gemeint ist die Eucharistie. Vgl. kurz nachher: opimitate dominici corporis vescitur, eucharistia scilicet.
97. 3) Plus est igitur. T. glaubt bewiesen zu haben (Kap. 8), daß nach der Anlage der Parabel der jüngere Sohn auf den Christen nicht gedeutet werden darf, weil der ältere Sohn auf den Juden nicht paßt. Jetzt hat er noch hinzu bewiesen, und dies bildet ein erschwerendes Moment, daß diese Deutung dem Heile schädlich ist. Deshalb schreibt er: plus est, eine bei ihm häufig vorkommende Ausdrucksweise.
98. 4) Es ist zu lesen integri (nicht integre). T. rekapituliert kurz den Inhalt von Kap. 8.
99. 1) substantiam in deo census ; census darf nicht mit ethnicus verbunden werden, sondern ist Genitiv zu substantiam. Letzteres Wort ist gewählt mit Rücksicht auf die Parabel Luk. 15, 12 f.; in deo patre census bezeichnet also das Vermögen, das Besitzrecht, das der Heide hat, weil es auf den Namen Gottes als seines Vaters eingetragen ist. Wenn also in der Parabet von einem Sohn des Vaters die Eede ist, so hat auch der Heide Anspruch auf diesen Namen kraft seiner Abstammung. Es ist ein tiefer Gedanke, wenn T. aus diesem Verhältnis die Fähigkeit des Menschen ableitet, von Natur aus Gott zu erkennen. Zum Gebrauch von „censere in” vgl. de an. 40: Omnis anima eo usque in Adam ceasetur, donec in Christo recenseatur; de monog. 5: quod tibi in Adam censetur et in Noe recensetur; 6 : Non enim passivus tibi census est in illo (sc. Abraham). Vgl. auch de orat. 6 : corpus eius in pane censetur, eine Stelle, die von Kellner unrichtig übersetzt ist: „weil sein Leib im Brote befindlich ist”, statt: „weil sein Leib unter dem Brote (nämlich dem „panem nostrum” im Vaterunser) zu verstehen ist”.
101. 3) T. denkt an Mark. 5, 11 ff.
103. 1) ita; vgl. kurz vorher „indigne vestiti”.
104. 2) quod non statim Christianus darf nicht übersetzt werden: „weil er noch nicht gleich Christ war”. Der Sinn ist: Vom Christen kann man doch nicht sagen, er sei sofort ein Verschwender, also kann der verlorene Sohn in der Parabel nicht einen christlichen Sünder bezeichnen.
105. 3) Nach der Konjektur von Rauschen ad hunc (nicht hoc) solum.
106. 1) Die überlieferte Lesart lautet: Excusso igitur iugo ethnicorum disserendi parabolas istas, was Rauschen erklärt: excusso iugo, ita explicandi parabolas, ut sint ethnicorum i. e. ut de ethnicis agant. Aber abgesehen davon, daß diese Konstruktion ungewöhnlich wäre (weshalb ethnicorum von anderen umgeändert wurde in „in ethnicum”), wird T. schwerlich so geschrieben haben. Denn das Joch, die Parabeln auf den Heiden zu deuten, ist doch nicht abgeschüttelt worden; es ist vielmehr den Gegnern aufgelegt worden. Deshalb vermutete Wissowa, es sei zu lesen „ethnicos non disserendi”. Man sage nicht, „excusso iugo” gehe auf die Gegner = nachdem sie das Joch abgeschüttelt haben ; denn dann paßt der folgende Satz : et semel dispecta usw. nicht, und im Nachsatz : contendunt iam etc. bringen ja die Gegner einen neuen Grund vor, der die Deutung auf die Heiden ausschließen soll. Statt „excusso” wäre also zu lesen ,,incusso” = nachdem ihnen das Joch auferlegt worden ist, auf die Heiden zu deuten, oder, was der Zusammenhang sehr empfiehlt, statt „ethnicorum” wird wohl „psychicorum” zu lesen sein. T. glaubt das Joch, das die Psychiker auferlegen wollten, die Parabeln auf den christlichen Sünder zu deuten -- das, was er früher ein „cogere” genannt (Kap. 7 am Schluß) -- abgeschüttelt zu haben, und vor allem hat er betont, es sei die materia propositi bei der Deutung zu beachten. Den Inhalt seiner bisherigen Ausführungen faßt er hier, wo die Diskussion über die Parabeln zum Abschluß gelangt, in den zwei Vordersätzen zusammen.
107. 1) quam sola natura ream deo faciat. Der Sinn ist: die Sünden der Heiden sind mehr Sünden der Unwissenheit, zwar Sünden, weil die Unwissenheit eine Schuld in sich schließt, aber geringere Sünden als die der Juden und Christen, denen die Gnade der Offenbarung zu Gebote stand. Natura steht also im Gegensatz zu gratia. Natura sola bezeichnet also die Lage und Entwicklung der Heidenwelt, getrennt vom Licht der Offenbarung und der Gnade, und diese natura macht die Unwissenheit zu einer Schuld, weil die Heiden von Natur aus Gott und sein Gesetz erkennen konnten (vgl. Röm. l, 20 ff. u. 2, 14). Denselben Sinn hat das gleich folgende peccatores naturales.
108. 2) nämlich die Ankündigung, Ninive werde zugrunde gehen. T. hat vor Augen Jon. 4, 2.
111. 2) Nach der Konjektur von Rauschen: veri alienae.
112. 3) Die Stelle wird von Kellner und de Labriolle unrichtig übersetzt. Die Bilder sind vom Seiltänzer hergenommen. Carnem spiritu librans = er hält das Fleisch (den Körper) durch seinen Geist im Gleichgewicht; statt animam fide moderans ist zu lesen: animum, wie das folgende animi avocatio beweist, und fides bezeichnet liier nicht den christlichen Glauben, sondern das Zutrauen, den Mut, die Kaltblütigkeit, wodurch das ruhige Bewußtsein, die Geistesgegenwart aufrechterhalten und jede Ablenkung der Aufmerksamkeit abgehalten wird. -- Die Bilder sind so gewählt, daß sie leicht auf das sittliche Leben übertragen werden können.
113. 1) sola. T. sagt also von der Schrift des Hermas, daß sie der Wiederaufnahme der Ehebrecher das Wort rede. Die jetzigen Urteile über diese Schrift stehen in scharfem Gegensatz zu den früheren in seiner katholischen Zeit; vgl. de orat. 16.
114. 2) adultera et ipsa, eine gefälschte, falsche Schrift, die mit dem Glauben und der Disziplin bricht; das Wortspiel läßt sich im Deutschen nicht gut wiedergeben.
115. 3) Hier verhöhnt T. die Sitte, auf dem Boden der Trinkgläser das Bild des guten Hirten anzubringen; vgl. Kap. 7.
116. 1) die Deutung der Parabel auf den christlichen Sünder. Die überlieferte Lesart „bibas” ist richtig und braucht nicht in libas umgeändert zu werden. Zum Gebrauch von bibere, potare vgl. Hoppe 181.
117. 2) Die richtige Lesart ist: qui (nicht quae) non potest frangi; eius pastoris verlangt qui, und sodann ist der Gegensatz der „gute Hirt” auf den Gläsern, der, so insinuiert T., öfters in Scherben geht wegen der Betrunkenheit der Teilnehmer bei den Agapen.
118. 3) Es ist zu lesen: Haec (nicht hanc) mihi statim (sofort = auf den ersten Seiten) Johannem (nicht Johannes) offert . . . dicentem.
119. 4) de patrum gratia ist nicht „wegen des Ansehens der Väter”, sondern wegen der Gnade, der Nachsicht, der Verzeihung, die ihren Vätern zuteil wurde; vgl. Kap. 6.
121. 6) Rauschen hat hier, glaube ich, die richtige Lesart hergestellt: Sic et nos loquitur (statt sequitur).
122. 7) T. kann nicht leugnen, daß doch die venia die nächste Frucht der Buße ist; durch Sophistik sucht er den Einwand seiner Gegner (vgl. Kap. 3) zu entkräften.
123. 1) Gangneius hat hier die Lesart „et suam”, wofür Gelenius richtig hat: etsi iam oder et si iam, und diese Lesart ist beizubehalten und darf nicht in ,,ac si iam” geändert werden. Denn T. will gerade den Gedanken zum Ausdruck bringen, daß der Herr selbst, als Gott (geradeso wie der Hl. Geist) die potestas (wobei potestas in dem bestimmten Sinne steht, wie es in der Schrift de pudic. gebraucht wird, vgl. Kap. 21) allen Sündern, auch den christlichen, gegenüber hat. Selbst wenn er also christlichen Sündern ihre schwersten Sünden vergeben hätte, so würde hieraus nichts folgen für die Gewalt der Kirche. Daß etsi zu lesen ist, ergibt sich auch aus den folgenden Sätzen, bei welchen bei der Übersetzung genau zu beachten ist, daß Nunc dicimus. . . Hodie . . . operetur dem: ad illa tamen tempora gegenübergestellt ist. Auch heute, auch in der Jetztzeit kann der Herr selbst allen Sündern vergeben, auch den christlichen Sündern, aber das ist sein persönliches Vorrecht. Der Satz: Hodie potestas indulgentiae eius operetur wird von Rauschen unrichtig erklärt: Hodie non ipse dominus, sed potestas indulgentiae ab eo tradita operatur. Vielmehr will T. das Gegenteil sagen: die ihm allein zustehende Gewalt möge sich auch jetzt betätigen (operetur); aber eine Gewalt, wie er sie hat, hat die Kirche nicht, die potestas ist eine bloß persönliche, keine dem kirchlichen Amt übertragene.
124. 1) Nach der Konjektur von Rauschen ante apertum ordinem fidei.
125. 2) die montanistischen Propheten.
126. 3) Rauschen liest mit der Wiener Ausgabe : Non in apostolis quoque veteris legis forma soluta circa moechiae quanta sit demonstrationem. Dann wäre zu übersetzen: Auch in den apostolischen Schriften ist, was die Darlegung, wie schwer der Ehebruch wiege, angeht, die Form des alten Gesetzes nicht aufgehoben worden. Diese Lesart hat viel für sich, wenn man „non” am Anfang des Satzes beibehält. Gangneius überlieferte „formam solutam” ; Gelenius „formam salutamus”. Wenn man mit Oehler und Kellner letzterer Lesart den Vorzug gibt, muß der Satz als Fragesatz bezw. Ausrufungssatz gefaßt werden. Vielleicht ist aber „Non” in „Nos” zu ändern = Wir (im Gegensatz zu „Itaque isti”) begrüßen usw.
127. 4) Gangneius hat de legis retinendae nec statu, wofür einige lesen: „necne statu'', andere „necessitate” ; „necne” scheint mir richtig zu sein.
128. 1) Apg. 15, 29. Die letzten Worte stehen nicht in unserm Texte.
129. 2) De monog. 5 weiß T. von dieser Deutung der Stelle auf Menschenblut (Mord) noch nichts; vgl. auch Apol. 9. Das „multo magis” verrät, daß seine jetzige Exegese, um mit seinen eigenen Worten zu reden, eine coacta interpretatio ist. Ferner steht im Aposteldekret die Unzuchtssünde am Schluß; vielleicht hat aber T. an die Rede des Jakobus gedacht (Apg. 15, 20) und diese für seine Argumentation benutzt. Über die literarische Tradition des in Frage stehenden Textes s. K. Six, Das Aposteldekret. Seine Entstehung und Geltung in den ersten vier Jahrh. 1912.
130. 1) Sponsionem eius (das was er, der Hl. Geist zugelobt, als Kontrahent zugesichert hat) nemo dissolvet, nisi ingratis, so ist nach der Konjektur Eauschens zu lesen; ingratis = frustra vgl. Hoppe 126. Im folgenden Satz wird zu lesen sein: iam nec recipiet, quae dimisit, nec dimittet, quae retinuit. Subjekt ist der Hl. Geist; die Übersetzung Kellners ist unrichtig. Der Sinn ist nicht: Wer den mit dem Hl. Geist geschlossenen Vertrag bricht, wird später die Freiheit vom alttestamentlichen Gesetz nicht mehr erlangen, sondern der Hl. Geist wird das, was er freigegeben hat (das Zeremonialgesetz des A. B.), niemals mehr wieder fordern, wieder zum Gesetz machen; aber ebenso umgekehrt, was er behalten hat (oder sich vorbehalten hat), nämlich die Vergebung der genannten Sünden, niemals mehr freigeben, so daß etwa die Kirche sie vergeben könnte; denn der Bestand des N. B. ist ein unveränderlicher.
132. 1) quasi vel ipsum postea stilum verterit, als ob er später den Griffel umgekehrt, mit umgekehrtem Griffel das früher Geschriebene später getilgt habe.
133. 2) Nach der Lesart in Christo, andere lesen in persona Christi.
135. 4) nicht in so allgemeinen Ausdrücken sich bewegt haben, sondern ganz bestimmt das vorliegende Verbrechen bei der Verzeihung, wie bei der Strafe im 1. Korintherbriefe, bestimmt genannt haben.
136. 1) De modica scilicet indulgentia agebatur, quae, si forte, nec aestimaretur, quando maxima quaeque non soleant etiam sine praedicatione donari, tanto abest sine significatione. Mit Recht liest Rauschen ,,nec aestimaretur”, statt ,,nunc aestimaretur”. Aber die Erklärung, die sowohl er wie d'Alès, L'Édit de Calliste, 1853 geben, ist unrichtig. Nach beiden soll T. ironisch sprechen, und der Sinn sei: incesti peccatum a catholicis pro modico haberi, quod, si fieri posset, ne aestimaretur quidem i. e. ne in peccatorum numero quidem censeretur. Allein das kann T. nicht sagen wollen. Der Satz ist nicht ironisch. In den vorhergehenden Sätzen hat T. zum Ausdruck gebracht, daß die Vergebung in 2 Kor. weniger ausdrücklich und feierlich sei als die Sentenz in 1 Kor., folglich nicht auf den Unzuchtssünder in 1 Kor. gehen könne. Dieselbe Folgerung zieht er im vorliegenden Satze, und der Sinn ist: Es handelte sich also um die Vergebung einer kleineren Sünde; eine solche erregt nicht so große Aufmerksamkeit und brauchte nicht in feierlicher Form zu geschehen, während doch (quando) die Vergebung schwerer Sünden überall (auch bei den Katholiken) nicht ohne feierliche Verkündigung (sine praedicatione), geschweige denn ohne bestimmte Bezeichnung zu geschehen pflegt. Daran schließt sich der folgende Satz an: Et tu quidem etc. Selbst du vergibst die schwere Sünde des Ehebruches nicht ohne große Feierlichkeit und unter bestimmten Zeremonien. So handelst du, ein so laxer Bischof, und der Apostel sollte anders gehandelt haben ?! Mit: Et tu quidem beginnt der Vordersatz, der Nachsatz beginnt mit Apostolus vero, nach maxime indulgens ist deshalb ein Doppelpunkt zu setzen. Die Übersetzung dieser Stelle bei Kellner und de Labriolle ist vollständig verfehlt.
137. 2) Rauschen hat hier die richtige Lesart hergestellt ... paenitentiae moechi ad exorandum fraternitatem in ecclesiam inducens. Fraternitatem ist abhängig von inducens und paenitentiae moechi ist dativus finalis, der abhängig ist von ad exorandum, vgl. de paen. 10: Aeque illi (fratres) cum super te lacrimas agunt, . . . Christus patrem deprecatur. Paenitentiae moechi ist = der büßende Ehebrecher, vgl. Hoppe 19.
138. 1) inque eum hominis exitum . . . contionaris. Kellner übersetzte : „damit es mit dem Mensehen den gewünschten Verlauf nehme” nach der Erklärung von Oehler: in hunc finem, ut pax ecclesiae paenitenti moecho reddatur. Übrigens ist die Lesart nicht sicher. Contionaris darf nicht übersetzt werden: ,,Du läßt dich titulieren”; die Bemerkung von Hoppe, contionari werde hier passivisch gebraucht = appellaris ist unrichtig.
139. 2) Daß die Worte: bonus pastor et benedictus papa ungezwungen auf den Bischof von Karthago gehen können, habe ich gezeigt in der Schrift: Der Adressat der Schrift de pudicitia usw. Bonn 1914.
140. 3) in parabola ovis unter Verwendung der Parabel vom verlorenen Schaf, oder wohl besser im Gewände der Parabel = du suchst dir den Anschein zu geben, als wärest du der Hirt in der Parabel, der das verlorene Schaf sucht. In dem Ausdruck capras tuas quaeris liegt eine spöttische Verhöhnung.
141. 4) quasi non exinde iam liceat, quod nec semel licuit muß -- das fordert der Zusammenhang -- übersetzt werden, als ob erst von jetzt an nicht erlaubt wäre, was (doch eigentlich) auch nicht einmal erlaubt war. Jetzt setzest du deine Schafe in Furcht, drohest ihnen, als ob es erst von jetzt an unerlaubt wäre, sich durch eine schwere Sünde von der Herde zu trennen. Man erwartet nach „quasi non exinde iam liceat” „quod semel licuit” = als ob nicht auch fernerhin erlaubt sei, was einmal erlaubt war. Oder hat T. geschrieben „quasi non exinde iam non liceat, quod nec semel licuit” ? = als ob nicht fernerhin nur das nicht erlaubt ist, was keinmal erlaubt war. Du kannst nur das für die Zukunft als unerlaubt hinstellen, was auch das erstemal nicht erlaubt war. T. will seinen Gegner der Inkonsequenz beschuldigen, daß er die Wiederaufnahme nur einmal gestattet; vgl. de paen. 7 sed iam semel, quia iam secundo; sed amplius nunquam, quia proxime frustra, eine Stelle, die von Kellner unrichtig übersetzt worden, ist, ,,aber nur einmal, weil es schon das zweite Mal ist; aber nun nicht mehr, weil das nächste Mal schon vergebens”; es muß heißen; „aber weiterhin nicht mehr, weil vorher vergebens”. Die Stelle, richtig übersetzt, beweist, daß T. in de paen. die kirchliche Eekonziliation im Auge hat, sonst konnte er „quia proxime frustra” nicht schreiben.
142. 1) Der Satz enthält nicht, wie Eauschen meint, Worte des Gegners, sondern Worte T.'s. Wie das Verfahren des Apostels nach der negativen Seite, insofern er nichts von Bußübungen sagt, beweist, daß die Stelle in 2 Kor. nicht auf den Blutschänder gehen kann, so auch das positive Verfahren. Er beschwört sogar die Korinther, dem betreffenden Sünder Liebe zu erweisen, was unmöglich wäre, wenn es sich um den Blutschänder handelte.
144. 1) Hic bezeichnet die in Frage stehende Stelle im 1. Korintherbrief. Die Deutung des „in carnis interitum” auf die Bußdisziplin findet sich ebenfalls bei ürigenes an mehreren Stellen.
145. 2) quod videatur etc. darf nicht übersetzt werden: weil jener Mensch usw.; quod bezieht sich auf officium paenitentiae.
148. 5) elata darf nicht übersetzt werden „sich überhebt”; denn T. will keineswegs sagen, daß der Apostel sich überhoben habe, sondern daß seine Seele so hoch erhoben war, daß die Gefahr des Sichüberhebens eintreten konnte.
149. 1) totos homines sind die genannten Menschen, der Blutschänder und die 1 Tim. 1, 20 genannten.
152. 4) de fide, d. h. wenn sie vorher den wahren Glauben hatten und in der Kirche waren. Gegen die mildere Behandlung jener Häretiker, die von Anfang an in der Häresie aufgewachsen sind, hat T. nichts einzuwenden. Er stellt sie den Heiden an die Seite, weil er die von Häretikern gespendete Taufe als ungültig ansah; vgl. Kap. 19.
153. 1) Die reinste Sophistik. Selbst in der Schrift de fuga Kap. 2 sagt er das Gegenteil.
154. 2) Ipse steht hier statt idem Hoppe 104.
155. 3) Nach T. kann der Geist ohne den Leib nichts leiden. In dieser Beziehung hat er aber nicht immer einheitlich gesprochen.
160. 1) 1 Kor. 4, 3; 9, 15; 6, 3.
163. 4) illos sind die in der zitierten Stelle mit „quidam” Angeredeten.
164. 5) 1 Kor. 8, 7, 12. Der Vers 8, 7 wird nach dem Text von T. zitiert: quidam autem in conscientia usque nunc quasi idolothytum edunt. Die Vulgata liest cum conscientia usque nunc idoli. Vielleicht ist „idoli” im Text ausgefallen. Beide, sowohl T. wie die Vulgata, setzen aber im griechischen Text „συνειδήσει” voraus, nicht „συνηθεία”.
170. 4) ehe der Herr selbst ihn durch den Tod wegnahm.
173. 3) Der Text ist hier unsicher. Gangneius überlieferte: statim ille timens plagam abiit ille luens poenam. Die Wiener Ausgabe wollte nach plagam eine Lücke annehmen, die etwa durch ,,rediit” auszufüllen sei, so daß zu lesen wäre: statim ille timens plagam redüt, abiit ille luens poenam. Hartel schlug vor, statt „statim” zu lesen „stat enim”, und dies scheint mir richtig zu sein. Stat erklärt sich aus der angeführten Stelle 1 Kor. 10, 12 Qui se putat stare etc., von der T. gesagt hat: singulari stilo illos figit. Wenn also der Apostel so spricht, so kann er bei diesen Worten nur an einen anderen, als den Unzuchtssünder, gedacht haben, an einen, der noch in ihrer Mitte steht, nicht aus ihrer Mitte weggeschafft ist; es ist also von zweien die Eede, und wenn nun im 2. Korintherbrief von einer venia die Rede ist, so kann sie nur demjenigen zuteil geworden sein, der noch „stand”, gegen den er aber die Rute schon erhoben hatte. Vom Unzuchtssünder sagt er kurz nachher, der Apostel habe ihn niedergeschlagen. „Redüt” darf nicht gelesen werden; denn der mit der Rute bloß Bedrohte war ja nicht ausgeschlossen worden.
174. 1) Res cum sensibus conferam. Zur Erklärung verweist Rauschen auf de fuga 4: Status enim uniuscuiusque certum quid est et dat sensui legem ita sentiendi statum sicuti est. Si autem statu quidem bonum quod a deo venit, sensui vero maium videtur, erit Status in tuto, sensus in vitio. Sensus ist also hier die äußere Auffassung einer Sache, der Eindruck, den eine Sache hervorruft bezw. hervorrufen kann.
175. 2) incesto non videtur ignotum, ut damnato. Aus dem „videtur” schließt Kellner mit Unrecht, daß T. selbst Mißtrauen in seine Beweisführung setze. Man bedenke, daß er gesagt hat: res cum sensibus conferam. Da der Unzüchtige verdammt worden ist, so erweckt er gar nicht den Anschein, bringt er gar nicht auf den Gedanken, daß er begnadigt worden sei. Vielmehr fordere es die „ratio rei”, die in dem „damnare” zum Ausdruck kommt, daß man einen solchen Gedanken ausschließe. Die Annahme, er sei begnadigt worden, sei also willkürlich.
176. 3) adhuc increpitus; zum Gebrauch von adhuc vgl. Hoppe 109.
177. 1) Nach der Lesart in causa eius, nämlich des Blutschänders. T. denkt an 1 Kor. 5. 1 ff., wo bei der Erwähnung des Blutschänders noch andere scharf getadelt werden.
178. 2) fidelius gegenüber einem Apostel wie Paulus.
179. 3) in eadem causa, nämlich der genannten causa des Blutschänders ; vgl. 1 Kor. 5. 1 ff.
180. 4) permittente modulo delicti, nämlich Aufgeblasenheit, oder eine andere Sünde, die im Gegensatz zur Unzucht keine Kapitalsünde war.
181. 1) comparare = in eine Gattung, eine Art zusammenstellen, auf eine Linie stellen. T. denkt an 1 Kor. 5, 1.
182. 2) Der Ausdruck ist im Anschluß an die Sendschreiben Offenb. 2, 1 ff. gebraucht. T. denkt aber nicht etwa an den Bischof der Gemeinde in Korinth, sondern an einen diese Kirche besonders beschützenden Engel.
185. 2) Gangneius überlieferte manifestando damnaverat, was unmöglich ist, Gelenius und die anderen Ausgahen lesen manifestum dedamnaverit. Rauschen hebt hervor, daß dedamnare in der ganzen Latinität niemals vorkommt, und setzt richtig statt „dedamnarerit” „donaverit” und liest „manifesta donaverit”. Vielleicht liest man richtiger: non dedecoris tantum, sed et sceleris manifestum quid donaverit.
189. 2) hoc evolvis, gemeint ist mit hoc jene vom Apostel aus den zitierten Stellen Lev. 26, 11 f. und Is. 52, 11 gezogene Folgerung.
191. 4) Die überlieferte Lesart „nunc” in „hunc” zu ändern, ist nicht angängig. Der Sinn spricht vielmehr für ,,nunc”. Der so schrieb, hatte sicher nicht kurz vorher einen Unzüchtigen wieder aufgenommen (revocaverat), und er schrieb so, daß auch später keiner, also auch jetzt nicht der Gegner T.'s auf den Gedanken kommen solle, er habe so etwas getan.
193. 6) d. h. der Apostel ist (nach T.'s Exegese) betrübt, daß er eventuell solche Menschen noch in der Kirche dulden muß, daß sie nicht längst ohne jedes Schwanken ausgeschlossen worden sind.
195. 2) Ebd. 3, 17. T. gibt hier φθείρειν mit vitiare wieder (die Itala mit corrumpere), weil er den Nebenbegriff des „Schändens”, der in der Unzuchtssünde liegt, zum Ausdruck bringen will; vitiare von Seiten Gottes = dem Verderben und damit der Schande preisgegeben.
204. 2) Si revocabilem venia, quomodo fugiam, moechus denuo futurus? Bei revocabilem venia ist aus dem vorhergehenden zu ergänzen : Wenn er von einer solchen, die widerrufen, rückgängig gemacht werden kann, gesagt hat: fugite fornicationem. Der Sinn ist: Wenn der Apostel unter der gegebenen Begründung: unum corpus efficitur den Befehl ausspricht: fugite fornicationem, so kann er darunter nicht eine solche verstanden haben, die durch Verzeihung wieder rückgängig gemacht werden kann; denn das würde sich gegenseitig widersprechen. Eine etwaige Rückgängigmachung durch Verzeihung wäre fruchtlos, da die Gemeinschaft, die durch die Unzucht hergestellt wird, eine Gemeinschaft zu einem Leib ist. Der Sünder würde also doch vor wie nach ein Ehebrecher sein.
206. 4) Nach der Lesart apponens statt opponens.
207. 5) 1 Kor. 6, 20 u. 7, 23.
209. 2) d. h. die Enthaltsamkeit nicht bloß zu wünschen, sondern zu befehlen» Der Sinn dieses Satzes wird klargestellt durch die Schriften de exhort. castitatis und de monog.; vgl. z. B. de monog. 3. Nach T.'s Auffassung in seiner montanistischen Periode ist die Ehe nur geduldet, eigentlich etwas Böses, wenn auch von geringerer Art. Auf die Enthaltsamkeit geht der eigentliche Wille Gottes. Fällt demnach die Bedingung, unter der der Apostel die Ehe duldet, nämlich das „propter fornicationem” fort, so ist der Apostel -- das will T. sagen -- gehalten, die Enthaltsamkeit vorzuschreiben.
210. 3) In dem Satze: Quando autem licita ignoscuntur, lassen alle Ausgaben das von Gangneius überlieferte Adae weg, ich glaube mit Unrecht, denn nur wenn „Adae” gelesen wird, erhält der Satz seinen prägnanten Sinn. Das Gesetz, crescite et multiplicamini, das Gott dem Adam gab und das die Ehe freigab, ist durch den Neuen Bund, wie der Apostel bezeugen soll, eingeschränkt und modifiziert worden. Jetzt ist die Ehe nur noch gestattet propter fornicationem und eigentlich die Enthaltsamkeit gewollt. Dem alten, an Adam ergangenen Dekret, steht jetzt ein neues gegenüber. Vgl. de exhort. castitatis 6 und am Schluß dieses Kapitels.
212. 2) Nach der Konjektur des Junius „urit” (statt erit), die durch den Zusammenhang gefordert wird. Der Sinn ist: sie würde keinen Schmerz mehr bereiten, da sie leicht befriedigt wird. Das „uri” könne, so meint T., vom Apostel nur im Hinblick auf das Straffeuer der Hölle gebraucht sein, und somit habe der Satz den Sinn: es ist besser (propter fornicationem) zu heiraten, als der Hurerei und damit dem höllischen Feuer zu verfallen.
213. 3) magis est = es ist passender, ziemt sich mehr, es ist mehr darum zu tun.
214. 4) d. h. wenn unter ,,uri” in der zitierten Schriftstelle die Strafe des Feuers zu verstehen ist.
215. 5) Ich habe nach der von Gangneius überlieferten Lesart: quam inuret poena übersetzt. Vgl. de ieiun. 2, wo T. die Stelle 1 Tim. 4, 2 in der Form „inustam habentes conscientiam” zitiert und fortfährt: quibus, oro te, ignibus etc. Die anderen lesen quam manet poena.
226. 2) d. h. getauft worden ist.
233. 5) ingratia nach der Konjektur von Rauschen.
236. 8) Nach der gewöhnlichen Lesart lautet der Text: Et iterum sic dicit: „Qui furabatur, iam non furetur”, sed et: qui moechabatur hactenus, non moechetur etc. Kellner übersetzte „sed et” mit „aber auch”, de Labriolle mit „donc que”, was unmöglich richtig sein kann. Um der Schwierigkeit zu entgehen, schlug van der Vliet vor, statt „sed et” zu lesen „sed non et”, was auch Rauschen annahm. Gangneius überlieferte statt „sie dicit” „si dicit”, was beizubehalten ist; statt „sed et” wird zu lesen sein „silet” = er verschweigt, läßt aus. Dies wird gefordert 1) durch das folgende: Adiecisset enim et haec; 2) durch den Grund, den T. dafür anführt, daß der Apostel diese Worte nicht anführte: Fornicatio . . . ne nominetur quidem inter vos.
241. 1) quando veniae tempus eum damnatione concurrat quam excludit wird unrichtig übersetzt: „Da im Punkte der Verdammung noch die Zeitfrage hinzutritt.” Andere wollen lesen : non concurrat, was falsch ist. Concurro steht hier im juristischen Sinne, wie z. B. die für die Zahlung einer Schuldsumme festgesetzte Zeit konkurriert mit einer bis dahin zu erbringenden. Leistung. Veniae tempus ist also die für Erlangung der Verzeihung gegebene Zeit, welche mit der Zeit der Verdammung zusammenläuft, wobei die Buße mit der Strafe wetteifert, um letztere aufzuheben. Was hier veniae tempus genannt wird, heißt nachher in demselben Kapitel ambitus paenitentiae. Excludere ist = abrogieren, außer Kraft und Wirksamkeit setzen; vgl. z. B. adv. Marc. I, 20 (316/11), I, 1 (291/9) usw.
242. 2) cauta sunt im juristischen Sinne, Stipulationen. Bestimmungen, die getroffen werden.
256. 1) nämlich durch die Taufe.
258. 1) Nach der Lesart: quod mulier Jezabel, quae etc.; andere lesen, quod teneret mulierem Jezabel.
261. 4) in sensus eius; unter eius ist der Hl. Geist gemeint, der Sinn, den er in seine Worte in der betreffenden Schriftstelle hineingelegt hat. Es heißt nämlich: Qui habet aurem, audiat, quid Spiritus dicat ecclesiis Apoc. 2, 11. 17 usw.
262. 1) also einer, der von Anfang an einer häretischen Sekte angehörte und in ihr die Taufe empfangen hatte, nicht einer, der von der wahren Kirche zur Häresie abgefallen war.
263. 2) bei den Montanisten. Diese hielten also die von Häretikern gespendete Taufe für ungültig. Es ist zu bemerken, daß T. diese Anschauung hier als eine montanistische hinstellt In der Schrift de bapt. 15 hat er dieselbe Anschauung verteidigt. Es war also wohl eine Sondermeinung.
264. 3) vom Heidentum und der Häresie.
268. 4) Nach der Interpunktion carpunt. Statim dictum est. Die anderen interpungieren carpunt statim. Dictum est. Kauschen verweist mit Recht auf Kap. 18: habes statim in psalmis.
270. 6) Nach der Lesart „delinquemus” vgl. Hoppe 64 f.
271. 7) non ab omni delicto nach der auch von Rauschen angenommenen Konjektur van der Vliets; sonst fehlt „omni”, und dann wäre unter delictum gerade die schwere Sünde zu verstehen.
272. 8) Im Text 1 Joh. 1, 7 steht freilich „untereinander”.
273. 1) Nach der von Gangneius überlieferten Lesart ut quos . . mundos exinde perstare; vgl. hierzu die Bemerkungen von Rauschen in seiner Ausgabe. Gelenius, dem Oehler und die Wiener Ausgabe folgten, schrieb praestet, eine Lesart, die Bauschen beanstandet
277. 1) aliud invenio; aliud ist nicht, wie Kellner und de Labriolle meinen, eine andere Stelle, sondern, wie kurz vorher, aliud in sensu. Durch Heranziehung der weiter folgenden Stellen (procedens) sucht T. zu beweisen, daß die Stelle 1 Joh. 2, 1 f. nicht den Sinn hat, den sein Gegner in ihr finden will, sondern einen anderen, den er im letzten Absatz des Kapitels darlegt.
278. 2) in hoc, nicht „bei diesem Punkt'', sondern „zu dem Zweck”; von in hoc ist der folgende Satz: ut nihil tale concedat abhängig; zum Gebrauch von in vgl. Hoppe 39.
279. 3) hos sensus = diese, nämlich die folgenden Stellen, Sätze; vgl. später: illi (clausulae literarum suarum) praestruebat hos sensus, diese (nämlich die vorhergehenden) Sätze.
280. 4) 1 Joh. 3, 3 ff.; statt castifieat semetipsum, quia et ille castus est hat die Vulgata: sanctificat (ἁγνίζει) se, sicut et ille sanctus est.
285. 3) Sünden gegen die Keuschheit.
287. 2) Jer. 7, 16; 11, 14; 14, 11.
289. 4) Die gewöhnliche Lesart dieser Stelle lautet: Disciplina igitur apostolorum proprie quidem instruit ac determinat principaliter sanctitatis omnis erga templum dei antistitem et ubique de ecclesia eradicantem omne sacrilegium pudicitiae etc. Diese Lesart kann nicht richtig sein. Denn zunächst was soll proprie quidem instruit bedeuten? De Labriolle übersetzt es mit „en termes non équivoques”. Quidem weist auf einen Gegensatz hin, und dieser kommt im folgenden Satz zum Ausdruck: volo tamen ex redundantia alicuius etiam comitis apostolorum testimonium superducere, idoneum confirmandi de proximo iure disciplinam magistrorum. Den Weg zur richtigen Lesart weist das von Gangneius überlieferte „instrumenta determinant” statt „instruit ac determinat”. Man kann als sicher hinstellen, daß dieser Teil des Satzes zu lesen ist „propria quidem instrumenta determinant”. Der Gegensatz ist dann klar: volo tamen . . . superducere etc. Zunächst und zwar in ausschlaggebender Form (principaliter) kommen die eigenen Schriften der Apostel in Betracht, wenn es sich darum handelt, die apostolische Disziplin festzustellen. Dem principaliter steht gegenüber „ex redundantia''. Die späteren Zeugnisse bestätigen die apostolische Disziplin, und hierbei kommen zunächst, gleichsam als Rechtsquellen, die unmittelbar auf die apostolischen Urkunden folgen (de proximo iure), die Zeugnisse der Schüler und Begleiter der Apostel in Betracht Diese haben das Recht, als Zeugen vernommen zu werden, wenn es sich um die Feststellung der apostolischen Lehre und Disziplin handelt; vgl. de praescr. haer. 32. -- Es wird also zu lesen sein: Disciplinam igitur apostolorum propria quidem instrumenta determinant principaliter etc. -- T. nennt die apostolische Disziplin sanctitatis omnis erga templum dei antistitem, weil der Leib des getauften Menschen ein Tempel Gottes ist. Vgl. Kap. 15 u. 16. In letzterem Kapitel wird die Stelle 1 Kor. 3, 16 eine lex aeditualis genannt, und Kap. 6 heißt es, daß vor der Ankunft Christi -- und ebenso verhält es sich bei jedem noch nicht Getauften -- die Unzuchtssünden Verzeihung erhielten, weil der Leib noch nicht templum dei war. Die Unzuchtssünden sind aber jetzt eine violatio templi dei, und in diesem Sinne nennt sie T. ein Sakrileg und schreibt „et eradicantem omne sacrilegium pudicitiae” (nicht impudicitiae, wie die Wiener Ausgabe mit Latinius glaubte verbessern zu müssen ; vgl. die Bemerkungen bei Rauschen). Es ist deshalb falsch, wenn z. B. Rolffs die violatio templi dei als „Sünden gegen die Gemeinde” auffaßte. Es sind die Unzuchtssünden darunter zu verstehen. Derselbe Sprachgebrauch findet sich übrigens auch bei Cyprian; vgl. z. B. ep. 55, 26 (ed. Hartel II, 644/11).
290. 1) T. schreibt hier den Hebräerbrief dem Barnabas zu.
291. 1) 1 Kor. 9, 6. T. schreibt: iuxta se constituerit in abstinentiae tenore und zitiert dann 1 Kor, 9, 6. Vorher steht nämlich : Numquid non habemus potestatem mulierem sororem circumducendi sicut et ceteri apostoli. T. will also sagen: da der Apostel in einem Zuge fortfahre: Aut ego solus et Barnabas etc., so sei auch im vorhergehenden Satz Barnabas miteinbegriffen.
292. 2) receptior apud ecclesias = unter die kanonischen Schriften aufgenommen; vgl. de praescr. haer. 17. Ista haeresis non recipit quasdam scripturas.
293. 3) fundamenta paenitentiae ab operibus mortuorum; opera mortuorum = opera mortua; vgl. Hoppe 19 (griechisch: νεκρῶν ἔργων). Der Sinn ist: nicht wiederum erst die Grundlage des christlichen Lebens legen durch Abwendung von den toten Werken in der Buße.
294. 4) Vgl. Semmler, Diss. in Tertullian, I, § 8. Tertullian las an dieser Stelle δῦσαι τε μέλλοντος αὶῶνος statt δυνάμεις τε etc.
297. 2) in vetustatem revixerit = so daß der alte Zustand wieder da ist. Kellner und de Labriolle übersetzen unrichtig „aus dem früheren Zustand”, in vetustatem ist abhängig von revixerit; vgl. de paen. 6 in acorem vel amaritudinem senescere incipiunt = so daß sie sauer und bitter werden. Weitere Beispiele Hoppe 88.
299. 2) Equus pallidus, Apok. 6, 8. Tertullian behält hier freilich den Ausdruck viridis bei.
300. 3) T. denkt an Matth. 3, 9.
301. 4) habilis deo = geeignet, Gott aufzunehmen, daß Gott in ihm wohne; vgl. vorher ubi introierit eam sermo dei, nämlich die zweite Person in der Gottheit. Zu diesem Gebrauch des Dativs vgl. de spect. 8. Neptuno vomunt = zu Ehren des Neptun, adv. Marc. II, 18; ad ieiunandum deo = zur Ehre, zum Dienste Gottes, vgl. Hoppe 26.
303. 2) nämlich daß die Fleischessünden keine Vergebung fanden, und sie führten diese Disziplin durch, vergaben selbst solche Sünden nicht und ließen nicht zu, daß sie vergeben wurden. Und wenn sie dieselben vergeben haben sollten, so geschah es, wie T. jetzt glaubt darlegen zu. müssen, nur kraft einer außergewöhnlichen Vollmacht, die für die Gewalt der Kirche keine Bedeutung hat.
304. 3) adsignat zu ergänzen ist hominem; die potestas drückt ihm ein Siegel auf, kennzeichnet ihn so als einen Geistesbegabten, «inen Gottgeweihten; vgl. de pat. 13: patientia virginem adsignat = weiht die Jungfrau Gott; de orat. 8: adsignata oratione = nachdem das Gebet Gott dargebracht, Gott geweiht worden ist.
305. 4) Gangneius überlieferte: seorsum quod potestas spiritus autem deus. Latinius glaubte diese Lesart umändern zu müssen in: Sed rursum quid potestas? Spiritus. Spiritus autem deus; und die Wiener Ausgabe und Rauschen nahmen diese Konjektur an. Was soll aber „rursum'' bezeichnen, und worauf soll es sich beziehen ? „Seorsum” darf nicht geändert werden, da es gerade den spezifisch montanistischen Gedanken ausdrückt, daß die potestas etwas für sich Bestehendes, Außergewöhnliches, vom Hl. Geist besonders Verliehenes und somit in der bischöflichen Gewalt nicht Enthaltenes ist. Zu diesem Gebrauch von „seorsum” zitiere ich aus den vielen Stellen bei T. nur de idol. 5: Seorsum figurae, quae etc. = Eine Sache für sich sind die Vorbilder, welche usw. und de monog. 12: An ordo aliqui seorsum debebit institui monogamorum etc. Es wird also wohl zu lesen sein: Seorsum quid potestas Spiritus; Spiritus autetn deus. Potestas Spiritus ist die Geistes-Vollmacht der sog. Geist begabten, wie ecclesia Spiritus die Geist-Kirche ist.
306. 1) nämlich der Hl. Geist.
308. 3) Matth. 18, 22. Vgl. Kap. 2: delicta mundantur, quae quis in fratrem, non deum admiserit. Die Unzuchtssünden sind Sünden gegen Gott, weil sie gegen seinen „Tempel” begangen werden; vgl. S. 457 Anm.
309. 4) si. . . constaret. T. gibt diese Voraussetzung nicht zu ; aber selbst wenn es feststände, so wäre eine solche Sündenvergebung nur eine außergewöhnliche, rein persönliche Vollmacht gewesen, die im apostolischen Amt als solchem nicht eingeschlossen war und deshalb auch auf ihre Nachfolger nicht überging.
310. 1) Zu diesem Satz und zu dem Titel „apostolice” vgl. meine Ausführungen, Der Adressat usw. S. 18 ff. -- prophetica exempla sind Beweisstücke, aus denen die pneumatische Begabung erkannt werden kann, also alles das, was in der sog. Ekstase sich vollzog. Vgl. Kap. 22 und de carne Christi 2. Exhibe auctoritatem: si propheta es, praenuntia aliquid.
311. 2) Nach Luk. 22, 25 f. das „praesidere” will T. seinem Gegner nicht absprechen, aber dies soll sich beschränken auf die Geltendmachung der Glaubensregel und der Sittenzucht. In bezug auf die schweren Sünder gehört zu diesen officia disciplinae die Pflicht, sie auszuschließen, aber nicht die Vollmacht, sie wieder aufzunehmen. Vgl. Kap. 14 hoc enim (sc. extra ecclesiam dare) non a deo postularetur, quod erat in praesidentis officio. Wenn T. nichtsdestoweniger dem Bischof die Vollmacht zuschrieb, die peccata leviora zu vergeben, so liegt hier in seiner Theorie ein ungelöster Widerspruch vor.
312. 3) apostolum exhibens. T. denkt an die Gabe Wunder zu wirken.
313. 4) Ein Ausspruch des Montanus oder seiner Prophetinnen. Über die montanistischen Orakel siehe de Labriolle, La crise montaniste 84 ff. -- Der Text lautet gewöhnlich: ne et alia delinquant. Harnack schlug vor, „alii” zu lesen, eine Lesart, die Rauschen aufnahm. Vgl. kurz nachher „et ceteros ad deliquentiam temperare'' und „cum plurium malo non vult”. -- Daß das Subjekt zu „faciam” nicht etwa Montanus, sondern der Hl. Geist ist, ergibt sich aus der Konstruktion (dicentem), sodann aus dem nachfolgenden Satz: Spiritus veritatis potest quidem . . . sed nom vult. Der Orakelspruch sowohl wie auch die Worte T.'s: Hoc ego magis et agnosco et dispono, beweisen deutlich, daß der montanistischen Lehre eine feste Tradition entgegenstand.
314. 1) Durch dieses Dilemma will T. den Einwand, der Orakelspruch sei nicht ein authentischer Spruch des Hl. Geistes, entkräften. Denn erstens würde der Lügengeist anders gesprochen und sich durch Milde eingeschmeichelt haben; zweitens, wenn man aber sagen wolle, er habe den Geist der Wahrheit wie in ändern Dingen so auch in diesem Sprach (si et hoc) nur nachgeäfft, so wäre zwar der Spruch kein Spruch des Hl. Geistes, aber nun wüide folgen, daß der Hl. Geist wirklich jenen Grundsatz befolgt, den der Lügengeist ja nur aussprach, um ihn nachzuäffen. -- Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß dieses Dilemma keinen Eindruck machen konnte, da T. jenen Inhalt der Hl. Schrift ignoriert, in dem Gott selbst seine Barmherzigkeit gegen die Sünder offenbart.
315. 2) hoc ius ecclesiae usurpes. Gangneius überlieferte „iussisse” und wahrscheinlich ist zu lesen: hoc ius ipsi ecclesiae usurpes. Dadurch würde der Gegensatz zu „Spiritus veritatis potest indulgere” schärfer hervortreten.
317. 2) Der Satz wird bei Oehler und in der Wiener Ausgabe unrichtig in zwei Sätze geteilt und falsch interpunktiert, indem nach propinquam und conferentem ein Fragezeichen gesetzt wird. Mit qualis es beginnt der Nachsatz zu „si . . . praesumis”. Nach propinquam ist ein Doppelpunkt zu setzen und nach conferentem ein Ausrufungszeichen oder ein Fragezeichen mit Ausrufangszeichen. Das bei T. an vielen Stellen vorkommende, den Nachsatz einleitende qualis est oder quäle est bedeutet „wie kommst da mir vor, wie kannst du es wagen, was soll es heißen”. -- Daß die Stelle „ad omnem ecclesiam Petri propinquam” übersetzt werden kann „jede Kirche, die mit der Kirche Petri verwandt ist” und, weil „Petri” dasteht, sogar besser so übersetzt wird (propinquus hat für gewöhnlich den Genitiv nur dann bei sich, wenn es substantivisch steht), beweisen folgende Stellen Apol. 12: materias sorores vasculorum instrumentorumque communium; Apol. 28: ventum est ad secundum titulum laesae augustioris maiestatis; de cor. 12: Est et alia militae regiarum familiarum = Es gibt auch noch einen ändern Kranz, den Kranz des Soldatenstandes der Palastdiener; de fuga 12: Certe et huius timiditatis consilium est; de idol. 21: Et erit idololatriae confessio timoris tui; de res. carn. 49: Ventum est nunc ad carnem et sanguinem, revera totius quaestionis = damit sind wir angelangt bei „Fleisch und Blut”, fürwahr auch beim Fleisch und Blut der ganzen Streitfrage. Ich füge noch an eine Stalle aus Cicero (orat. 203): Sunt etiam qui in quoddam genus abiectum incidant, Siculorum simillimum (vgl. Fr. Stolz und J. H. Schmalz, Lat. Gramm.3 S. 490). Propinquus bezeichnet die geistige Geineinschaft in Glauben, Sitte, Disziplin und Kultus, jene durch den gleichen Besitz geistiger Güter begründete familiaritas und fraternitas der Kirche, welche nicht zufälliges Produkt geschichtlicher Entwicklung ist, sondern durch den lebendigen Zusammenhang mit dem apostolischen Ursprung begründet wird. Vgl. de praescr. haer. 20; 32; de bapt. 15. Deshalb sind die Häretiker „extranei”, weil sie sich von dieser Gemeinschaft getrennt and dadurch enterbt haben. De carne Christi 1 nennt T. die Leugner der Auferstehung propinquos Sadducaeorum.
320. 3) Wenn also der Herr ihm befohlen hat, auch zu binden, d. h. Sünden zu behalten, so bann sich dieser Befehl nur auf die schweren. gegen Gott und seinen Tempel begangenen Sünden beziehen. Sonst standen Matth. 18, 22 und Matth. 16, 18 f. miteinander in Widerspruch. Postea ist zu mandasset zu ziehen, oder zu alligäre, im letzteren Falle wäre es zu übersetzen: etwas für später oder von jetzt an zu binden.
321. 1) Die Matthäusstelle 16, 18 f., von der T. glaubt bewiesen zu haben, daß sie nur auf Petrus persönlich geht; et quidem tuam ist verschärfend = erst recht kannst du dich nicht darauf berufen, da deine Kirche nicht die Kirche Petri ist, ein Zusatz, der doch offenbar darauf hinweist, daß der apostrophierte Bischof nicht der Bischof von Röm ist. Im folgenden Satz ist „secundum enim Petri personam” zu übersetzen: entsprechend der Person Petri, und secundum steht nicht = secundo loco post. Der Sinn ist: Wie diese Gewalt in Petrus nur eine persönliche war, so ist sie fürderhin nur eine persönliche.
322. 2) Diese „spiritales” weisen sich als solche aus durch die Wunder- oder Weissagungsgabe.
323. 3) Nach der Lesart: nam et ipsa ecclesia; die Lesart ipse ist unmöglich. T. gibt hier, soweit es ihm möglich ist, eine Definition des spiritualistischen montanistischen Kirchenbegriffes. Vgl. Kap. 18 am Schluß : ut eum spiritum dixerit, qui in ecclesia censetur.
324. 4) Nach Matth. 18, 20. Ubi sunt duo vel tres congregati in nomine meo. Vgl. hierzu de fuga 14; de exhort. castitatis 7. Sed ubi tres, ecclesia est, licet laici. -- In diesen Stellen liegt eine Anerkennung und Beschönigung der geringen Zahl der Montanisten, welche für ihre Winkelversammlungen die Bezeichnung „die Kirche” beanspruchten.
325. 5) numerus omnis darf nicht übprsetzt werden: alle diejenigen, welche sich in diesem Glauben vereinigen, sondern ist zu übersetzen: jede beliebige Anzahl, auch wenn es bloß zwei sind. Vgl. de exh. cast. 7: quod non unum est, numerus est. Denique post unum incipit numerus.
326. 1) Es ist zu lesen: qui in hanc fidem conspiraverint, ecclesia ab auctore et consecratore censetur, nicht: qui in hanc fidem conspiraverint ecclesiae, wie allerdings Gangneius und Gelenius überlieferten. Ecclesia wird durch den Zusammenhang gefordert, denn T. will gerade hervorheben, daß schon zwei oder drei vom Stifter der Kirche selbst als „Kirche” erklärt wurden; ferner ist bei auetore et consecratore offenbar „ecclesiae” zu ergänzen, wodurch ecclesia gefordert wird. Zu hanc fidem ist keine Ergänzung notwendig; haec fides ist = dieser unser Glaube, dieser christliche Glaube. Vgl. de ieiun. 13 (291/13): praescribitis constituta esse sollemnia huic fidei. T. will hervorheben, daß der (wahre, in der Glaubensregel enthaltene) Glaube allein genügt, und somit zwei, die in diesem Glauben vereinigt sind, „die Kirche” sind. Vgl. de exh. cast. 7 : Unusquisque enim sua fide vivit. -- ecclesia ... censetur kann kurz übersetzt werden: „wird Kirche genannt”; vgl. Apol. 39 S. 144 Anm. 1 und die daselbst angeführten Stellen, zu denen noch hinzugefügt werden kann de virg. vel. 5: probari a nobis opportet, proprietatem eius vocabuli ad sexum ipsum, non ad gradum sexus pertinere, quo communiter etiam virgines censeantur.
327. 2) Der Text lautet gewöhnlich: Ut quisque ex confessione vincula induit adhuc mollia in novo custodiae nomine etc. Rauschen verweist mit Recht auf ad mart. 2, wo T. „custodia” von carcer unterscheidet. Noch mehr dient aber zur Erklärung der Stelle de ieiun. 12 (290/30): . . . quam (sc. abstinentiae disciplinam) nec ille pristinus vester non Christianus martyr adtigerat, quem ex facultate custodiae liberae aliquamdiu fartum etc. Custodia war also eine Haft, ein Gewahrsam, in dem man sich freier bewegen und reichlich unterstützt werden konnte. T. spricht an der genannten Stelle (wenn auch sicher in gehässiger Weise übertreibend) von Bädern, den Erholungsorten der feinen Welt u.s.w. Statt „ex confessione” überlieferte Gangneius „ex consensione”, und diese Lesart ist die richtige, wie es auch de ieiun. heißt: „ex facultate liberae custodiae”. Vielleicht ist aber „ex concessione” zu lesen. Diese libera custodia wurde zugestanden; „ex consensione” würde wohl darauf hindeuten, daß dieses Zugeständnis auf einem do ut des beruhte und nicht ohne Anwendung von allerlei Mitteln (Bestechung u. s. w.) erreicht wurde.
328. 1) T. braucht den zweideutigen Ausdruck violantur.
329. 2) T. denkt an die Parabel Matth. 18, 23 ff.
330. 3) Selbst dann ist er noch nicht Märtyrer, ja er könnte selbst noch des Martyriums verlustig gehen.
333. 2) Nach der Lesart indignum deo et illius misericordia, eius qui paenitentiam. Auf die Stelle, daß Gott lieber die Buße des Sünders will als seinen Tod, hatten seine Gegner sich besonders berufen. Deshalb der Zusatz eius qui etc. Gerade jene Barmherzigkeit Gottes, auf die sie sich immer wieder berufen wollen, fordert unbedingt, daß u. s. w.
334. 1) quia non vincendo cesserunt darf nicht übersetzt werden, „weil sie nicht durch das Ausbleiben des Sieges verschwunden sind”. Der Sinn ist vielmehr: Sie sind zwar unterlegen und kaben nachgegeben, aber erst nach hartem Kampf. Der Sieg ist ihnen zwar nicht zu teil geworden, aber ihr Kampf war nichtsdestoweniger ein christlicher Kampf und ein Zeugnis für Christus, und auch so sind ihre Wunden glorreich.
336. 3) Solis illis caro infirma est darf nicht als Frage gefaßt und übersetzt werden: Ist bei ihnen allein das Fleisch schwach ? Vielmehr enthält der Satz eine Behauptung und ist zu übersetzen: nur bei ihnen allein kann von Schwäche des Fleisches die Eede sein, oder wie oben: nur auf sie allein findet das Wort Anwendung. Der Sinn wird klargestellt durch de monog. 15., wonach die „Psychiker” dieses Wort des Herrn benutzten, um die zweite Ehe zu rechtfertigen, worauf ihnen T. antwortet: cur illam (infirmitatem) in alia causa neque sustinent neque venia fovent, cum tormentis expugnata est in negationem.
337. 4) durch Sünden gegen die Keuschheit, durch Eingehen einer zweiten Ehe, oder durch Aufgabe des jungfräulichen oder enthaltsamen Lebens. Vgl. de monog. 16: Rideo autem, cum infirmitas carnis opponitur, quae summa fortitudo est. Iterum nubere est res virium, resurgere in opera carnis de continentiae otio substantia est laterum.
Übersetzt von Heinrich Kellner, 1912/1915. Übertragen durch Roger Pearse, 2002.
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