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Gegen Marcion. I

207 n. Chr.

[Übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner]

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Inhalt:

I. Buch.

1. Cap. Tertullians frühere schriftstellerische Thätigkeit gegen Marcion. Dessen Heimat und Person. Sein System im allgemeinen.

2. Cap. Die beiden Götter Marcions, der Demiurg und der sogenannte Gott der reinen Güte.

3. Cap. Gott ist das höchste Gut und dieses kann nur eines sein.

4. Cap. Zwei höchste Güter können auch dann nicht gleichzeitig existieren, wenn man sie sich getrennt und unabhängig von einander denken wollte.

5. Cap. Denn es könnten dann ebenso gut mehr als zwei existieren. Zwei einander völlig gleiche höchste Wesen annehmen, Messe nichts weiter, als unnötigerweise denselben Begriff verdoppeln, und würde hinsichtlich der ihnen schuldigen Verehrung Schwierigkeiten machen.

6. Cap. Zwei von einander verschiedene höchste Wesen aber können nicht nebeneinander bestehen.

7. Cap. Fortsetzung und Abschluss dieses Nachweises.

8. Cap. Der Schöpfergott und der sogenannte neue Gott der Marcioniten.

9. Cap. Der letztere soll allerdings eigentlich schon vorhanden gewesen, aber neu bekannt geworden sein. Dies ist undenkbar.

10. Cap. Gott war den Menschen allzeit bekannt aus seiner Schöpfung.

11. Cap. Die Vorstellung von einem unbekannten Gott führt zu Widersprüchen.

12. Cap. Ein unbekannter Gott könnte nur ein solcher sein, der unthätig geblieben, darum also überhaupt nicht erkennbar ist.

13. Cap. Die Schöpfung im grossen, wie im kleinen ist bewunderungswert und Gottes würdig, was schon die heidnische Philosophie und Religion beweisen.

14. Cap. Die Marcionitische Geringschätzung der geschaffenen Welt ist heuchlerisch, unwahr und lächerlich.

15. Cap. Nach seinen Prinzipien müsste Marcion konsequent auch den Raum und die Materie für Götter erklären.

16. Cap. Man kann die geschaffene Welt nicht derart teilen, dass das Sichtbare dem Demiurgen, das Unsichtbare dem guten Gott angehört.

17. Cap. Die blosse Offenbarung der Thatsache seines Daseins seitens Gottes ohne vorausgehendes oder gleichzeitiges Schaffen würde für den Menschen nicht genügen.

18. Cap. Wie soll man sich die vermeintliche Selbstoffenbarung des Gottes der reinen Güte denken? Sie muss doch jedenfalls des göttlichen Wesens würdig sein.

19. Cap. Von dieser vermeintlichen Offenbarung hat vor Marcion niemand etwas gewusst.

20. Cap. Die Marcionitische Entgegenstellung von Gesetz und Evangelium.

21. Cap. Die Natur der Sache und die Tradition verbieten eine derartige Gegenüberstellung.

22. Cap. Eine Güte Gottes, die sich nicht offenbart, kann vom Menschen auch nicht erkannt 'werden, existiert also für ihn nicht.

23. Cap. Wenn der bloss gute Gott die Menschen erlösen will, so greift er in eine fremde Sphäre über, da nach Marcions System die Menschen vom Demiurgen erschaffen sind.

24. Cap. Die Erlösung, wie sie sich in Wirklichkeit darstellt, lässt die Annahme eines bloss gütigen Gottes, der nicht auch gerecht ist, nicht zu.

25. Cap. Eine reine und sich teilnahmlos auf sich beschränkende Güte, nötigt eine Art Gott vorauszusetzen, wie der des Epikur. Ein solcher könnte aber auch das Erlösungswerk nicht unternehmen.

26. Cap. Ein solcher Gott der reinen Güte müsste schliesslich gegen die Sünde und Beleidigung seiner selbst gleichgültig sein, was unmöglich ist.

27. Cap. Das Urteilen über Gute und Böse würde bei ihm zum blossen Schein herabsinken.

28. Cap. Alle Heilsveranstaltungen und Sakramente verlieren im Marcionitischen System ihre Bedeutung.

29. Cap. Mit Unrecht verbietet Marcion die Ehe als etwas Unreines.

I. Buch.

1. Wenn wir früher etwas gegen Marcion unternommen haben, so kümmert uns das jetzt weiter nicht mehr. Wir fangen nun auf Grund des alten ein neues Unternehmen an. Mein erstes Schriftchen hatte ich als übereilt später durch eine vollständigere Bearbeitung ersetzt. Bevor letztere noch durch Abschriften vervielfältigt war, ging auch sie mir, durch den Diebstahl eines Mitbruders, der nachher Apostat wurde, verloren; derselbe hatte einiges nur höchst fehlerhaft abgeschrieben und brachte es so in die Öffentlichkeit. Es ergab sich die Notwendigkeit einer verbesserten Bearbeitung, und die dargebotene Gelegenheit zur Umarbeitung liess Zusätze rätlich erscheinen. So befindet sich denn meine Feder jetzt in der Lage, beim zweiten Ausgehen ihres Büchleins zum dritten Male und beim dritten hier nun eigentlich zum ersten Male die Vorrede schreiben zu müssen, damit niemand, wenn er hin und wieder Abweichungen daran entdeckt, stutzig wird.

Der sogenannte Pontus Euxinus, das gastliche Meer, ist eine Negation seiner Natur und ein Hohn auf seinen Namen. Schon infolge seiner Lage wird niemand den Pontus für gastlich halten, er ist zu weit von unsern milden menschlicheren Gestaden entfernt, fast aus einem gewissen Schamgefühl über seine Barbarei. Ganz wilde Völkerschaften umwohnen ihn ; wofern man auf einem Wagen hausen überhaupt wohnen nennen kann. Ihre Wohnsitze sind nicht ständig, ihre Lebensweise roh, die Befriedigung des Geschlechtstriebes ohne Schranken und geschieht meistens ohne alle Scham. Auch wenn sie sich dabei der Öffentlichkeit entziehen, hängen sie zum Anzeichen an einem Joche ihre Köcher auf, damit sich nicht unversehens jemand nähere. Die Leichname ihrer Eltern fressen sie mit Tierfleisch zusammengehackt bei ihren Gastmählern. Ist jemand einer Todesart erlegen, die ihn ungeniessbar macht, so gilt dies als ein Fluch. Selbst die Weiber sind nicht etwa entsprechend der Eigenart ihres Geschlechts milder und gesitteter; Kinder stillen ist ihre Sache nicht, statt Wolle zu spinnen, hantieren sie mit Äxten, sie wollen lieber Kriegsdienste thun als heiraten. Der Himmelsstrich ist rauh, das Tageslicht ist niemals vollkräftig, die Sonne niemals ganz frei, die ganze Atmosphäre ein Nebel, das ganze Jahr Winter, alle Winde, die wehen, kommen von Norden. Die Getränke müssen durch Feuer erst wieder flüssig gemacht werden, die Ströme sind durch eine Eisdecke gefesselt und auf den Gebirgen lagern mächtige Schneemassen. Alles ist träge, alles starr; nichts ist dort feurig als die Wildheit, jene Wildheit nämlich, welche die Opfer der Taurier, die Liebeshändel der Kolchier und die Kreuze der Kaukasier als Bühnenstoffe geliefert hat.

Allein nichts ist so befremdlich für uns und so traurig für Pontus, als dass dort Marcion geboren wurde, der abschreckender ist als ein Scythe, unstäter als ein Hamaxobier, unmenschlicher als ein Massagete, verwegener als eine Amazone, dunkler als der Nebel, kälter als der Winter, spröder als das Eis, trügerischer als die Donau, gefahrvoller als der Kaukasus. Oder etwa nicht? Bei ihm wird ja der allmächtige Gott wie ein wahrer Prometheus zerfleischt. Marcion ist sogar reissender als die wilden Tiere jenes Barbarenlandes. Denn wäre wohl ein Biber1) in dem Grade darauf versessen, das Fleisch zu kastriren, als er, der das Heiraten abgeschafft hat? Die pontischen Ratten sind nicht so gefrässig, wie er, der die Evangelien angenagt hat! Fürwahr, o Pontus, das Tier, das du hervorgebracht hast, ist für den Philosophen noch erträglicher als für den Christen. Diogenes, der bekannte Kläffer, wünschte einen Menschen zu finden, als er mit der Laterne am Mittage umherging? Marcion dagegen hat seinen Gott, den er gefunden hatte, verloren und sein Glaubenslicht ausgelöscht. Seine Schüler werden wohl nicht leugnen, dass sein anfänglicher erster Glaube mit dem unsrigen übereinstimmte, wie seine eigenen Briefe bezeugen, und man kann ihn auf Grund dessen allein, dass er das Frühere im Stich gelassen und sich angeeignet hat, was vorher nicht war, schon für einen Häretiker erklären. Denn alles nachträglich Eingeführte wird ebenso sicher für Häresie angesehen werden müssen, als das Frühere und von Anfang an Überlieferte für Wahrheit gehalten wird. Allein ein anderes Schriftchen von uns2) dürfte wohl gegen die Häretiker diese Position behaupten, dass man sie sogar schon ohne Prüfung der Lehren zurückweisen müsse, weil sie das sind, auf Grund der Prozesseinrede der Neuheit. Diesmal aber will ich, insoweit ein Kampf statthaft ist, um nicht, wenn das abgekürzte Verfahren mit den Prozesseinreden bei jeder Gelegenheit angerufen wird, dadurch Misstrauen zu erregen, erst die Glaubensregel des Gegners voranschicken, damit für jedermann ersichtlich sei, um was die Hauptfrage sich dreht.

2. Unser Mann aus Pontus kommt uns mit zwei Göttern an, gleichsam zwei symplegadischen Felsen, woran er seinen Schiffbruch leidet; der eine ist unser Gott, der Schöpfer, den er nicht zu leugnen im stände ist, der andere der seinige, dessen Existenz er nicht zu beweisen vermag. Den Anstoss zu diesem Wahn empfängt der Unglückliche aus der schlichten Stelle eines Ausspruches des Herrn. Dieser hat aber bloss die Menschen, nicht Götter im Auge, wenn er in seiner Parabel vom guten und schlechten Baume sagt, dass der gute Baum keine schlechten und der schlechte Baum keine guten Früchte trage, d. h. eine gute Gesinnung oder ein guter Glaube könne keine schlechten und ein schlechter keine guten Werke hervorbringen.3 Gefoltert nämlich, wie viele Leute, namentlich Häretiker, auch jetzt noch von der Frage über das Böse und seinen Ursprung und betäubt durch die Gewalt seines Grübelgeistes selbst, findet er, dass der Schöpfer den Ausspruch that: "Ich bin es, der die Übel schafft 4) Je fester er sich nun auch auf andere Gründe hin, die auf alle verdorbenen Menschen diesen Eindruck machen, eingebildet hatte, der dort gemeinte Gott sei der Urheber des Übels, um so zuversichtlicher deutete er den schlechten Baum, der schlechte Früchte, nämlich das Böse, hervorbringt, auf den Demiurgen 5) und wähnte nun, dass es noch einen andern Gott geben müsse für die Rolle des guten Baumes mit den guten Früchten, indem er in Christo so gleichsam eine andere Heilsveranstaltung fand, die der blossen und reinen Güte, von welcher der Schöpfergott weit entfernt ist, gelangte er mit Leichtigkeit zu dem Schlüsse, eine neue Gottheit gastire in seinem Christus und habe sich in demselben offenbart. Von der Zeit an verdarb er mit einer geringen Menge Sauerteig die ganze Masse des Glaubens durch seine häretische Säure. Er hatte einen gewissen Cerdo zum Lehrer dieser anstössigen Dinge, damit die Blinden desto eher glauben sollten, zwei Götter erkannt zu haben. Den einen hatten sie nämlich nicht recht gesehen. Denn Leute mit entzündeten Augen sehen mehrere Lichter, wo nur eins ist. Den einen Gott also, dessen Dasein zu bekennen er sich gezwungen sah, hob er auf, indem er Böses an ihm zu tadeln hatte, den andern, den er zu erklären beflissen war, konstruierte er auf Grund der vorauszusetzenden Güte. Wie er diese beiden Naturen anordnete, geben unsere Erwiderungen selbst zu erkennen.

3. Die Hauptfrage und somit der ganze Streit dreht sich also um die Zahl, ob man, womöglich mit poetischer, künstlerischer und, was das dritte ist, mit häretischer Licenz zwei Götter aufstellen dürfe. Allein die christliche Wahrheit hat den bündigen Ausspruch gethan: Wenn Gott nicht einer ist, so gibt es gar keinen; denn es ist passender, anzunehmen, es existiere gar nicht, was nicht so ist, wie es sein soll. Um aber einzusehen, dass Gott nur einer sein kann, untersuche man, was Gott sei, und man wird es nicht anders finden. Was die menschliche Schwäche von Gott mit Bestimmtheit auszusagen vermag, das sage ich aus, und das allgemeine Bewusstsein wird dem zustimmen: Gott ist die höchste Grosse,6) die in der Ewigkeit gegründet, ungeboren, ungeschaffen, ohne Anfang und ohne Ende ist. Denn dieser Zustand gehört sich für die Ewigkeit, welch letztere Gott zum höchsten Gute macht, indem sie, wie auch die übrigen genannten Eigenschaften, eben darum in Gott ist, damit Gott die höchste Grösse sei, sowohl hinsichtlich der Form, als auch des Wesens, der Macht und des Könnens.

Darüber sind alle einig; denn es wird wohl niemand in Abrede stellen, Gott sei die höchste Grösse, ausser wer ihn etwa für das Gegenteil, für die niedrigste Beschränktheit ausgibt und ihn so eigentlich leugnet, indem er ihm die göttlichen Eigenschaften nimmt. Es fragt sich nun, wie wird das höchste Gut beschaffen sein? Offenbar so, dass ihm nichts gleichkommt, d. h. so, dass es kein anderes höchstes Gut mehr gibt; denn wenn das wäre, so würde dieses ihm gleich stehen, und wenn es ihm gleichstände, so wäre er nicht mehr das höchste Gut, indem Bedingung und Gesetz umgestossen ist, wonach es sich verbietet, dem höchsten Wesen etwas gleich zu stellen. Was also als höchste Grösse gelten soll, das muss einzig dastehen und seines gleichen nicht haben, um nicht aufzuhören, das höchste Wesen zu sein. Folglich wird es nichts anderes sein können, als das, wodurch es sein Sein empfängt, nämlich durchaus einzig. Da Gott also das höchste Wesen ist, so hat unsere christliche Wahrheit mit Recht erklärt: Wenn Gott nicht einer ist, so gibt es gar keinen. Nicht als ob wir zweifelten am Dasein Gottes, wenn wir sagen: Wenn er nicht einer ist, so existiert er nicht, sondern wir sagen so, weil wir den, von welchem wir glauben, dass er existiere, für das ausgeben, ohne welches er nicht das sein kann, was er ist, nämlich die höchste Grosse.

Nun muss aber das höchste Gut ein einziges sein. Folglich wird auch Gott nur ein einziger sein, da er sonst, ausser als die höchste Grösse, nicht Gott ist; höchste Grösse wird er aber nur dann sein, wenn er seines gleichen nicht hat, und seines gleichen wird er nur dann nicht haben, wenn er der einzige ist. Wen man auch immer als zweiten Gott hinstellen mag, man wird sicherlich seine Gottheit nur in der Weise behaupten können, dass man ihm die Eigentümlichkeiten der Gottheit zuschreibt, wie die Ewigkeit, so auch, dass er das höchste Gut sei. Wie sollen also zwei höchste Grössen zusammen bestehen können, da die höchste Grösse eben darin besteht, nicht seines gleichen zu haben? Nicht seines gleichen zu haben, aber kommt nur einem Einzigen zu und kann sich an zweien durchaus nicht finden.

4. Nun könnte man argumentieren, dass zwei höchste Güter neben einander bestehen, ist möglich, wenn sie getrennt und gesondert sind, jedes in seinem Gebiete, sich dafür auf die Analogie der irdischen Reiche beziehen, deren es an Zahl so viele gibt und die doch, jedes in seinem Gebiete, als höchste Grösse existieren, und der Ansicht sein, man müsse überall die göttlichen und menschlichen Einrichtungen in Vergleich setzen. Wird dieser Sophisterei Kaum gegeben, so steht nichts im Wege, sofort nicht bloss einen dritten und vierten Gott aufzustellen, sondern so viele, als es Könige und Völker gibt! Es handelt sich hier um Gott, dessen wichtigste Eigentümlichkeit darin besteht, keine Zusammenstellung mit irgend einer Analogie zu dulden. Darin besteht seine Natur, wofern nicht Isaias, sondern vielmehr Gott selbst durch Isaias spricht: "Mit wem willst du mich vergleichen?"7). Die menschlichen Dinge werden wohl mit den göttlichen verglichen werden können, aber nicht mit Gott. Denn Gott ist wieder etwas anderes als die göttlichen Dinge. Wenn man sich der Analogie des Königs als eines höchsten Gutes bedient, so sehe man zu, ob das auch noch angeht! Der König nämlich ist die höchste Grösse auf seinem Throne bis hinauf zu Gott, aber doch immer unter Gott; mit Gott verglichen, verliert er sofort den Charakter einer höchsten Grosse, und dieser geht auf Gott über. Wie kommt man also dazu, sich dieser Analogie zu bedienen zu einer Vergleichung mit Gott, da sie doch, sobald es zur Vergleichung mit Gott kommt, hinfällig wird? Und wie wenn die höchste Grösse auch hei Königen nicht einmal als eine vielfältige angesehen werden darf, sondern als etwas einziges und vereinzeltes, das sich nämlich nur bei dem findet, welcher wegen seiner höchsten Erhabenheit und der Unterordnung der übrigen Stufen gleichsam auf dem Gipfel der Herrschergewalt stehend als König der Könige gilt!? Auch dann, wenn Könige von einer andern Regierungsform, die einzeln für sich aber in einheitlichem Reichsverbande die Herrschaft führen, wenn sie sich mit ihren, so zu sagen, Duodezreichen von allen Seiten zusammenfinden, um durch eine Probe festzustellen, wer von ihnen an Machtmitteln der Regierung und Reichtümern höher stehe, so muss sich die höchste Macht schliesslich auf einen concentriren, indem im Verlauf der Vergleichung einer nach dem andern von dem Gipfel der Macht entfernt und beseitigt wird. Also auch wenn die höchste Grösse in der Zersplitterung als eine vielfältige erscheint, auch dann ist sie der Macht, Natur und Wesenheit nach nur eine einzige. Ebenso wenn zwei Götter zusammengestellt werden, wie etwa zwei Könige, und zwei höchste Grossen, so muss das Resultat einer angestellten Vergleichung, die Einheit der höchsten Grösse, dem einen oder dem andern zufallen. Denn infolge ihres Sieges steht sie als höchste da, indem sie die andere ihr feindliche Grösse, aber nicht höchste Grösse, überwunden hat, und da sie nun keine Nebenbuhlerin mehr hat, so behauptet sie infolge der Singularität ihrer Vorzüge einegewisse Einzigkeit und steht allein da. Diese unwiderstehliche Verknüpfung der Dinge zwingt zu dem Urteil: Entweder muss man leugnen, Gott sei das höchste Gut, was kein Vernünftiger thun wird, oder keinen andern an dieser Eigenschaft teilnehmen lassen.

5. Oder welcher Grund ist denn vorhanden, zwei höchste Güter zusammenzustellen? Denn ich frage erstens, wenn man zwei höchste Güter aufstellt, warum nicht noch mehr? Denn wenn bei der göttlichen Wesenheit einmal die Pluralität anwendbar ist, so müsste man sie sich doch noch reicher denken. Da ist Valentinus, der auch zwei Götter, den Bythos und die Sige, neben einander zu denken wagte, doch nobler und freigebiger; denn er setzte einen Götterschwarm von 30 Äonen in die Welt, als wäre er das Mutterschwein des Äneas.8) Alle Gründe, welche verbieten, mehrere höchste Wesen anzunehmen, gelten auch bei zweien; denn zwei sind schon mehr als eins. Von der Eins an beginnt nämlich das Zählen. Was der Zulassung von zweien günstig ist, spricht auch für mehrere. Denn nach der zwei folgt die Vielheit, da die Einheit bereits überschritten ist. So lässt uns dieser Beweis infolge seines Wortlautes selbst ebensowenig mehrere Götter annehmen, als der vorhin ausgesprochene Grundsatz, welcher einen einzigen Gott statuiert, zwei Götter, da ihm zufolge dasjenige Gott sein muss, dem man als dem höchsten Gute nichts gleichstellen kann, dasjenige aber, dem man nichts gleichstellen kann, einzig in seiner Art ist.

Für wen sollen denn, frage ich jetzt weiter, zwei höchste Grossen, zwei gleiche Wesen von Wert und Nutzen sein? Was liegt denn an der Zahl? Zwei völlig gleiche Dinge sind ja von einem nicht verschieden. Denn was in völliger Identität in zwei Exemplaren existiert, das ist nur ein Ding. Und wenn noch mehr solche gleiche Dinge da wären, so würden sie alle nur eins bilden, indem sie sich ---- weil völlig gleich ---- durch nichts unterscheiden, Wenn ferner keins vom andern verschieden ist, so sind beide sofort auch höchste Güter und beide als solche Götter.9) Keins hat vor dem andern einen Vorzug, und es existirt kein Grund, warum ihrer mehrere sein sollten, da keins einen Vorzug zeigt.

Eine Mehrzahl in der Gottheit aber dürfte nur bei den allerwichtigsten Gründen bestehen können, schon darum, weil ihre Verehrung dadurch in einen ungewissen Zustand geriete. Denn wenn ich zwei Götter wahrnehme, die ebenso beide Gott als beide höchstes Gut sind, was würde, ich dann thun, wenn ich sie beide verehre? Ich müsste fürchten, überflüssige Diensterweisung könnte eher für Aberglauben als für Religiosität gelten; denn ich könnte sie mir, da sie beide ganz gleich und eins im andern enthalten sind, durch einen Akt geneigt machen. Damit würde ich gerade für ihre Gleichheit und für ihre Einheit ein Zeugnis ablegen, indem ich den einen im andern verehre, weil sie für mich zwei in einem sind. Wenn ich aber nur einen von beiden verehrte, so würde ich befürchten müssen, damit die Mehrheit zu verunehren, die, wenn man keinen Unterschied setzt, überflüssig ist. Das wäre so viel, als die Ansicht, keinen von beiden verehren zu sollen, würde mehr Sicherheit bieten, als den einen mit Besorgnis, oder beide vergebens zu verehren.

6. Unsere Disputation war bisher, wie es scheint, so angelegt, als wenn Marcion zwei gleiche Götter statuierte. Indem wir behaupteten, Gott, das höchste Gut, müsse als einziger gedacht und die Gleichheit mit etwas anderem von ihm ausgeschlossen werden, so haben wir diese beiden Götter behandelt, als wären sie zwei gleiche. Indem wir nichtsdestoweniger lehrten, dass es keine zwei gleiche geben könne, gemäss dem Begriffe der höchsten Grösse, haben wir damit auch genügend festgestellt, dass es überhaupt keine zwei geben könne. Im übrigen aber wissen wir recht gut, dass Marcion zwei verschiedene Götter statuiert, einen, der Richter, Tyrann und Kriegsherr, und einen, der milde, sanft, bloss gut, ja ganz gut ist.

Untersuchen wir ebenso nun auch diesen Punkt, ob eine Zweiheit von höchsten Wesen wenigstens bei angenommener Ungleichheit derselben bestehen könne, wenn es bei Gleichheit derselben nicht geht. Auch hierbei wird uns die über das höchste Gut aufgestellte Regel zu statten kommen, weil sie für den Gesamtbegriff der Gottheit einsteht. Indem ich nämlich den Sinn des Gegners, der nicht leugnet, dass der Demiurg Gott sei, aufgreife und gleichsam dingfest mache, erhebe ich mit vollstem Recht die Einrede, die behauptete Verschiedenheit zwischen ihnen könne nicht statthaben.10) Nachdem er sie eingestandenermassen als Götter auf gleiche Linie gestellt hat, kann er sie nicht mehr verschieden sein lassen; nicht deshalb, als ginge es nicht, dass Menschen bei gleicher Benennung doch sehr verschiedenen Wesens seien, sondern deshalb, weil man nichts für Gott halten und im Glauben als solchen ansehen kann, als nur ein höchstes Gut. Da also, wer11) kein Gottesleugner ist, ein höchstes Gut anerkennen muss, so ist es unzulässig, am höchsten Gute irgend eine Verkleinerung vorzunehmen, wodurch es einem andern höchsten Gute unter geordnet würde; denn sobald es eine Unterordnung erleidet, ist es damit vorbei. Von seinem Wesen abzulassen, ist aber nicht Sache Gottes, d. h. des höchsten Gutes. Denn wenn beim Demiurgen seine Eigenschaft als höchstes Gut eine Verkümmerung erleiden kann, dann kommt sie auch bei dem andern in Gefahr.

Wenn also zwei Götter und zwei höchste Güter proklamiert werden, so darf notwendigerweise keins grösser und keins geringer, keins höher und keins niedriger sein als das andere. Behaupte dreist, der sei kein Gott, den Du für geringer ausgibst; leugne, dass das ein höchstes Gut sei, welches Du für kleiner hältst. Nennst Du aber beide Gott, dann machst Du sie damit auch beide zum höchsten Gut. Du kannst nicht dem einen etwas nehmen oder dem andern etwas zulegen. Wenn Du ihre Gottheit anerkennst, so liegt darin eine Leugnung jeder Verschiedenheit derselben.

7. In Erwiderung darauf wirst Du nun versuchen, diese Bedenklichkeiten in betreff der Bezeichnung Gott niederzuschlagen mit dem Hinweis auf ihre Allgemeinheit und die Erlaubtheit, sie auch andern Wesen beizulegen, weil geschrieben steht: "Der Gott der Götter stand in der Versammlung der Götter und richtete darin die Götter" und: "Ich sprach, Ihr seid Götter".12) Den Genannten kommt aber die Eigenschaft eines höchsten Gutes trotzdem nicht zu, weil sie den Beinamen Götter erhalten, mithin auch nicht dem Demiurgen.

Ich habe auch eine Antwort für den Thoren, der nicht einmal so viel Einsicht hat, zu bedenken, ob dieselbe Bemerkung nicht auch gegen den eigentlichen Gott Marcions angewendet werden könne, auch er führe den Namen Gott, ohne dass der Beweis geliefert sei, er sei wirklich das höchste Gut, so wenig wie die dem Demiurgen angehörenden Engel und Menschen. Wenn die Gemeinsamkeit der Namen ein Präjudiz für die Beschaffenheit bildet, so frage ich, wie viele nichtsnutzige Sklaven gereichen nicht dem Namen ihrer Könige zur Schande, einem Alexander, Darius, Holofernes? Darum wird den Königen aber doch noch nicht genommen, was sie sind. Auch die Götzenbilder heissen ja gemeinhin Götter; allein niemand ist schon darum Gott, weil er Gott heisst. So mache ich es denn auch hinsichtlich des Weltschöpfers, ich nehme nicht für den Namen Gott, nicht für das Wort oder die Schriftzüge die Eigenschaft, höchstes Gut zu sein, in Anspruch, sondern für die Substanz, der dieser Name zukommt. Diese allein finde ich ungeschaffen, ungeworden, ewig und Urheberin des Weltall; nicht dem Namen, sondern dem Wesen, nicht der Benennung, sondern ihrem Sein schreibe ich es zu und lege ich die Eigenschaft bei, das höchste Gut zu sein. Und darum, weil diese Substanz, der ich es zuschreibe, diesen Namen bereits besitzt, darum meinst Du, ich schriebe es dem letztern zu, weil es nicht zu umgehen ist, dass ich durch den Namen zu erkennen gebe, welcher Substanz ich ihn zuschreibe, nämlich der, aus welcher besteht, wer Gott heisst, und die Eigenschaft, höchstes Gut zu sein, wird ihm wegen seiner Substanz, nicht um des Namens willen beigelegt. So macht es auch Marcion; wenn er seinem Gotte diese Eigenschaft beilegt, so legt er sie ihm in Hinsicht auf seine Substanz, nicht etwa wegen seines Namens bei.

Also die Eigenschaft, höchstes Gut zu sein, wie wir sie Gott beilegen infolge seiner Substanz, nicht auf den blossen zufälligen Namen hin, die muss, behaupten wir, in gleicher Weise in den beiden Wesen vorhanden sein, die aus der Substanz bestehen, infolge deren man Gott heisst. Denn wie sie den Namen Götter führen, d. h. höchste Güter, natürlich als ungeschaffene, ewige und darum grosse, ja die grössten Substanzen, so kann nach derselben Massgabe ein höchstes Gut nicht für niedriger und geringer gehalten werden, als irgend ein anderes höchstes Gut. Wenn die dem höchsten Gut zukommende Seligkeit, Erhabenheit und Unabhängigkeit dem Gotte Marcions inne wohnen sollte, so wird sie ebensogut auch dem unsern inne wohnen; wenn sie aber dem unsern nicht inne wohnt, dann ebensowenig dem des Marcion. Folglich würden zwei höchste Güter nicht gleich sein können; daran hindert der bereits für das höchste Gut, das keine Gleichstellung zulässt, angenommene Grundsatz. Sie werden auch nicht von einander verschieden sein dürfen, weil dem wieder ein anderer für das höchste Gut geltender. Grundsatz in den Weg tritt, nämlich der, dass es keine Verminderung duldet.

Da schwebst Du nun, Marcion, mitten in der Sturmflut Deines Pontusmeeres! Von beiden Seiten stürzen die Wogen der Wahrheit über dich herein. Weder gleiche noch ungleiche Götter zu behaupten, bist Du imstande. Denn es gibt keine zwei. Das gehört recht eigentlich zu dem Bedenken hinsichtlich der Zahl. Obwohl der ganze Streit sich eigentlich um die zwei Götter dreht, so haben wir ihn doch jetzt in diese Grenzen eingeschränkt, wo wir den Kampf über ihre einzelnen Eigenschaften beginnen werden.

8. Zuerst suchen die Marcioniten mit wichtiger Miene ein Staunen hervorzurufen darüber, dass sie einen neuen Gott ans Licht gefördert haben, als wenn wir uns unseres alten Gottes schämen müssten. Auch die Knaben brüsten sich mit ihren neuen Stiefelchen, aber bald bekommen sie wegen ihrer thörichten Eitelkeit von ihrem alten Pädagogen Schläge trotz ihrer neuen Stiefelchen.

Wenn ich also von einem neuen Gott höre, der in der alten Welt, in der alten Zeit und unter dem Regiment des alten Gottes unbekannt und verborgen gewesen, und den, nachdem er in so und so viel früheren Jahrhunderten gar nichts gegolten und eben durch seine Verborgenheit veraltet war, ein gewisser Jesus Christus, der auch unter dem alten Namen eine neue Person sein soll, und vor ihm sonst niemand geoffenbart habe ---- dann bin ich ihnen recht dankbar für diese ihre Selbstzufriedenheit; denn sie ist mir ein gewaltiges Hilfsmittel und ich werde ihnen schon daraufhin Häresie nachweisen, nämlich die, dass sie eine neue Gottheit lehren. Da hätten wir also dieselbe Neuerung, die bei den Heiden die Götter hervorgebracht hat, auf den immer wieder erneuerten Titel einer Apotheose hin. Ein neuer Gott ist immer ein falscher. Nicht einmal Saturns Gottheit wird durch sein jetzt schon recht ansehnliches Alter erwiesen, da er ja auch einmal durch eine Neuerung hervorgebracht worden ist, nämlich damals, als man ihn zuerst als Gott apotheosierte. Die lebendige und echte Gottheit dagegen beruht weder auf der Neuheit noch auf dem Altertum, sondern auf der Wahrheit. Die Ewigkeit kennt keine Dauer; denn alle Zeit ist in ihr. Was man selbst hervorbringt, dem kann man nicht unterworfen sein. Was nicht geboren werden kann, kennt keine Altersstufen. Wenn Gott alt ist, so wird er einmal nicht sein; wenn er neu ist, so ist er einmal nicht gewesen. Das Neusein ist ein Beweis des Entstandenseins, das Alter lässt ein Ende befürchten. Gott aber ist so weit vom Neuentstandensein und vom Endenehmen entfernt, als von der Zeit überhaupt, nach welcher Anfang und Ende bemessen und gezählt wird.

9. Ich weiss recht gut. in welchem Sinne sie von ihrem neuen Gott reden, nämlich dass er neu sei hinsichtlich seiner Anerkennung. Allein diese vermeintliche neue Erkenntnis, womit man unbefangene Gemüter verblüfft macht, so wie auch diesen natürlichen Reiz der Neuheit beabsichtigte ich zu zerstören und damit auf ihren unbekannten Gott zu kommen. Denn natürlich, wenn sie entgegnen, er sei hinsichtlich der Kenntnis neu, die man von ihm hat, so besagt das, er sei vor seiner Wiederanerkennung unbekannt gewesen. Wohlan also, wiederum in die Schranken und Stellung genommen! Überzeuge uns davon, dass ein Gott habe unbekannt sein können! Ich finde allerdings, dass man den unbekannten Göttern Altäre aufgestellt hat, ---- aber das ist nur eine Abgötterei der Athener; ebenso den ungewissen Göttern ---- das ist ein Aberglaube der Römer. Nun sind aber Ungewisse Götter, die zu wenig bekannten und darum zu wenig gewissen und mithin unbekannt, weil zu wenig gewiss. Welchen von diesen beiden Titeln sollen wir nun dem Gott des Marcion beilegen? Ich denke, beide. Ungewiss ist er jetzt und unbekannt war er früher. Denn so gut wie er durch das Bekanntsein des Demiurgen zum unbekannten Gott wurde, so machte ihn auch der sichere Gott zu einem unsichern.

Ich will nicht von der Sache abschweifen und sagen: Wenn Gott unbekannt und verborgen war, so hat ihn eine Region der Finsternis umhüllt, die natürlich dann ebenfalls neu und unbekannt und auch jetzt noch ungewiss, jedenfalls aber unermesslich gross und ohne Zweifel grösser ist als der, den sie birgt. Nein, ich will in meiner Proposition kurz und in meiner Ausführung möglichst vollständig sein und nur die Einrede erheben: Gott konnte gar nicht, unbekannt bleiben wegen seiner Grösse und er durfte es nicht ---- wegen seiner Güte, zumal da er in beiden Beziehungen vorzüglicher war als unser sogenannter Demiurg. Allein, da ich bemerke, dass der Beweis für jeden neuen und früher unbekannten Gott in einigen Punkten auf die Analogie des Schöpfergottes zurückkommen muss, so werde ich vorerst darlegen müssen, dass wir dazu guten Grund haben, um mich dann mit desto grösserer Sicherheit des angegebenen Grundes bedienen zu können.

Was soll es nun vor allem heissen, dass man Gott anerkennt und ihm infolge dieser Kenntnis die Eigenschaften des Schaffens und der Priorität zugesteht, dann aber sich nicht dazu verstehen will, auch dem andern Gott mit demselben Massstabe zu prüfen, wodurch man, wie man bereits einmal erfahren hat, Gott erkennen kann? Jedes Ding, das früher ist, hat offenbar die Norm für das spätere vorgezeichnet. Man legt uns als Problem zwei Götter vor, einen bekannten und einen unbekannten. In betreff des bekannten sind Fragen überflüssig. Es steht fest, dass er existiert; denn er würde nicht bekannt sein, wenn er nicht existierte. In betreff des unbekannten dagegen ist die Sache strittig. Denn er könnte möglicherweise ja auch nicht existieren, da er, wenn er existierte, ja bekannt geworden sein würde. Worüber man also, so lange es unbekannt ist, Fragen aufwirft, das bleibt auch ungewiss, so lange man Fragen darüber aufwirft, und es kann möglicherweise gar nicht existieren, so lange die Ungewissheit dauert.

Bei Dir gibt es einen gewissen Gott, weil er bekannt ist, und einen ungewissen, weil der unbekannt ist. Wenn dem so ist, was könnte Dich vernünftigerweise abhalten, nach Massgabe, Analogie und Regel des Bekannten das Unbekannte zu beweisen? Wenn dagegen bei diesem Gegenstande, der selber ein unsicherer ist, auch noch unsichere Argumente angewandt würden, so würde der Gang der Untersuchung verwickelt werden infolge der Bedenken über die Argumente selbst, die ebenso ungewiss sind und wegen ihrer Ungewissheit wenig oder gar keinen Glauben erwecken. Man würde so zu jenen endlosen Fragen kommen, welche der Apostel nicht liebt. Wenn aber von sicheren, unzweifelhaften und absoluten Dingen entnommene Regeln das Präjudiz für unsichere, zweifelhafte und unfertige Partien abgeben müssen, wobei sich ein verschiedener Zustand der Dinge findet, dann wird man sich wohl nicht in der Art auf sie berufen, wie man es bei unumstösslichen Dingen thut, weil sie wegen der Verschiedenartigkeit ihres Grundwesens nicht weiter in Vergleich gezogen werden dürfen. Werden aber zwei Götter aufgestellt, so ist ihre Grundbeschaffenheit dieselbe; denn was zur Gottheit gehört, das haben sie beide; sie sind ungeworden, unerschaffen, ewig. Das ist ihr wesentlicher Zustand.

Im übrigen mag Marcion sehen, wie er zurecht kommt, wenn er eine Verschiedenheit annimmt. Denn das Nachfolgende ist bedenklich oder vielmehr gar nicht annehmbar, wenn der wesentliche Zustand gesichert ist. Er ist aber gesichert; denn sie sind beide Götter. Und wenn daher in betreff ihres Wesens feststeht, dass es das gleiche sei, und sie aus der Rücksicht, dass es noch etwas Ungewisses bei ihnen gebe, einer Prüfung unterworfen werden, dann müssen sie nach Analogie derjenigen gewissen Dinge behandelt werden, mit denen sie die wesentliche Beschaffenheit teilen, und werden demnach dann auch hinsichtlich der Bewährung mit ihnen gleich stehen. Daher werde ich aufs entschiedenste darauf bestehen, der kann kein Gott sein, der heute ungewiss ist, weil er früher unbekannt war. Denn in betreff desjenigen, dessen Existenz ausgemacht ist, haben wir gerade darum Gewissheit, weil er niemals unbekannt und darum auch niemals ungewiss war.

10. Von Anbeginn der Dinge an wurde ihr Urheber mit ihnen in gleicher Weise wahrgenommen, da sie selbst eben zu dem Zwecke erschaffen wurden, um Gott erkennen zu lassen. Auch wenn der bedeutend später lebende Moyses der erste zu sein scheint, der im Tempel seiner Schriften von dem Weltschöpfer zu reden anfängt, so dürfen doch die Tage der beginnenden Gotteserkenntnis nicht erst vom Pentateuch an gerechnet werden. Denn die Feder des Moyses brachte uns überhaupt gar nicht die Gotteserkenntnis, sondern sie lehrt, dass dieselbe vom Uranfang an, von Adam und dem Paradiese, nicht erst von Moyses und Ägypten her zu datieren sei. Die grössere Mehrzahl des Menschengeschlechts kennt den Namen des Moyses ja gar nicht einmal, geschweige denn sein Schriftwerk; den Gott des Moses aber kennt sie doch. Obwohl die Idololatrie ein so grosses Gebiet mit ihrer Finsternis beherrscht, so unterscheidet man ihn doch, bezeichnet ihn sozusagen als den eigentlichen Gott, als "Gott der Götter" und sagt: "Wenn Gott es so fügt", "Was Gott gefällt" und "Ich empfehle es Gott". Sie werden ihn also wohl erkannt haben, wenn sie seine Allmacht bezeugen. Und diese Kenntnis verdanken sie nicht irgend einer Schrift des Moyses. Die menschliche Seele war früher als das Prophetentum. Denn das uranfängliche Wissen der Seele ist eine Mitgabe von Gott, sie ist bei den Ägyptern dieselbe wie bei den Syrern und den Bewohnern von Pontus. Denn sie bezeichnen den Gott der Juden als den Gott der Seele. Also, Du Häretiker aus dem Barbarenland, mache nicht Abraham älter als die Schöpfung. Wäre der Demiurg auch nur der Gott einer einzelnen Familie gewesen, so war er doch nicht später als Dein Gott, er war auch den Leuten in Pontus schon früher als Dein Gott bekannt. Entnimm also Du Ungewisser von dem Vorgänger, dem gewissen, Du Unbekannter von dem Bekannten, die Gesetze der Analogie! Nie und nimmer wird ein Gott verborgen oder abwesend sein können. Immer wird er erkannt, immer gehört, immer gesehen werden, auf die Art, wie er gerade will. Gott hat seine Zeugnisse, nämlich alles, was wir sind und worin wir uns befinden. So bezeugt er sich denn als Gott und als alleiniger Gott, indem er durchaus nicht unbekannt ist, und der Beweis für den andern noch auf sich warten lässt.

11. Ganz natürlich, erwidern sie, denn wer ist den Seinigen nicht so bekannt als den Fremden? Niemand. Gut, ich greife auch dieses Wort auf. Etwas Fremdes für Gott? was soll das heissen? Es würde ja für ihn, wenn er eben Gott wäre, nichts, was ihm fremd ist, geben. Denn das ist ja eben das Wesen Gottes, dass alles sein ist und alles zu ihm gehört, schon deshalb, damit er sich nicht sofort von uns sagen lassen müsse: "Was hat er denn also mit Leuten zu schaffen, die ihn nichts angehen?" Doch davon ausführlicher am betreffenden Ort. Für jetzt genügt es, zu beweisen, dass der, dem nichts zugehört, auch selbst nichts ist. Denn wie der Demiurg eben infolge davon Gott und unbezweifelter Gott ist, weil alles ihm gehört und es nichts gibt, was ihm fremd wäre, so ist der andere eben deswegen kein Gott, weil alles ihm nicht gehört und ihm darum fremd ist. Wenn das Weltall dem Demiurgen gehört, so kann ich nicht einmal absehen, wo für einen zweiten Gott der Raum herkommen soll. Es ist ja alles von seinem Schöpfer in Besitz genommen und erfüllt. Wenn es für ein Götterwesen bei den Geschöpfen überhaupt noch Raum gibt, so konnte es offenbar nur für ein falsches sein. Die Wahrheit kommt durch die Lüge an den Tag. Warum sollte bei der grossen Anzahl der Götzen für den Gott des Marcion nicht irgendwo noch Platz sein?

Daher muss ich nach Analogie des Schöpfers auch noch die Forderung stellen, dass er als Gott 'aus Werken in irgend einer ihm eigentümlich zugehörigen Welt, Menschenart und Schöpfung, hätte erkennbar werden müssen, um so mehr, als die Welt in ihrer Verirrung Götterwesen, deren menschliche Natur sie zuweilen eingesteht, auch darum angenommen hat, weil jeder der betreffenden irgend etwas zu den Bedürfnissen und Bequemlichkeiten des Lebens 13) beigetragen zu haben scheint. So ist es also nach Analogie des Gottes auch als göttliches Attribut angesehen worden, irgend etwas zu lehren oder zu zeigen, was dem Menschen nützlich oder notwendig ist. Dies göttliche Ansehen ist den falschen Gottheiten auf demselben Wege zugekommen, wie vorher der wahren. Der Gott Marcions hätte also doch wenigstens irgend eine besondere Erbsengattung hervorbringen müssen, um als ein neuer Triptolemus gepriesen werden zu können. Oder aber ---- man gebe eine der Gottheit würdige Ursache an, warum er nichts geschaffen hat, wenn er existiert. Denn, wenn er existierte, so würde er auch schöpferisch thätig gewesen sein nach der Analogie, dass auch unseres Gottes Existenz nur dadurch kundbar ist, dass er dies gegenwärtige Weltall geschaffen hat. Denn es dürfte ein- für allemal mit der Einrede seine Richtigkeit haben, dass es nicht möglich ist, einerseits den Demiurgen für einen Gott zu halten, und andrerseits für denjenigen, den sie ebenfalls für einen Gott gehalten wissen wollen, den Beweis nicht in derselben Weise zu führen, wie für den, den sie und alle Menschen für Gott halten. Da eben aus dem Grunde, weil der Demiurg die Welt erschaffen hat, niemand an seiner Gottheit zweifelt, so darf umgekehrt niemand den, der nichts geschaffen hat, für einen Gott halten, es sei denn, dass ein vernünftiger Grund dafür beigebracht würde. Dieser müsste notwendig ein doppelter sein, erstens, dass er entweder nichts schaffen wollte, oder zweitens, dass er es nicht konnte. Ein Drittes gibt es nicht. Allein nicht gekonnt zu haben, ist Gottes unwürdig. Ob es seiner würdig sei, nicht gewollt zu haben, das will ich noch untersuchen. Sage mir, Marcion, wollte Dein Gott zu irgend einer Zeit sich zu erkennen geben oder nicht? Ist er aus anderer Absicht herabgestiegen, hat er gelehrt, gelitten und ist auferstanden, als dazu, dass er erkannt werde? Und dann, wenn er überhaupt erkannt wurde, so hat er es ohne Zweifel gewollt. Denn es würde in betreff seiner nichts geschehen, was er nicht gewollt hätte. Warum hat er sich also so grosse Mühe gegeben, bekannt zu werden, dass er sich sogar in der Niedrigkeit und Schmach des Fleisches darstellte, die um so ärger ist, wenn letzteres nur ein scheinbares war. Denn es ist schimpflicher, wenn er sich auch noch hinsichtlich der Substanz seines Leibes einer Lüge schuldig machte; abgesehen davon aber zog er sich auch noch den Fluch des Schöpfers zu, weil er am Kreuze hing. Viel schicklicher wäre es gewesen, durch irgend welche Kundgebungen seiner eigenen Thatkraft die Kenntnis von sich anzubahnen, zumal da die Kenntnis von ihm demjenigen entgegen treten sollte, bei welchem er nicht von Anfang an durch seine Werke bekannt war. Denn was soll es heissen, dass der Demiurg, wie die Marcioniten wollen, einerseits sich in Unkenntnis darüber befindet, dass es noch einen andern Gott über ihm gibt, während er eidlich versichert, der einzige zu sein und dabei die Kenntnis von sich durch so viele Schöpfungen sicher stellt ? Da er in dem Glauben war, der einzige zu sein, so hätte er dafür gar nicht so eifrig besorgt zu sein brauchen. Der andere hingegen, der höher stehende, der weiss, dass der geringere Gott so gut für sich gesorgt hat, trifft gar keine Vorbereitungen für sein Bekanntwerden. Er hätte denn doch noch herrlichere und erhabenere Werke schaffen müssen, um als Gott dazustehen nach Art des Demiurgen, und zwar als der höhere und vornehmere durch bessere Schöpfungen als der Demiurg.

12. Gesetzt aber, es wäre uns möglich, seine Existenz einzuräumen, dann müssten wir schliessen, er existiere ohne eigentliche Bestimmung. Denn eine zwecklose Existenz würde der führen, der kein Objekt hat, weil jedes Objekt voraussetzt, dass ein Eigentümer desselben existiere. So gut wie ferner nichts ohne Zweck sein darf, d. h. ohne Objekt ---- denn ein zweckloses Sein ist so gut wie gar kein Sein, indem das Objekt selbst kein Endziel des Objekts hat, ---- ebenso gut müsste ich annehmen, es sei anständiger, dass Gott gar nicht existiere, als dass er ein zweckloses Dasein habe. Zwecklos ist, was kein Objekt und darum kein Ziel hat. Gott aber darf ohne einen Zweck, d. h. ohne ein Objekt, nicht sein. So oft ich daher in der Voraussetzung, er existiere, beweise, dass seine Existenz eine zwecklose ist, so oft zeige ich damit, wie ich hier feststellen will, dass er gar nicht existiert; denn wenn er existiert, so würde er gewiss nicht ohne Zweck sein. Auch den Glauben würde er bei dieser Voraussetzung, behaupte ich daher, ohne Grund von den Menschen fordern, da dieselben gewohnt sind, auf eine andere Weise den Glauben an Gott zu gewinnen, nämlich infolge des gewaltigen Eindrucks seiner Werke; er aber hat für nichts von dem gesorgt, woraus der Mensch Kenntnis von Gott gewinnt. Denn selbst, wenn sehr viele an ihn glauben, so ist doch ihr Glaube damit nicht gleich ein begründeter, denn sie haben von ihm keine entsprechende Bürgschaft dafür, d. h. Werke, die eines Gottes würdig sind. Darum würde sein Benehmen wegen dieses Mangels an Schöpfungswerken an Unverschämtheit und Bosheit grenzen; an Unverschämtheit, weil er einen Glauben heischt, der ihm nicht gebührt und zu dessen Begründung er nichts gethan hat; an Bosheit, weil er den Unglauben so vieler Personen verschuldet, indem er nicht für Anhaltspunkte des Glaubens gesorgt hat.

13. Wenn wir einem Gott, für den keine schöpferische Eigenschaft, die Gottes so würdig und so eigentümlich ist, Zeugnis ablegt, diese Würde absprechen, so rümpfen die unverschämten Marcioniten die Nase und greifen zur Herabsetzung der Werke der Schöpfung. Freilich, spotten sie, ist die Welt ein grossartiges und Gottes würdiges Werk! Nun? ist denn euer Demiurg etwa kein Gott? ---- Doch er ist es. ---- Dann ist also auch die Welt Gottes nicht unwürdig; denn Gott hat nichts seiner Unwürdiges vollbracht, obschon er die Welt für den Menschen und nicht für sich gemacht hat und jedes Werk geringer ist als sein Urheber. Und doch, wenn es Gottes unwürdig sein sollte, etwas geschaffen zu haben, mag es sein, so gering es will, so wäre es jedenfalls Gottes noch viel unwürdiger, gar nichts geschaffen zu haben, nicht einmal etwas seiner Unwürdiges. Denn dann könnte man doch immer noch hoffen, er werde später bessere Dinge schaffen!

Um also auch etwas über das zu sagen, was an der Welt, welcher die Griechen den Namen Kosmos, d. i. Schmuck, Zierde, nicht etwa Schmutz, gegeben haben, trotzdem Unwürdiges sein soll, bemerke ich, dass die Lehrer der Weltweisheit selbst, von deren Gedanken alle Häresien zehren, die unwürdig sein sollenden Substanzen für Götter ausgegeben haben, so z. B. Thales das Wasser, Heraclit das Feuer, Anaximenes die Luft, Anaximander alle Himmelskörper, Strato den Himmel und die Erde, Zeno den Äther und die Luft, Plato aber die Gestirne, die er das feuerartige Göttergeschlecht nennt. Indem sie nämlich an der Welt die Grosse, Macht, Kraft, Herrlichkeit, Schönheit, Unerschöpflichkeit, Beständigkeit und Regelmässigkeit der einzelnen Elemente betrachteten, welche dazu beitragen, alles hervorzubringen, zu erhalten, zu vollenden und wieder herzustellen, so fürchteten sie, wie die meisten Physiker, bei ihr einen Anfang und ein Ende zu statuieren, damit nicht etwa ihre Bestandteile, die so gross und erhaben sind, als weniger göttlich erschienen. Auch von den Magiern bei den Persern, von den Hierophanten in Ägypten und den indischen Gymnosophisten werden dieselben göttlich verehrt.

Sogar der gemeine Aberglaube des allgemeinen Götzendienstes nimmt, wenn er sich an seinen Götzenbildern der alten Namen und Geschichten von längst verstorbenen Menschen schämt, zur physikalischen Erklärungsweise seine Zuflucht, verbirgt seine Schande unter geistreichen Redensarten und deutet Jupiter in das Bild einer glühenden Substanz um, Juno stellt er sich luftartig vor, entsprechend dem Wortlaut der griechischen Bezeichnung, Vesta als das Feuer, die Camönen als die Gewässer, die Magna Mater als die des Samens beraubte, mit den Händen durchwühlte von Wasser übergossene Erde. Weil Osiris immer begraben, dann wieder unter den Lebenden gesucht und mit Freude gefunden wird, so deuteln sie, er sinnbilde die sicher immer wiederkehrenden Früchte und die Leben gebenden Elemente des wechselnden Jahres. Ähnlich philosophieren sie über die Löwen des Mithras, welche die Geheimnisse der dürren und schmachtenden Natur vorstellen sollen. In betreff der an Stellung und Rang höhern Substanzen genügt es uns, dass man sie lieber für Götter gehalten hat, als für Gottes unwürdig. Ich will aber auch zu den niedrigen Dingen hinabsteigen. Ein einziges Blümchen, ich meine nur eins von der Hecke, nicht einmal eins vom Blumenbeete, ein Häuschen einer beliebigen Schnecke vom Meer, ich sage nicht einmal vom Roten Meer, ein Federchen vom Auerhahn, vom Pfauen will ich schweigen, werden sie alle Dir predigen, der Schöpfergott sei ein Künstler gewesen, der keine Achtung verdient?

14. Wofern Du aber Deinen Spott haben willst über die kleinen Tiere, die der höchste Künstler absichtlich so reichlich mit Fertigkeiten und Kräften ausgerüstet hat, indem er lehrt, dass Grosses sich im Kleinen offenbare, ähnlich wie nach den Worten des Apostels die Tugend in der Schwäche, so bilde doch einmal die Häuser der Bienen, die Gänge der Ameisen, die Netze der Spinnen, die Gewebe der Kaupen nach, wenn Du kannst; ertrage und biete den kleinen Tieren, die sich in Deinem Bette und Hause finden, dem Gifte der Wespen, dem Stachel der Mücken, dem Gesumme und Stechen der Schnaken Trotz, wenn Du kannst. Wie wird es Dir erst mit den grösseren Tieren gehen, da Du schon von den kleinen teils Vorteile, teils Nachteile erfährst, um auch im Kleinen den Schöpfer achten zu lernen?!

Endlich besieh Dich einmal selbst rundum, betrachte den Menschen von innen und von aussen! Das ist ein Werk unseres Gottes, das Dir am Ende doch wohl gefallen wird, da es ja Dein Herr, der bessere Gott, so sehr liebte, um seinetwillen sich aus dem dritten Himmel in diese armseligen Elemente herunter bemühte, und seinetwegen in diesem, dem Demiurgen gehörenden Winkel sich sogar kreuzigen liess. Es war ihm bis jetzt noch nicht einmal das vom Demiurgen geschaffene Wasser zu schlecht, um die Seinigen damit abzuwaschen, auch nicht dessen Oel, um sie zu salben, auch nicht dessen Honig und Milch, um die Seinigen damit zu füttern, auch nicht dessen Brot, worin er seinen eigenen Leib gegenwärtig sein lässt. Bei seinen eigenen Sakramenten sogar hat er die Armseligkeiten des Demiurgen nötig. Du aber bist der Schüler, der mehr ist als der Meister, der Knecht, der über dem Herrn steht; Du weisst es besser als er und vernichtest, was er geliebt hat.

Ich hätte Lust, zu untersuchen, ob Du wenigstens dabei ehrlich verfährst und nicht etwa selbst Verlangen nach dem hast, was Du verwirfst. Du bist gegen den Himmel eingenommen; bei deinen Wohnungen aber verlangst Du freie Aussicht. Du verachtest die Erde, aus der Dein Dir verhasster Leib offenbar gebildet ist, und suchst doch alle guten.Erzeugnisse derselben auf zu deinem Lebensunterhalte. Du tadelst das Meer, aber nicht seine reichen Producte, die Du sogar als eine heilige Speise empfiehlst. Wenn ich Dir eine Rose hinhalte, so wirst Du vor dem Demiurgen schwerlich noch Ekel empfinden. Du Heuchler Du, um Dich in der Apocarteresis14) als Marcioniten zu bewähren, d. h. als einen Verächter des Demiurgen ---- denn das ist es, wonach man bei Euch, wenn Euch die Welt so wenig behagt, anstatt des Martyriums streben müsste, ---- musst Du Dich doch in irgend einen Stoff auflösen und Dich stets des Eigentums des Demiurgen bedienen. Welche Verstocktheit und Hartnäckigkeit! Du setzest herab, was Du zum Leben und Sterben notwendig hast.

15. Wenn Du hintennach oder vorher behauptest, auch der andere Gott habe seine besondere Schöpfung, seine Welt und seinen Himmel, ---- wie es mit dem bekannten dritten Himmel steht, werden wir noch sehen, wenn wir zur Prüfung seines Apostels kommen ---- so hätte sie, welches auch ihr Wesen sein mag, mittlerweile doch jedenfalls mit ihrem Schöpfer zum Vorschein kommen müssen. ---- Aber was soll es heissen, ihr Herr ist bereits seit dem 12. 15) Jahre des Tiberius geoffenbart, ein Eigentum von ihm aber,16) welches die armseligen Werke des Demiurgen weit übertreffen müsste und nicht hätte verborgen bleiben können, ist bis zum 15. Jahre des Kaisers Severus noch nicht zur Kenntnis gelangt, während sein Herr und Urheber nicht mehr unbekannt ist?! Wenn sich aber seine Schöpfung nicht in dieser Welt offenbaren kann, wie konnte dann deren Herr in dieser Welt zur Erscheinung kommen? Wenn diese Welt dem Herrn Aufnahme zu gewähren imstande war, warum nicht auch seinem Eigentum? Dieses ist doch nicht etwa grösser als er selbst?

Hier ist nun schon der Ort, über den Raum mit gleichzeitiger Beziehung auf jene vermeintliche höhere Welt wie auf deren Herrn eine Untersuchung anzustellen. Wenn auch, er seine Welt unter sich und den Demiurgen über sich hat, so hat er sie offenbar in dem Räume erschaffen, der zwischen seinen Füssen und dem Kopfe des Demiurgen frei blieb. Folglich befindet sich Gott selbst an einem Orte und schuf seine Welt in einem Räume, und dieser Raum würde grösser sein wie Gott selbst und seine Welt. Denn das Einschliessende ist stets grösser als das von ihm Eingeschlossene. Auch muss man darauf sehen, dass nicht irgendwo noch Reste des Raumes übrig bleiben, wo sich etwa noch ein dritter Gott mit seiner Welt einnisten könnte.

Fange also jetzt an, auf die Anzahl der Götter Acht zu geben, denn auch der Raum wird bei Dir zu einem Gott, nicht nur, weil er grösser ist als Gott, sondern auch, weil er ungeworden,. ungeschaffen, deswegen ewig und Gott gleich ist und Gott sich immer in ihm befunden hat. Ferner, wenn auch er sich aus irgend einer vorhandenen ungeschaffenen, ungewordenen und Gott gleichzeitigen Materie eine Welt erschaffen hat, wie Marcion in betreff des Demiurgen der Ansicht ist, so ist das ein weiterer Beitrag zur Erhöhung der Majestät des Raumes, der dann zwei Götter umschliesst, den Gott und die Materie. Denn auch die Materie ist alsdann ein Gott, nach Analogie der Gottheit selbst, indem sie natürlicherweise ungeschaffen, ungeworden und ewig ist. Hat er aber die Welt aus nichts geschaffen, so wird Marcion sich genötigt sehen, in betreff des Demiurgen, dem er im Weltstoff eine Materie darbietet, dasselbe anzunehmen. Aber das wird nicht gehen, sondern er muss am Ende wohl auch aus vorhandener Materie geschaffen haben; denn es wird sich bei ihm, da er auch Gott ist, derselbe Grund geltend machen, der uns betreffs des Demiurgen, der gleichfalls Gott ist, entgegengehalten wird. So zählen wir denn vorläufig bei Marcion drei Götter, den Bildner, den Raum und die Materie.

Ebenso versetzt er den Demiurgen in einen Raum, der natürlich nach denselben Grundsätzen zu beurteilen ist, und unterstellt ihm, als ihrem Herrn, eine Materie, die natürlich auch ungeworden, ungeschaffen und darum ewig ist. Indem er dann weiter das Böse aus der Materie ableitet und das eine wie das andere ungeschaffen, ungeworden und ewig ist, so hat er damit einen vierten Gott statuiert. Man hat also in der höhern Region drei göttliche Wesen, in der niedern vier. Da nun auch noch die verschiedenen Christus hinzukommen, der eine, der unter Tiberius erschien, sowie der zweite, der vom Demiurgen verheissen wird, so wird Marcion offenbar von denen, die meinen, er führe nur zwei Götter ein, benachteiligt, da er deren neun beibringt, freilich ohne es zu wissen.

16. Da also eine andere Welt nirgends zum Vorschein kommt, ebensowenig wie der dazu gehörige Gott, so ergibt sich für die Gegner die Notwendigkeit, die beiden bekannten Arten von Dingen, die sichtbaren und die unsichtbaren, an die beiden Götter als Urheber zu verteilen, wobei sie die unsichtbaren für ihren Gott in Anspruch nehmen. Aber nur ein häretischer Kopf kann es sich beikommen lassen, dass die unsichtbaren Dinge dem angehören sollten, der keine sichtbaren vorausgeschickt hat, und nicht vielmehr dem, der die sichtbaren hervorgebracht und damit die Erwartung unsichtbarer erweckt hat. Denn es ist viel vernünftiger, bei einer geringen Zahl von Belegen zu glauben, als wenn gar keine da sind. Wir werden noch sehen, wem als Urheber der Apostel die unsichtbaren Dinge zuschreibt, wenn wir ihn durchforschen werden. Denn für jetzt suchen wir nur der allgemeinen Ansicht Glauben zu verschaffen, so wie den angerufenen Schriftstellen, welche auf die begründeten Beweisführungen folgen sollen, und behaupten, dass die Verschiedenheit der Dinge, der sichtbaren und unsichtbaren, ebenso auf den Demiurgen zurückzuführen sei, wie sein ganzes Schaffen auf Gegensätzen beruht, auf den Gegensätzen des Körperlichen und Unkörperlichen, des Beseelten und Unbeseelten, des Stummen und des mit Stimme Begabten, des Beweglichen und Unbeweglichen, des Zeugungsfähigen und Unfruchtbaren, des Trockenen und Feuchten, des Warmen und Kalten. So ist auch das Wesen des Menschen auf Gegensätze basirt, sowohl in Ansehung des Körpers als hinsichtlich des Geistes. Einige Glieder sind stark, andere schwach, einige ehrbar, andere nicht, einige paarweise, andere nicht, einige gleich, andere verschieden. Ebenso herrscht auch im Geiste bald Freude, bald Besorgnis, bald Hass, bald Liebe, bald Zorn, bald Milde. Wenn sich das nun so verhält und die ganze vorhandene Schöpfung auf Gegensätze gegründet ist, so erheischt schon darum das Vorhandensein von sichtbaren Dingen die Existenz von unsichtbaren, und sie müssen demselben Urheber zugeschrieben werden wie ihre Gegensätze, die dann nur auf eine gewisse Vielseitigkeit des Schöpfers selbst hinweisen, der befiehlt, was er verboten hat, und verbietet, was er befohlen hat, der schlägt und heilt. Warum sollte er in dieser Hinsicht allein einseitig und Schöpfer nur der sichtbaren Dinge sein dürfen? während man doch gerade so gut von ihm glauben muss, dass er die sichtbaren und die unsichtbaren Dinge geschaffen habe, wie das Leben und den Tod, das Unglück und den Frieden. Wenn sodann die unsichtbaren Dinge erhabener sind als die sichtbaren, die ihrerseits auch schon so gross sind, so stimmt es fürwahr ganz gut zusammen, dass dem, welchem das Grosse gehört, auch das noch Grössere ebenfalls zugehöre, weil schon das Grosse, geschweige denn das noch Grössere keinem angehören kann, der nicht einmal Mittelmässiges aufzuweisen hat.

17. Dadurch in die Enge getrieben, brechen sie in den Ruf aus: Es genügt als einziges Werk für unsern Gott, dass er in seiner höchsten vorzüglichen Güte, die allen Heuschrecken vorzuziehen ist, 17) den Menschen erlöst hat. ---- Dieser Gott, dessen grösstes Werk einzig an dem Menschen des niedern Gottes aufgefunden werden kann, soll der grössere sein! Erst muss man doch seine Existenz durch Dinge beweisen, durch welche man überhaupt den Beweis der Existenz Gottes führt, nämlich durch seine Werke, dann durch seine Wohlthaten. Denn es fragt sich zunächst, ob er existiere, und dann erst, welches seine Eigenschaften seien. Das erstere wird aus seinen Werken, die letzteren werden aus seinen Wohlthaten erkannt werden. Die vorgebliche Erlösung des Menschen aber durch Gott ist kein Beweis für seine Existenz, sondern, wenn seine Existenz feststeht, dann erst kann man seine erlösende Thätigkeit behaupten, gesetzt, dass eine solche überhaupt feststeht; denn möglicherweise könnte er ja auch existieren, ohne zu erlösen. Wie könnte es also statthaft sein, auf Grund der behaupteten Erlösung an seine Existenz zu glauben, da er ja ganz gut existieren konnte, ohne zu erlösen. Für jetzt also steht hinsichtlich dieses Punktes, der aus der Frage in betreff des unbekannten Gottes fliesst, nur folgendes hinlänglich fest: erstens, dass er nichts geschaffen habe, und zweitens, dass er hätte schaffen müssen, um aus seinen Werken erkannt zu werden. Denn wenn er existierte, musste er sich zu erkennen geben, und in jedem Falle wäre es eines Gottes unangemessen gewesen, sich vom Anbeginn an verborgen zu halten.

Ich muss nun notwendigerweise auf den Ursprung der Frage über den unbekannten Gott zurückkommen, um ihre ferneren Verzweigungen zu entdecken. Erstens nämlich muss man die Frage aufwerfen, wenn er sich später bekannt gab, warum geschah dies so spät und nicht von Anbeginn an? Im Interesse derer, welchen er in seiner Eigenschaft als Gott unentbehrlich war, und zwar je unentbehrlicher desto besser, durfte er gewiss nicht unbekannt bleiben. Man kann hier nicht zu der Ausrede greifen, es seien keine Anlässe und Ursachen, Gott kennen zu lernen, vorhanden gewesen. Denn erstens befand sich der Mensch von Anbeginn an in dieser Zeitlichkeit, wogegen er ihm nun erst zu Hülfe kommt, und zweitens existierte ebenfalls von Anbeginn an die Bosheit des Demiurgen, gegen welche ihm der gute Gott jetzt zu Hilfe kommt. Entweder kannte Gott also die Ursachen und Anlässe seiner so notwendigen Offenbarung noch nicht, oder er war noch nicht darüber im reinen, oder er war daran gehindert, oder er wollte nicht. Alle diese Annahmen sind Gottes unwürdig, namentlich des besten Gottes. Auch diesen Punkt werden wir anderwärts18) vollständig erledigen durch die Anklage, er habe sich zu spät geoffenbart; für jetzt den blossen Nachweis!

18. Mag er also bekannt geworden sein, wann er wollte, wann er konnte und die Schicksalsstunde dazu gekommen war. Vielleicht stand ihm der Anabibazon im Wege oder einige Hexen oder der quadratische Saturn oder der dreieckige Mars!? Denn meistens sind die Marcioniten auch Sterndeuter und schämen sich nicht, ihr Brot mit Hilfe der Sterne des Demiurgen zu verdienen. Um die Gewissheit zu erlangen, ob die Offenbarung eine wahre sei, muss hier auch über die Qualität derselben gehandelt werden, ob er auf eine würdige Weise in die Erkenntnis getreten sei, und man möge dann an seine Existenz glauben, wenn bewiesen ist, dass seine Art und Weise, sich zu offenbaren, eine würdige war. Denn nur Gottes würdige Dinge sind wirklich Beweise für Gott.

Wir entscheiden uns so: Erst muss Gott aus der Natur erkannt, sodann mit Hilfe der Lehre genauer erfasst werden, in der Natur durch seine Werke, in der Lehre durch die Verkündigungen. Allein, wer über keine Natur zu verfügen hat, dem gehen auch die Beweisstücke aus der Natur ab. Er hätte also wenigstens durch Verkündigungen eine Offenbarung über sich geben müssen, zumal hätte er sich dem gegenüber offenbaren müssen, der sich durch beides, sowohl durch Werke der Schöpfung als durch Lehren, und zwar trotz so grosser und zahlreicher Werke doch nur mit Mühe den Glauben der Menschen sicherte. Auf welche Weise wurde er denn also geoffenbart? Soll es durch menschlichen Scharfsinn geschehen sein, so leugne ich,19) dass Gott auf andere Weise erkennbar sei als durch sich selbst, und zwar nicht bloss mit Berufung auf die Analogie des Demiurgen, sondern auch auf die Eigenschaften der göttlichen Majestät wie der menschlichen Ohnmacht. Sonst würde der Mensch am Ende mächtiger dastehen als Gott, indem er ihn, der nicht gekannt sein wollte, durch seine Macht gleichsam in die Öffentlichkeit des Bekanntwerdens herauszerrte; während es doch der menschlichen Gebrechlichkeit, wie die Erfahrungen der gesamten Vorzeit beweisen, leichter ist, sich neue Götter zu ersinnen, als dem wahren Gott, den sie schon von Natur aus kannte, anhänglich zu sein. Im übrigen aber, wenn der Mensch sich eine Gottheit ersinnt, etwa wie Romulus seinen Consus, Tatius seine Cloacina, Hostilius seinen Pavor, Metellus seinen Alburnus und ein gewisser jemand vor einiger Zeit seinen Antinous, so mag das solchen Leuten wohl freistehen. Den Marcion hingegen kennen wir als einen Schiffsreeder, aber nicht als König und nicht als Kaiser.

19. Nein, erwidern die Marcioniten, unser Gott hat sich allerdings nicht von Anbeginn an, und nicht durch eine Schöpfung, sondern durch sich selbst geoffenbart in Christus Jesus. Wir werden auch über Christus und sein ganzes Wesen ein besonderes Buch liefern. 20) Denn es ist notwendig, den Stoff zu teilen, um ihn in vollständiger und geordneter Weise zu behandeln. Vorläufig dürfte es ausreichen, die gegenwärtige Finte so zu parieren, dass ich zeige, Christus war nicht Herold für irgend einen sonstigen Gott, sondern nur für den Schöpfergott, und auch das nur mit wenigen Worten.

Im 15. Jahre des Tiberius würdigte sich Christus, vom Himmel auszugehen als der Geist des Heiles. In welchem Jahre des ältern Antoninus die Hundstagshitze den Heiland des Marcion, d. h. den, der es sein wollte, in ihrem Pontus ausbrütete, habe ich versäumt zu untersuchen. Was aber feststeht, ist, dass er ein Häretiker aus der Zeit des Antoninus des Frommen unter dem Frommen ein Unfrommer war. Von Tiberius bis Antoninus sind aber ungefähr 115 1/2Jahr und ein halber Monat.21) Ebenso lang ist der Zeitraum, den man zwischen Christus und Marcion ansetzt. Da Marcion, wie wir bewiesen haben, der erste war, der unter Antoninus diesen Gott einführte, so ist die Sache für jeden Verständigen sofort klar. Die Zeitverhältnisse gebieten die Annahme, dass, was unter Antoninus zum ersten Mal aufgetreten ist, nicht schon unter Tiberius erschienen sein könne, d. h. dass der Gott der Antoninischen Regierungszeit der Tiberianischen nicht angehöre, und dass mithin der Gott, den Marcion zuerst predigte, nicht von Christus geoffenbart sein kann.

Was an dem Beweise noch fehlt, will ich jetzt von den Gegnern selbst entlehnen. Die Trennung von Gesetz und Evangelium ist die Eigentümlichkeit und das Hauptwerk des Marcion, und seine Anhänger können nicht leugnen, was in ihrer Hauptschrift steht, auf welche sie in diese Häresie aufgenommen und vereidigt werden. Es sind das Marcions sog. Antithesen, d. h. Gegenüberstellungen, welche es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Abweichungen des Evangeliums vom Gesetz einander entgegen zu stellen, um aus der Verschiedenheit der Ansichten beider auch die Verschiedenheit der betreffenden Götter darzuthun. Da nun die Scheidung von Gesetz und Evangelium es eben ist, welche gegenüber dem Gott des Gesetzes einen andern Gott des Evangeliums plausibel machen soll, so ist klar, dass der Gott, welcher vom Augenblicke jener spitzfindigen Scheidung an in die Erkenntnis trat, vorher nicht bekannt war, dass er also nicht von Christus, der vor dieser Scheidung lebte, zuerst geoffenbart, sondern von Marcion ersonnen wurde, der die Trennung einführte und die Harmonie von Evangelium und Gesetz zerstörte. Um diese Eintracht früher, von dem Auftreten Christi an bis zu der Frechheit des Marcion, unangefochten und unbestritten zu erhalten, dazu trug dann auch der Grund bei, der weder für das Gesetz noch für das Evangelium neben dem Schöpfergott einen anderen Gott duldete, gegen welchen erst so und so viel später die Scheidung von dem Manne aus Pontus angewendet wurde.

20. Dieser so bündige Beweis bedarf von unserer Seite doch noch einer Verteidigung gegen die Widerreden der Gegenpartei. Marcion, geben sie vor, habe mit seiner Scheidung von Gesetz und Evangelium nicht eine Neuerung in der Glaubensregel gemacht, sondern eine Fälschung derselben wieder beseitigt. O du geduldiger Herr Jesu, der du die Verdrehung deiner Lehren dir so viele Jahre lang hast gefallen lassen, bis endlich Marcion dir zu Hilfe kam! Selbst Petrus und die übrigen Säulen des Apostolats, lautet ihr Einwand, wurden von Paulus getadelt, weil sie nicht den richtigen Weg gegangen seien ---- natürlich von Paulus, der selbst in der Gnade noch ein Neuling war und der, weil er fürchtete, er könne vergeblich laufen oder gelaufen sein, damals zum ersten Mal mit seinen Vorgängern im Apostolate zusammenkam. Wenn er noch etwas hitzig, wie Neophyten sind, gegen einen Judaismus in der Lebensweise einen Tadel aussprechen zu müssen glaubt, nämlich gegen das unterschiedslose Zusammenessen mit allen, wenn er nachher aber, um allen alles zu werden, um alle zu gewinnen, für die Juden ein Jude und für die unter dem Gesetze Stehenden wie ein dem Gesetze Unterworfener wird, so willst du einen blossen Tadel der Lebensweise, die der Tadler nachher selbst annahm, zu einer Verdächtigung ihrer Lehre und Predigt in betreff Gottes stempeln. Allein sie hatten sich ja auf Grund ihrer Einheit in der Lehre, wie es weiter oben hiess, die Hände gereicht und durch Verteilung der Arbeit wie auch in anderer Hinsicht selbst gemeinschaftliche Sache gemacht. "Sie sowohl als ich", sagt er, "predigen so." 22)

Auch wenn er vom Einschleichen gewisser falscher Brüder, welche die Galater zu einem andern Evangelium hinüberziehen wollten, eine Beschreibung macht, so gibt er damit selbst zu erkennen, diese Fälschung des Evangeliums habe nicht die Übertragung des Glaubens auf einen andern Gott und einen andern Christus, sondern die Beibehaltung der Disziplin des alten Bundes zum Zweck gehabt. Denn er hatte gefunden, dass sie die Beschneidung beibehielten, die Festzeiten, Tage, Monate und Jahre der jüdischen Ceremonien beobachteten, deren Abschaffung ihnen hätte bekannt sein müssen, gemäss der veränderten Anordnung des Schöpfergottes, der dies ehedem selbst durch seine Propheten angekündigt hatte, z. B. durch Isaias: "Das Alte ist vorüber, siehe, alles ist neu, was ich jetzt thue",23) und an einer andern Stelle: "Und ich werde einen Bund errichten, nicht wie ich ihn mit euren Vätern errichtet habe, als ich sie aus dem Lande Ägypten herausführte.24) So auch durch Jeremias: "Macht euch neu ein neues Bruchland und beschneidet euch für euren Gott und beschneidet die Vorhäute eures Herzens."25) Indem also der Apostel in der Lage war, diese Beschneidung und diese Erneuerung bereits citieren zu können, riet er von jenen alten Ceremonien ab, über deren einstiges Aufhören ihr Urheber in Person durch Oseas sich ausgesprochen hatte: "Und ich werde alle ihre Freuden, ihre Festtage, Neumonde, Sabbate und alle Ceremonien abschaffen." 26)So spricht er durch Isaias: "Eure Neumonde, Sabbate und den grossen Tag begehre ich nicht, euere Ferialtage, Fasten und Festtage hasst meine Seele."27) Wenn also der Schöpfergott bereits alle diese Dinge längst verschmäht und der Apostel schon ihre Verwerfung ausgesprochen hatte, so beweist diese mit den Beschlüssen des Schöpfergottes übereinstimmende Sentenz des Apostels, dass von letzterem kein anderer Gott gepredigt worden sei, als der, dessen Beschlüsse er eben anerkannt zu sehen wünscht. Damit brandmarkt er in diesem Punkte als falsche Apostel und Brüder alle diejenigen, welche das Evangelium des Christus des Schöpfergottes von der durch ihn angekündigten Erneuerung zu den von ihm verworfenen alten Gewohnheiten hinüberleiten würden.

21. Wünschte Paulus aber das Gesetz des alten Gottes etwa deshalb abgethan zu sehen, weil er als Verkündiger eines neuen Gottes auftrat, so frage ich, warum gibt er denn gar keine Vorschriften in betreff dieses neuen Gottes, sondern nur immer über das alte Gesetz. Doch wohl nur aus dem Grunde,, weil der Glaube an den alten Gott bleiben und allein das Gesetz desselben weichen sollte. Gerade so hatte auch schon früher der Psalmist gesungen: "Lasst uns ihr Joch brechen und ihre Fesseln von uns werfen", nämlich von der Zeit, an, "als die Heiden tobten, die Völker und Stämme Eitles sannen, als da zusammentraten die Könige der Erde und die Fürsten sich versammelten gegen den Herrn und seinen Gesalbten."28) Und fürwahr, wenn ein anderer Gott von Paulus gepredigt worden wäre, so könnte hinsichtlich der Beibehaltung seines Gesetzes gar kein Streit mehr sein, indem der neue Herr und Gegner des Gesetzes gar nichts damit zu schaffen haben würde. Die Neuheit und Verschiedenheit des Gottes selbst würde nicht bloss die Fragen über altes und neumodisches Gesetz, sondern jeden Gedanken daran beseitigt haben. Aber der Kern der ganzen Frage war der, ob, da in Christo derselbe Gott mit dem des Gesetzes gepredigt wurde, des letzteren Gesetz damit abgeändert ist? Der Glaube hinsichtlich des Schöpfers und seines Christus war also stabil, aber hinsichtlich der Lebensweise und Disziplin schwankte man. Denn die einen stritten über den Genuss des Götzenopferfleisches, andere über die Schleier der Weiber, andere über die Ehe und die Scheidebriefe, einige auch über die zu hoffende Auferstehung; ---- über Gott stritt niemand. Wäre diese Streitfrage auch erörtert worden, so würde sie sich sicher beim Apostel erwähnt finden, um so mehr, je wichtiger sie ist. Hat aber die christliche Wahrheit in dem Glaubensartikel in betreff Gottes erst nach den Zeiten der Apostel eine Fälschung erlitten, dann hat bei deren Lebzeiten die apostolische Tradition in dem genannten Glaubensartikel folglich keine erlitten und dürfte daher noch für identisch gehalten werden mit der, welche heute noch in ihren Kirchen vorgetragen wird.29) Man wird aber wohl keine Kirchen von apostolischem Ursprung finden, welche in betreff des Schöpfergottes nicht christlich lehrten. Oder wenn selbst sie von Anbeginn an korrumpiert worden sein sollten, welche wären dann wohl unverdorben geblieben? Natürlich nur die dem Schöpfergott feindseligen. Nenne uns also von deinen Kirchen irgend eine, die apostolischen Ursprungs ist, und du sollst Recht haben. Da es nun allseitig feststeht, dass in dem diese Heilslehre betreffenden Glaubensartikel von Christus an bis auf Marcion von keinem andern Gott neben dem Schöpfer etwas vorkommt, so ist auch unser Beweis dafür hinlänglich gesichert, die erste Kunde von dem häretischen Gott datiere von der Trennung von Gesetz und Evangelium. Damit ist die oben gegebene Entscheidung vollständig erhärtet, dass man keinen Gott annehmen dürfe, den ein Mensch sich nach seinem Sinne zurecht gemacht hat, ausser er sei denn offenbar ein Prophet, und dann ist es eben nicht sein Sinn. Wenn Marcion dafür gelten soll, so muss man es beweisen. Man hätte sich da nicht weiter auf Verhandlungen brauchen einzulassen. Denn diese Wahrheit ist der Keil, durch welchen jede Häresie hinausgetrieben wird, indem Christus sich nur als Herold des Schöpfergottes und keines andern Gottes erweist.

22. Allein der Antichrist wird nicht gründlich überwunden, wenn man sich nicht auch zur Niederschmetterung seiner sonstigen Einwürfe die Zeit nimmt und die Verteidigungsmethode mit Hilfe der Präscriptionen lieber bei Seite lässt. 30) Beschäftigen wir uns also nun mit Frage nach der Person Gottes selbst oder vielmehr nach Analogie seines Christus mit dessen Schatten und Phantasieen, und er möge auf das hin geprüft werden, worin er den Demiurgen übertreffen soll.31) Da wird es natürlich gewisse Regeln geben, um die Güte des Schöpfers zu prüfen. Das erste aber muss sein, dass man die letztere findet und festhält, dann erst wird man sie auf Regeln zurückführen können. Wenn ich nämlich auf das Zeitverhältnis Rücksicht nehme, so ist sie beim Anbeginn der Dinge und bei Entstehung der wirkenden Ursachen, in deren Gesellschaft man sie hätte finden sollen, nirgends vorhanden, sondern thut erst nachher, was sie zu thun hat. Denn der Tod war bereits da, so wie auch der Stachel des Todes, die Sünde, und namentlich auch der böse Demiurg, wogegen die Güte des andern Gottes hätte Hilfe leisten sollen. Dann hätte sie dem ersten Grundgesetz der göttlichen Güte entsprochen, wenn sie sich als eine natürliche Eigenschaft erwiesen und sofort Hilfe geleistet hätte, als die Gelegenheit da war. Denn alle Eigenschaften Gottes müssen natürliche und angeborene sein, um seiner Wesenheit entsprechend ewige sein zu können, sonst werden sie für zufällig und äusserlich gehalten werden, und eben darum für bloss zeitlich und ohne ewige Dauer. So ist bei Gott auch eine dauernde und fortwährende Güte erforderlich, welche, in den Schätzen seiner natürlichen Eigenschaften ruhend und bereit stehend den etwaigen Veranlassungen und Gelegenheiten vorangeht und jede sofort aufgreift, nicht aber dieselben übersieht oder im Stich lässt, wofern sie selber überhaupt nur die Priorität des Seins hat.

So werde ich denn hier die Frage, warum seine Güte sich nicht von Anfang an bethätigte, ebenso aufwerfen, als ich vorhin die Frage gestellt habe, warum er sich nicht gleich zu Anbeginn geoffenbart hat. Warum denn auch nicht? Er hätte sich durch seine Güte offenbaren müssen, wenn er existierte. Etwas nicht können, steht Gott nicht an, noch weniger, von seinen natürlichen Eigenschaften keinen Gebrauch zu machen. Wenn dieselben sich in ihrem freien Laufe hemmen lassen, dann sind sie nicht seine natürlichen Eigenschaften. Nichtbethätigung ihrer selbst ist der Natureigenschaft unbekannt. Sie wird nur dann gelten, wenn sie handelt; daher kann es auch nicht den Anschein gewinnen, er habe seine Güte jetzt nicht ausüben wollen, eben auf Grund ihrer Natur; denn die Natur kann nicht sich nicht wollen. Es verhält sich mit ihr so, dass sie, wenn sie ruht, auch nicht mehr ist. Bei dem Gott des Marcion aber ruhte die Güte eine Zeitlang unthätig. Mithin war seine Güte keine wesentliche Eigenschaft, da sie eine Zeitlang aufzuhören imstande war, was bei Natureigenschaften nicht angeht. Und wenn sie keine solche ist, so kann man sie auch nicht mehr für ewig und nicht mehr für Gott gleich halten, weil sie nicht ewig ist, indem sie ihm nicht natürlich ist; letzteres aber ist sie nicht, da sie Bestand weder in der Vergangenheit gezeigt hat, noch für die Zukunft verspricht. Im Anbeginn war sie nicht und zuletzt wird sie ohne Zweifel nicht sein. Denn sie kann gerade so gut einmal nicht sein, als sie einmal nicht gewesen ist.32)

Da es also feststeht, dass die Güte jenes Gottes zu Anfang fehlte, ---- denn er erlöste ja zu Anfang den Menschen nicht, ---- und da sie ihm mehr infolge seines eigenen Willens als aus Schwäche gemangelt haben 1) muss, so erweist sich dieser Wille, das Gute unterdrückt zu haben, als der Gipfel der Bosheit. Denn was könnte boshafter sein, als nicht helfen wollen, wenn man kann, das Gute auf die Folter spannen und das Unrecht geschehen lassen? So wird denn also das ganze Sündenregister des Demiurgen auf Rechnung dessen kommen, der die Schlechtigkeiten desselben durch Zurückhaltung seiner Güte förderte. Denn in wessen Hand die Verhinderung einer Handlung steht, dem wird sie beigemessen, wenn sie doch geschieht.33) Der Mensch wird zum Tode verurteilt, weil er an einem einzigen Baume genascht hatte, daraus entkeimen Sünden mit ihren Strafen und es kommen alle um, welche noch nicht einmal einen Grashalm des Paradieses gesehen haben. Und dabei gibt es einen bessern Gott! der es nicht weiss oder doch geschehen lässt? Thut er es, um dann als desto besser zu erscheinen, für je schlechter der Demiurg gehalten wird, so steckt auch in diesem Plane Bosheit genug, da er jenen auch noch zu belasten wünschte durch Zulassung seiner Thaten und die Welt in Qualen festhielt.

Was würde man von einem Arzte halten, der die Krankheit durch Verzögerung der Hilfe verschlimmert und die Gefahr durch Vorenthaltung der Heilmittel verzögert, um dann eine desto kostspieligere und rühmlichere Kur zu machen?! Dasselbe Urteil müsste man auch über den Gott Marcions fällen, der das Böse zulässt, das Unrecht begünstigt, mit der Gnade spielt und sich gegen die Milde verfehlt, indem er sie nicht gleich an richtiger Stelle anwendete. Er würde sie zur Anwendung gebracht haben, wenn seine Natur gut gewesen und es nicht erst nach und nach geworden wäre, wenn er seiner Anlage nach und nicht durch eine Disciplin der beste, wenn er von Ewigkeit her Gott gewesen und nicht erst von der Zeit des Tiberius an es geworden wäre; oder richtiger, um die Wahrheit zu sagen, von der Zeit des Cerdo und Marcion an. Mag indes jene Sorte von Gottheit dem Tiberius die Gunst erwiesen haben, dass mit seiner Regierung die göttliche Güte auf Erden ihren Anfang nahm!34)

23. Als weiteres Grundprinzip halte ich ihm den Satz entgegen, in Gott muss alles, wie wesenhaft, so auch vernünftig sein. Ich fordere also einen vernünftigen Grund für seine Güte; denn man darf auch sonst nichts für gut halten, was nicht in vernünftiger Weise gut ist, in keinem Falle aber dürfte die Güte als unvernünftig dastehen. Eher könnte etwas Böses, das irgend einen guten Grund für sich hat, für gut gelten, als das Gute, wenn es der Vernunft entbehrt, für nicht schlecht gehalten werden.

Ich behaupte nun, dass die Güte des Gottes Marcions erstens schon darum eine unvernünftige war, weil sie um des Heiles der Menschheit willen, die nicht ihm gehörte, hervortrat. Ich bin darauf gefasst, dass sie sagen werden, das sei ja eben die vorzüglichste und vollkommene Güte, welche sich ohne alle nähern Verpflichtungen freiwillig und von selbst auf Fremde erstreckt, entsprechend dem Gebet, auch die Feinde und daraufhin auch schon die Fremden zu lieben. Wenn sie sich also anfangs um den Menschen, der ihr von Anfang an fremd war, nicht bekümmerte, so hat sie durch diese ihre Unthätigkeit das Präjudiz aufgestellt, dass sie mit einem Fremden nichts zu schaffen habe. Der Vorschrift, die Fremden und Feinde zu lieben, ging übrigens die andere Vorschrift, seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben, vorher. Stammt sie gleich aus dem Gesetze des Schöpfergottes, so wirst doch auch du sie annehmen müssen, weil sie von Christus nicht aufgehoben, sondern vielmehr ausgebildet worden ist. Damit du nämlich deinen Nächsten um so mehr liebest, so erhältst du den Befehl, auch den Feind und Fremden zu lieben. Die Forderung einer Güte, zu der man nicht verpflichtet ist, kommt einer Steigerung derjenigen gleich, zu welcher man verpflichtet ist. Es geht aber die pflichtmässige der nicht pflichtmässigen voraus, als die vorzüglichere, die würdiger ist, als ihre Dienerin und Begleiterin, d. h. die nicht pflichtmässige Güte. Sie ist also die frühere, da das erste vernünftige Erfordernis an die Güte das ist, sich gegen die Angehörigen zu bethätigen, aus Liebe zur Gerechtigkeit. Sich gegen Fremde bethätigen, und zwar aus überfliessender Gerechtigkeit, welche die der Pharisäer und Schriftgelehrten übertrifft, ist aber erst das zweite. Was soll es nun heissen, bei ihr das zweite Erfordernis geltend zu machen, da sie das erste nicht erfüllt hat, keine ihr gehörende Menschheit besitzt und eben darum auch nicht bedeutend sein kann? Weiter, wenn sie unbedeutend und nicht im Besitz eines eigenen Objektes ist, wie kann sie sich auf Fremde erstrecken. Zeige uns erst das Haupterfordernis und dann sprich für das darauf folgende. Nichts Ungeordnetes kann für vernünftig ausgegeben werden, und ebenso viel fehlt daran, dass die Vernunft selbst in irgend einem Stück die Ordnung aus den Augen verlieren könnte.

Angenommen nun, es sei in der Ordnung, dass die Güte mit der zweiten Stufe beginne, nämlich an einem fremden Objekte, so würde auch diese zweite Stufe nicht vor der Vernunft bestehen können, da sie auf andere Weise zu Grunde geht. Denn auch diese Güte zweiten Ranges gegen einen Fremden wird nur dann für vernünftig gelten können, wenn sie ohne Beeinträchtigung dessen sich bethätigt, dem sie gebührt. Jede Art Güte erhält ihre vernünftige Berechtigung erst durch die Gerechtigkeit. Daher wird sie in erster Linie auch nur dann vernünftig sein, wenn sie sich gegen ein ihr zugehöriges Objekt bethätigt, wenn sie gerecht ist; gegen ein fremdes Objekt bethätigt, wird sie nur dann vernunftgemäss sein, wenn sie nicht ungerecht ist. Was soll das aber für eine Güte sein, die auf Unrecht basiert, und zwar noch dazu zu gunsten eines Fremden?! Denn eine Güte, die der Gerechtigkeit entbehrt, könnte höchstens dann noch für vernünftig gelten, wenn sie zu gunsten eines Angehörigen geübt wird. Wird sie aber einem Fremden erwiesen, dem sie nicht einmal, wenn wohl begründet, rechtmässiger Weise zukommt, wie könnte sie da noch als vernünftig hingestellt werden, da sie mit so grosser Ungerechtigkeit verbunden ist? Denn was ist ungerechter, unbilliger und verwerflicher, als dem Knechte eines andern Wohlthaten zu erweisen, um ihn seinem Herrn zu entfremden, um ihn einem andern zuzuführen, um ihn gegen das Leben seines Herrn mit Waffen auszurüsten, und zwar, was noch schmählicher ist, im Hause des Herrn selbst, während er noch von seinem Tische isst und vor seinen Schlägen zittert? Ein solcher Befreier würde sogar von der Welt verurteilt werden, vollends, da er mehr ein Verführer ist.

Nicht anders macht es der Gott Marcions, er bricht in eine fremde Welt ein, entreisst den Menschen Gott, den Sohn dem Vater, den Zögling dem Erzieher, den Knecht dem Herrn, um ihn zur Gottlosigkeit gegen seinen Gott, zur Unehrerbietigkeit gegen seinen Vater, zur Undankbarkeit gegen seinen Erzieher, zur Unbotmässigkeit gegen seinen Herrn zu verleiten. Ich bitte Dich, seine vernunftgemässe Güte macht ihn ja genau dazu, wozu ihn auch die unvernünftige machen würde! Ich glaube, es kann keinen Unverschämteren geben als denjenigen, welcher sich in dem Wasser des einen für den andern Gott taufen lässt, der gegen den Himmel des einen zu dem andern Gott seine Hände ausstreckt, der sich auf der Erde des einen, aber vor dem andern Gott niederwirft, der über das Brot, das dem einen gehört, zu dem andern Gott seine Danksagungen verrichtet, der mit fremden Gütern um eines andern Gottes willen Almosen und Liebeswerke verrichtet. Wer ist jener Gott, der so gut ist, dass der Mensch durch ihn schlecht wird, der ihm so gewogen ist, dass er den andern Gott, der noch dazu des Menschen Herr ist, gegen denselben in Zorn bringt?

24. Wie Gott ewig und vernünftig, so sollte ich denken, sei er auch in allen Dingen vollkommen. "Ihr werdet vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist."35) Weise nun auch seine Vollkommenheit in der Güte nach! Wenn es auch schon hinlänglich feststeht, dass die Art von Güte, welche sich weder als natürlich noch als vernünftig erwiesen hat, eine unvollkommene sei, so soll sie nun auch noch auf andere Weise zu Schanden gemacht werden, als nicht bloss unvollkommen, sondern sogar mangelhaft, gering, ohnmächtig und als für die Mehrzahl ihrer Gegenstände nicht ausreichend, weil sie sich nicht in allen zeigt.

Es werden nämlich nicht alle gerettet, sondern weniger als alle Juden und Christen des Demiurgen zusammen. Wenn aber die Zahl der Verlorengehenden grösser ist, wie kann man da die Güte als vollkommen hinstellen, da sie beim grössern Teil ihre Schuldigkeit nicht thut, nur für wenige vorhanden, für die Mehrzahl aber nicht da ist, dem Verderben nachgibt und Teilhaberin an ihrem Untergang ist? Wenn die Mehrzahl nicht gerettet wird, so wird nicht die Güte, sondern die Bosheit vollkommener sein. Denn wie es eine Bethätigung der Güte ist, zu erretten, so der Bosheit, nicht zu erretten. Wenn sie sich aber, weil sie nur wenige rettet, mehr im Nichtretten bethätigt, so wird sie vollkommener sein im Nichthelfen als im Helfen. Es wird nicht angehen, dass Du auch dem Demiurgen Güte zuschreibst und den Abfall der Gesamtheit. Denn wenn Du an seiner Eigenschaft als Richter, festhältst, so beweisest Du damit höchstens, dass er ein Verwalter, nicht aber ein Verschenker von reichlicher Güte sei, wie Du es von Deinem Gott behauptest. Du stellst letzteren ja beständig über den Demiurgen wegen seiner ausschliesslichen Güte; wenn er aber dieselbe ausschliesslich und vollständig besitzt, so hätte er niemanden im Stich lassen dürfen.

Allein ich will dem Gotte Marcions nicht weiter wegen der Mehrzahl der verloren Gehenden vorwerfen, dass seine Güte eine nur unvollkommene ist. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass selbst die, welche von ihm gerettet werden, das Heil nur unvollständig erlangen, um zu zeigen, dass seine Güte nur eine unvollkommene sei. Sie werden nämlich bloss der Seele nach gerettet, das Fleisch aber bleibt verloren, indem es bei ihm keine Auferstehung gibt. Woher kommt diese Halbierung des Erlösungswerkes, wenn nicht aus dem Mangel an Güte? Was hätte der vollkommenen Güte mehr entsprochen, als den Menschen, da er vom Demiurgen ganz verdammt, vom guten Gott ganz wieder angenommen war, auch wieder ganz zum Heile zu führen? So viel ich weiss, gibt es bei ihm ja eine Taufe für den Leib, der Leib entsagt der Ehe und erleidet beim Bekenntnis Grausamkeiten. Wenn auch Fleischessünden vorkommen, so geht dabei doch eine Verschuldung der Seele voraus, und die Hauptschuld ist vielmehr ihr beizumessen, da der Leib nur als Gehilfe konkurriert. Daher sündigt auch der von der Seele getrennte Leib nicht mehr.

Also ist seine Güte auch darin ungerecht und zeigt folglich auch darin ihre Unvollkommenheit, dass sie die weniger schuldige Substanz, die doch bloss aus Gehorsam, nicht aus eigenem Willen gesündigt hat, im Verderben lässt. Wenn Christus, wie es deiner Häresie, o Marcion, zu lehren beliebt, sie auch nicht in Wirklichkeit angenommen hat, so hat er sich doch gewürdigt, sich mit etwas ihr Ähnlichem zu bekleiden. Eben darum, weil er sie fingierte, hätte er ihr doch eine Rücksicht angedeihen lassen müssen. Was ist der Mensch denn aber anders als ein Leib, da der Name Mensch der leiblichen Materie, nicht der geistigen vom Schöpfer beigelegt worden ist. "Und Gott schuf", heisst es, "den Menschen aus dem Lehm der Erde", nicht die Seele, heisst es, schuf er; denn diese kam aus seinem Anhauch "und es wurde der Mensch zur lebenden Seele". Wer denn? Natürlich doch nur der aus dem Lehm Gebildete. "Und Gott setzte den Menschen ins Paradies", nämlich das Resultat seines Bildens, nicht das seines Hauchens, ihn, der jetzt Fleisch, nicht Seele war.

Wenn dem so ist, mit welcher Stirn willst Du folglich behaupten, die Eigenschaft der Güte sei in vollkommener Weise vorhanden, da sie nicht bloss von ihrer speziellen Aufgabe, den Menschen zu erlösen, abgewichen ist, sondern auch von ihrer Beschaffenheit im allgemeinen? Wenn die Gnade vollkommen und die Erbarmung, welche der Seele allein zu gut kommt, vollständig sein soll, dann verdiente ja unser gegenwärtiges Leben, welches wir als ganze vollständige Wesen gemessen, den Vorzug. Teilweise auferstehen wäre eine Strafe, keine Erlösung.

Die vollkommene Güte hätte auch bewirken müssen, dass der Mensch, wenn er durch die Erlösung zum Glauben an den guten Gott gelangt ist, sofort aus der Behausung und Knechtschaft des bösen Gottes befreit würde. Jetzt aber, o Marcion, phantasierst Du im Fieberwahn; der Schmerz Deines Leibes gebiert Dir auch die andern Dornen und Disteln und Du bist nicht bloss Kriegen, Krankheiten und den sonstigen Plagen ausgesetzt, die vom Demiurgen herrühren, sondern auch seinen Skorpionen. Worin besteht nun die Errettung von seiner Herrschaft, die Dir zuteil geworden, wenn seine Mücken Dich noch stechen? Wenn Du für die Zukunft erlöst bist, warum gilt Deine Erlösung nicht auch für die Gegenwart, wenn sie eine so vollkommene ist? Wir befinden uns freilich in einer ganz andern Lage gegenüber dem Urheber, dem Richter, dem beleidigten Herrn des Geschlechtes. Du dagegen gibst dem bloss guten Gott den Vorzug, kannst aber nicht beweisen, dass er vollkommen gut sei, da Du nicht vollständig von ihm erlöst wirst.

25. Was die Frage nach der Güte Gottes betrifft, so haben wir hiermit im Umrisse durchgeführt, dass diese Art Güte durchaus Gott nicht entspreche, weil sie weder ungeworden, noch vernünftig, noch vollkommen, sondern tadelnswert, ungerecht und sogar des Namens Güte unwürdig ist. In dem Masse als eine solche Güte Gott wirklich zukäme, würde es angemessener sein, dass ein Gott gar nicht existiere, dem wegen einer solchen Güte sogar ein Vorzug beigelegt würde, und zwar nicht bloss um ihretwegen, sondern noch dazu um ihretwegen allein. Denn auch die Frage verdient nun erörtert zu werden, ob die Güte allein hinreiche, um ihm das Prädicat "Gott" beizulegen, wenn ihm die sonst dazu gehörenden Gesinnungen und Affekte abgesprochen werden, welche die Marcioniten von ihrem Gott auf den Demiurgen übertragen, die wir aber als Gottes würdig auch bei dem Schöpfer anerkennen.

Auch infolge davon leugnen wir, dass er Gott sei, weil feststeht, dass sich in ihm nicht alle Gottes würdigen Eigenschaften vorfinden. Wenn er etwa bemüht war, den Gott der Schule Epikurs mit dem Namen Christi zu schmücken, weil jenes Wesen selig und unvergänglich sei, weder sich noch andern beschwerlich falle ---- denn diese Idee kaut Marcion beständig wieder und die Folge davon ist, dass er Gott die Strenge und die Macht, zu richten, abspricht, ---- dann hätte er lieber sollen die Idee eines vollständig unbeweglichen und starren Gottes annehmen. ---- Was hätte aber diese mit einem Christus zu schaffen, der den Juden mit seiner Lehre und sich selbst durch seine geistige Beschaffenheit beschwerlich fällt? ---- Oder drittens er hätte ihn auch in Hinsicht seiner sonstigen Regungen anerkennen müssen, ---- was hätte aber dieser Gott dann mit Epikur zu schaffen, da er weder sich noch den Christen notwendig ist? Denn siehe, früher verhielt er sich ganz ruhig und war auch nicht bemüht, durch irgend eine Schöpferthat Kunde von sich zu geben, nach langer, langer Zeit aber fühlte er Interesse für das Heil des Menschen, natürlich vermöge seines Willens. ---- Wurde er damit nicht bewegbar durch eine neue Willensrichtung und folglich auch für andere Regungen empfänglich? Welche Willensregung aber könnte ohne den Antrieb des Begehrungsvermögens zu stände kommen? Wer will etwas, ohne danach zu begehren?

Ja, auch die Sorge tritt zum Willen hinzu. Denn wer kann etwas wollen, was er zugleich angelegentlich begehrt, ohne darum bekümmert zu sein? Wollte und begehrte Gott folglich des Menschen Heil, so hat er damit auch sich selbst und andern Mühe gemacht, was Epikur nicht zugeben will, Marcion aber anrät. Wogegen aber sein Wille, sein Verlangen und seine Sorge gerichtet ist, das hat er selber auch für seinen Feind erklärt, sei es nun die Sünde oder der Tod, vor allem aber den Herrn und Gebieter dieser Hemmnisse, den Schöpfer des Menschen. Wo Gegner vorhanden sind, da wird es aber nicht ohne Feindschaft abgehen. Wenn dieser Gott daher den Willen und das Verlangen hat und Sorge trägt, den Menschen zu befreien, so nimmt er damit auch die Eigenschaft eines Feindes desjenigen an, aus dessen Gewalt er befreien will; denn er will ja den Menschen von jenem für sich erlösen, so wie auch gegen das, wovon er befreien will; denn er will ihn ja für etwas anderes befreien. Ebenso muss seine Feindschaft gegen das, was er befeindet, notwendig durch die Äusserungen der Feindschaft unterstützt werden, durch Zorn, Zwietracht, Hass, Abscheu, Unwillen, Ärger, Abneigung und Widerwillen. Wenn dieses alles der Feindschaft hilfreich zur Seite steht, die Erlösung des Menschen aber auf Gegensätzlichkeit beruht, selber aber eine Bethätigung der Güte ist, dann wird eine solche Güte auch nicht ohne ihre Hilfsmittel bestehen können, d. h. ohne die Gefühle und Stimmungen, wodurch die Erlösung im Gegensatz gegen den Demiurgen bewirkt wird. Sonst würde sie auch aus dem Grunde als unvernünftig dastehen, weil sie der nötigen Gefühle und Stimmungen entbehrt. Diese Vorwürfe werden wir noch viel eingehender erörtern bei der Verteidigung des Schöpfers, wo sie auch erhoben werden.

26. An dieser Stelle hingegen genügt es, durch das Betonen selbst der alleinigen blossen Güte darzuthun, dass ihr Gott ein ganz verkehrter sei, da man ihm die Geistesregungen, die man am Demiurgen tadelt, nicht beilegen will. Denn wenn er weder Abneigung noch Zorn hat, weder verurteilt noch heimsucht, dieweil er ja auch nicht den Richter macht, so sehe ich nicht ein, wie es bei ihm eine Sittenzucht geben kann, und zwar vorgeblich eine vollkommenere. Denn was soll es heissen, dass er Vorschriften gibt und sie nicht durchführt, sündhafte Handlungen verbietet und sie nicht bestraft? Weil ihm alle Gefühle von Strenge und Ahnden fremd sind, so richtet er auch nicht. Warum verbietet er Handlungen, die er, wenn sie begangen sind, nicht ahndet? Es wäre doch viel richtiger, gar nicht zu verbieten, was zu ahnden er nicht gesonnen ist, als nicht zu ahnden, was er verboten hat. Ja noch mehr, er hätte geradezu die Erlaubnis dazu geben müssen, da sein Verbot, weil er ihm nicht Nachdruck geben will, zwecklos ist. Denn auch jetzt gilt, was ohne Androhung von Strafe verboten wird, eigentlich doch stillschweigend als erlaubt. In jedem Falle verbietet er nur solche Handlungen, welche er nicht gern geschehen sieht. Mithin ist er, wenn er durch Vollbringung dessen, was er nicht gern sieht, sich nicht beleidigt fühlt, ganz stumpfsinnig, da doch das Gefühl der Beleidigung die Folge ist von vereiteltem Willen. Fühlt er sich aber beleidigt, so muss er zürnen; wenn er zürnt, so muss er ahnden; denn auch die Rache ist ein Produkt des Zornes, der Zorn das notwendige Ergebnis der Beleidigung und das Gefühl der Beleidigung, wie gesagt, Folge vereitelten Wollens. Nun ahndet er aber nicht, folglich fühlt er auch keine Beleidigung. Fühlt er aber keine Beleidigung, so wird auch sein Wille nicht verletzt, wenn gleich geschieht, was er nicht will. Dann ist aber die Sünde seinem Willen gemäs; denn das, was den Willen nicht verletzt, ist auch nicht gegen den Willen.

Oder aber, wenn die göttliche Tugend und Güte darin bestehen soll, einerseits nicht zu wollen, dass etwas geschehe, und es zu verbieten, andererseits sich aber nichts daraus zu machen, wenn es doch geschieht, so erwidern wir: wer etwas nicht will, der ist schon in Gemütsbewegung geraten, und es würde thöricht sein, beim Eintritt einer That nicht in Bewegung zu geraten, wenn man sich in Bewegung gesetzt hat, damit sie nicht geschähe, weil man es wollte, dass sie nicht geschehe. Im Nichtwollen der That lag ein Verbot derselben. Hat Gott denn nicht durch das Nichtwollen der That und das daraus hervorgehende Verbot ein Urteil über sie abgegeben? Das Urteil lautete: "man dürfe es nicht thun", und der Ausspruch: "es sei zu verbieten". Mithin übte er schon ein Richteramt aus. Wenn es Gottes unwürdig ist, das Richteramt zu üben, oder wenn es nur insoweit seiner würdig ist, dass er nicht will und verbietet, so durfte er auch die begangene That nicht strafen. Nun ist aber nichts Gottes so unwürdig, als, so hingehen zu lassen, was er nicht gewollt hat und was er verboten hat, zu gestatten. Denn erstens ist er für jedes seiner Urteile und Gesetze eine Ahndung schuldig um der Autorität und des notwendigen Gehorsams willen, zweitens ist ihm das, was er nicht erlauben wollte und durch sein Nichtwollen verboten hat, notwendig entgegen. Des Bösen zu schonen aber ist Gottes unwürdiger als das Strafen selbst, und zwar eben des guten Gottes unwürdig, weil er nur dann vollkommen gut sein wird, wenn er dem Bösen abhold ist, so dass er seine Liebe des Guten durch Hass gegen das Böse bethätigt und durch Bekämpfung des Bösen dem Guten vollkommenen Schutz verschafft.

27. "Allein sein Gericht besteht ja eben darin, dass er das Böse nicht will, das Verdammen darin, dass er etwas verbietet, Vergeben aber übt er, indem er nicht ahndet, und Nachlassung erteilt er, indem er nicht straft." ---- Aha! also Gott weicht von der Wahrhaftigkeit ab und cassiert sein Urteil. Er fürchtet sich, das zu verdammen, was er verurteilt; er fürchtet sich zu hassen, was er nicht liebt; er lässt geschehen sein, was er nicht geschehen lässt; er zieht es vor, lieber seine Abneigung zu erkennen zu geben, als sie zu bethätigen. Das wäre eine bloss eingebildete Güte, eine Phantasiedisziplin, seine Vorschriften selbst eine Spiegelfechterei, die Sünde bliebe ungestört! Hört es, ihr Sünder, und ihr, die ihr es noch nicht seid, damit ihr es werdet! Es ist ein besserer Gott entdeckt worden, der weder beleidigt werden, noch zürnen und ahnden kann, der kein Feuer in der Hölle lodern lässt, bei dem uns kein Zähneknirschen in der äussersten Finsternis in Schrecken setzt; denn er ist ausschliesslich gut, Infolge davon verbietet er zwar die Sünde, aber bloss auf dem Papiere. Es steht ganz bei euch, ob ihr euch zum Gehorsam gegen ihn verpflichten wollt, damit es wenigstens den Schein hat, als hättet ihr Gott die Ehre angethan; denn Furcht verlangt er nicht. Daher brüsten sich denn die Marcioniten auch damit, dass sie ihren Gott ganz und gar nicht fürchten. Wenn er böse wäre, sagen sie, dann würde er gefürchtet, der gute hingegen wird geliebt werden. Wenn du ihn den Herrn nennst und dabei doch sagst, man brauche ihn nicht zu fürchten so ist das ein Unsinn; denn der Name Herr bezeichnet ja eben eine Furcht einflössende Machtstellung.

Auf der andern Seite, wie ist es möglich, ihn zu lieben, wenn man bei Versagung der Liebe keine Besorgnis zu hegen braucht. Offenbar ist er dann auch nicht dein Vater, denn einem Vater gegenüber gebührt sich sowohl Liebe infolge der kindlichen Anhänglichkeit, als auch Furcht wegen seiner Macht; er ist auch nicht dein rechtmässiger Herr, so dass du ihn liebest wegen seiner Milde und fürchtest wegen seiner Strenge. Auf diese Weise liebt man die Verführer, ohne sie zu fürchten. Denn man fürchtet nichts als die gerechte und rechtmässige Gewalt. Geliebt kann aber auch die unrechtmässige werden; denn sie gründet sich auf Verlockung, nicht auf Autorität, auf schwache Nachgiebigkeit, nicht auf Macht. Gibt es aber eine grössere Schwäche, als die Sünden so hingehen zu lassen? Wohlan denn, dich frage ich also, der du Gott nicht fürchtest im Glauben, dass er ausschliesslich gütig sei, warum versenkst du dich nicht in jegliche Art Wollust, welche, soviel ich weiss, für die, welche Gott nicht fürchten, das Höchste ist, was das Leben bietet? Warum bist du nicht bei den solennen Lüsten des tobenden Circus, des aufgeregten Theaters und der lüsternen Bühne fleissig zugegen? Warum kommst du bei Verfolgungen nicht sofort von selbst mit Weihrauch in der Hand und suchst dein Leben zu erkaufen? Gott behüte, nein, antwortest du. Mithin fürchtest du dich vor der Sünde und lieferst durch deine Furcht den Beweis dafür, dass der, welcher die Sünde verboten hat, Furcht einflösse. Ist es denn aber etwas anderes, wenn du mit derselben Verkehrtheit, wie dein Gott, einem gehorchst, den du doch nicht fürchtest, als wenn er verbietet und doch nicht ahndet?36)

Noch viel thörichter ist es, wenn sie, gefragt, was denn "an jenem Tage" aus dem Sünder werde, zur Antwort geben, er werde verworfen sozusagen von Gottes Angesichte. Das geschieht denn doch auch nur infolge eines Gerichtes. Das Urteil lautet: "Er werde verworfen", und zwar durch ein Urteil der Verdammung; oder es müsste etwa sein, dass der Sünder zu seinem Heile verworfen würde und auch dergleichen dem guten Gott angemessen sei. Was sollte denn Verwerfung anders bedeuten als verlieren, was man hätte erlangen können, wenn man eben nicht verworfen worden wäre, nämlich das Heil? Also man wird zum Verluste des Heiles verworfen werden und ein solcher Beschluss kann nur gefasst werden von einem Erzürnten, einem Beleidigten und einem Rächer der Sünde, d.h. von einem Richter.

28. Welches Schicksal aber trifft die Verworfenen? Sie werden, lautet die Antwort, vom Feuer des Demiurgen ergriffen. Also der andere Gott besitzt nicht einmal ein Element, das zu diesem Zwecke dienlich wäre, wohin er seine Sünder ---- auch ohne Zorn ---- verweisen könnte und muss sie dem Demiurgen zuschicken? Was wird der Demiurg nun thun? Vermutlich wird er für sie eine etwas stärker geschwefelte Hölle bereit halten, weil sie gegen ihn selbst geschimpft haben, falls er mit ihnen nicht etwa als eifersüchtiger Gott deshalb schonender umgeht, weil sie von seinem Gegner abgefallen sind. Wahrlich, dieser Gott handelt überall verkehrt, überall unvernünftig, in allem thöricht; folglich ist er gar keiner. Bei ihm sehe ich kein Wesen, keine Beschaffenheit, keine Natur, keine Ordnung, die Bestand hätte, endlich noch nicht einmal ein Sakrament seines Glaubens.

Denn wozu wird bei ihm auch die Taufe verlangt? Gibt es eine Nachlassung der Sünden, so frage ich, wie soll der Sünden nachlassen können, der, wie es scheint, keine vorbehält? Vorbehalten würde er sie, wenn er Richter wäre. Wenn die Freisprechung eine Freisprechung vom Tode ist, wie kann der vom Tode freisprechen, der nicht zum Tode gefesselt hat. Zum Tode gefesselt hätte er aber nur dann, wenn er der wäre, der von Anfang an die Verdammung ausgesprochen hat. Wenn es eine Wiedergeburt des Menschen gibt, wie kann der die Wiedergeburt vollbringen, der an der Geburt unbeteiligt ist? Von einer Wiederholung kann bei dem keine Rede sein, der die Sache noch kein Mal gethan hat. Gibt es eine Erlangung des heiligen Geistes, so frage ich, wie kann der der Seele den Geist erteilen, der nicht zuvor die Seele selbst mitgeteilt hat. Die Seele ist ja gleichsam die Unterlage des Geistes. Er besiegelt also den Menschen, der niemals bei ihm entsiegelt war; er erteilt dem Menschen die Abwaschung, obwohl er vor seinen Augen niemals befleckt war; er taucht in dieses ganze Heilssakrament einen Leib ein, der des Heils beraubt bleibt. Kein Landmann aber wird ein Feld berieseln, das ihm keine Frucht bringen kann; er müsste denn so dumm sein wie der Gott Marcions.

Ebenso frage ich, warum legt er dem Leibe, wenn derselbe so gebrechlich und so unwürdig ist, die Pflicht der Heiligkeit auf, eine so grosse Last oder Auszeichnung? Was soll ich von der Zwecklosigkeit der Sittenzucht sagen, wodurch er eine heilige37) Substanz heiligt? Aus welchem Grunde legt er einem schwachen Wesen eine Bürde auf und gibt einem Unwürdigen eine Auszeichnung? Warum belohnt er das Wesen, welches er mit einer Bürde oder Auszeichnung versehen hat, nicht mit dem Heile? Warum unterschlägt er ihm den Lohn seiner Werke, indem er dem Leibe das Heil nicht verleiht? Warum lässt er zu, dass auch der Ruhm der Heiligkeit in ihm sterbe?

29. Der Gott Marcions lässt keinen Leib taufen, es sei denn den einer Jungfrau, Witwe, Ehelosen oder einer, die sich durch Trennung der Ehe das Anrecht auf die Taufe erworben hat, gerade als wenn nicht auch der Leib der Verschnittenen durch die Ehe sein Dasein erhielte. Ohne Zweifel ist diese Einrichtung der Ausfluss seiner Verwerfung der Ehe. Untersuchen wir, ob sie gerecht sei, nicht als wollten wir die Seligkeit und das Glück der Heiligkeit38) verkümmern, wie gewisse Nikolaiten, welche Wollust und Ausgelassenheit predigen, sondern weil wir uns auf Heiligkeit verstehen, ohne das Heiraten zu verdammen, ihr nachstreben und ihr den Vorzug geben, nicht wie man einer guten Sache vor einer bösen, sondern wie man einer bessern vor der guten den Vorzug gibt. Denn wir verwerfen die Ehe nicht, sondern wir enthalten uns derselben nur; wir schreiben die Heiligkeit nicht vor, sondern raten sie nur an; wir werden dem Guten sowohl als dem Bessern gerecht, indem wir jedem jeder nach seinen Kräften nachstrebt. Wir verteidigen die Ehe gerade dann am angelegentlichsten, wenn sie in feindseliger Weise, als unrein, angegriffen wird, um damit den Schöpfergott herabzuwürdigen, welcher der Ehrbarkeit der Sache entsprechend dem ehelichen Bunde seinen Segen gegeben hat zur Mehrung des menschlichen Geschlechts, so gut wie er ihn der gesamten Schöpfung gab, zu guter und unsträflicher Benutzung. Die Speisen werden ebensowenig dadurch verdammlich, dass sie, mit zuviel Sorgfalt ausgesucht, zur Leckerei führen. So wenig die Kleidung deshalb ein Vorwurf trifft, weil sie, zu kostbar hergestellt, zu Prunk und Aufgeblasenheit führt, ebensowenig wird das eheliche Leben deshalb verabscheuungswert, weil es bei masslosem und erschlafftem Zustande zur Wollust entflammt.

Es ist ein grosser Unterschied zwischen der Sache selbst und deren Verderbnis, ihrem Wesen und der Ausartung. In derartigen Fällen wäre daher nicht die Einrichtung selbst, sondern die Ausschreitung zu verwerfen, gemäss dem sittlichen Urteil des Urhebers der Einrichtung selbst, von dem sowohl das: "Wachset und mehret euch'' herrührt, als auch die Gebote: "Du sollst nicht ehebrechen" und "du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib", und der auf jede blutschänderische, sakrilegische Lust so wie auch auf die ungeheuerliche und wahnsinnige Unzucht mit Männern und mit Vieh die Todesstrafe setzte.

Auch dann, wenn dem Heiraten eine Grenze gesteckt wird, wie es bei uns 39) aus geistigem Grunde auf Antrieb des Paraklet mit besonderem Nachdruck geschieht, indem nach Annahme des Christentums nur eine einmalige Ehe gestattet wird, so ist es eben derselbe, der das Ziel setzt, nachdem er es einstens etwas weiter gerückt hatte. Der sammelt, welcher zerstreut hat, der schlägt den Wald, welcher ihn gepflanzt hat, der erntet die Saat, der sie gesäet hat, es erübrigt noch, dass die, welche Eheweiber haben, "seien, als hätten sie deren nicht"; er ist derselbe, der ehedem gesagt hatte: "Wachset und mehret euch". Der macht den Schluss, der auch den Anfang gemacht hat. Wenn der Wald abgeholzt wird, so ist das keine Anklage gegen ihn, und wenn die Saaten gemäht werden, so ist das keine Verdammung für sie, sondern es geschieht mit ihnen, was an der Zeit ist. So lassen auch die ehelichen Verhältnisse die Axt, die Sichel, das Messer der Heiligkeit an sich legen, nicht als wären sie schlecht, sondern weil sie für den Hingang reif und der Heiligung vorbehalten sind, der sie Platz machen40) und so das Dasein geben sollen.

Daher möchte ich auch jetzt behaupten, wenn der Gott Marcions die Ehe als etwas Schlechtes und Abnormes verwirft, so handelt er gegen das Interesse der Heiligkeit selbst, obwohl er dafür zu handeln scheint. Er nimmt ihr das Objekt; denn wenn es keine Ehe gäbe, so gäbe es auch keine Heiligkeit mehr. Es fehlt dann nämlich das Zeugnis für die Enthaltsamkeit, wenn die Erlaubnis zum Heiraten entzogen wird. Denn manche Dinge finden nur auf diese Weise ihren Beleg in ihrem Gegenteil. Wie die Tugend in der Schwachheit zur Vollendung gelangt, so springt die Enthaltsamkeit erst bei Erlaubtheit des Heiratens in die Augen. Wer wird denn zuletzt noch enthaltsam genannt werden können, wenn es kein Objekt mehr gibt, dessen man sich enthalten kann? Oder gibt es etwa eine Bändigung der Esslust bei Hungersnot, eine Verschmähung des Prunkes bei Bettlerarmut und eine Zügelung der sinnlichen Begierde im Zustande der Entmannung?

Endlich weiss ich auch nicht, ob es sich für den höchst guten Gott schickt, die Pflanzstätte zur Erhaltung des Menschengeschlechtes gänzlich zu beseitigen. Denn wie kann er den Menschen erlösen, wenn er ihm nicht erlaubt, geboren zu werden, und die Möglichkeit des Geborenwerdens beseitigt? Wie wird er einen Gegenstand finden, woran er seine Güte zeigt, da er ihm das Dasein nicht gönnt? Wie kann er den lieben, dessen Ursprung er nicht liebt? . Vielleicht fürchtet er allzu reichlichen Nachwuchs und die Mühe, noch mehrere erlösen zu müssen, oder er fürchtet, zu viele Häretiker hervorzubringen, oder dass ihm aus den Marcioniten noch bessere Marcioniten entständen?

Die Grausamkeit Pharaos, der die Neugeborenen umbrachte, kann nicht grösser sein. Denn dieser nimmt das Leben, jener gibt es gar nicht; dieser reisst aus dem Leben heraus, jener lässt gar nicht in das Leben hinein. Das Verfahren beider unterscheidet sich nicht vom Mord; beide lassen den Menschen nicht leben, der eine den bereits geborenen, der andere den noch zu gebärenden. Es wäre dankenswert von dir gewesen, o Gott der Häretiker, wenn du gegen die Veranstaltung des Demiurgen, wonach Mann und Weib sich verbinden, angegangen wärest; denn dein Marcion ist ja auch aus einer ehelichen Verbindung geboren.

Dies genügt in betreff der Gotteslehre des Marcion. Sowohl die Feststellungen über die Einzigkeit Gottes als auch die Beschaffenheit seines Verhaltens bestätigen es durchaus, dass ein solcher Gott nicht existiert. Jedoch der Zusammenhang des gesamten Werkes läuft ja darauf eben hinaus. Wem es daher scheinen sollte, wir hätten noch nicht ausführlich genug darüber gehandelt, der möge sich mit der Erwartung beruhigen, dass die Sache für die betreffende Zeit zurückgelegt sei, ebenso wie die Prüfung der Schriften selbst, deren sich Marcion bedient.


Anmerkungen

1 Eine von den vielen naturhistorischen Fabeln der Alten: testes amputari ab ipsis (sc. fibris) cum capiantur. Plin hist. nat. XXXII. §. 26, 12 (3).

2 Die Schrift de praescriptionibus adv. haereticos.

3 Luk. G, 43

4 Bei Is. 45, 7.

5 Für Creator setze ich der leichteren Fasslichkeit halber, um nicht erst durch das unverfängliche deutsche Wort "Schöpfer" falsche Vorstellungen zu erregen, hier lieber den gleich gnostischen Kunstausdruck "Demiurg", an anderen Stellen "Schöpfergott."

6 Summum magnum höchstes Gut, höchste Grösse drückt sich Tertullian aus.

7 Is. 40, 18, 25.

8 Das dreissig Ferkel warf. Virg. An. VIIL 43

9Nur jam et nicht jam ut und quae nicht qua kann die richtige Lesart hier sein.

10Es ist mir nicht zweifelhaft, dass hier inter eos; quin statt inter eos, qui zu lesen sei.

11Ich glaube, dass qui statt quem zu lesen ist, weil Tertullian summum magnum in Kap. 5 als Neutrum gebraucht hat, wenn das Relativ also darauf gehen sollte, quod statt quem stehen müsste.

12 Ps. 81, 1. 6.

13Z. B. das Feuer, die Kunst des Webens, Schmiedens etc.

14 D. i. freiwilliger Hungertod.

15 Vergleiche dagegen unten Kap. 19.

16 Eine von ihm geschaffene Welt.

17Diese Stelle omnibus locustia anteponenda ist angezweifelt worden, lässt sich aber doch aus dem Obigen erklären.

18Unten Cap. 22.

19 Ob man liest nega oder negas, macht keinen Unterschied. Keines gibt einen dem Zusammenhang entsprechenden Sinn. Dieser fordert nego.

20 Lib. III. adv. Marcionem.

21Andere lesen: 125 Jahre. Vom Tode des Tiberius bis zum Regierungsantritt des Antoninus Pius sind 101 Jahre 3 Monate 24 Tage.

22Vergl. Gal. 2,9. I. Kor. 9,33; 15,11. Gal. 1, 7; 2,4

23 Is. 43,19.

24 Is. 31, 31 u. 32.

25 Jer. 4, 3 u. 4.

26 Os.5. 2, 11

27 Is. 1, 13 u, 14.

28 Ps. 2, 3. 1, 2.

29 Dasselbe Traditionsprinzip wie de praescriptionibus

30 Weil durch die Präscriptionsmethode die ganze Frage auf einmal abgeschnitten wird, ohne dass man sich auf das Detail einlässt.

31D. i. in Bezug auf seine Güte.

32 Tertullian braucht natura hier im Sinne von Wesenheit und nähert sich in diesem Abschnitt dem Grundgedanken des späteren sogenannten ontologischen Gottesbeweises. Vgl. auch oben Cap. 9.

33In dieser Allgemeinheit dürfte der Satz falsch sein.

34Ist natürlich ironisch.

35 Matth. 5, 4, 8.

36 Mir scheint, dass dieser Satz notwendig als Frage gefasst werden muss, sonst würden aliud und eadem sich direkt aufheben

37 Die Seele allein, indem ja nach marcionitischer Lehre der Leib keinen Teil an der Unsterblichkeit hat.

38 Sanctitas, hier im Sinne von jungfräulicher Ehelosigkeit.

39 Bei den Montanisten

40 Cui caedendo (besser vielleicht cedendo) praestaret esse haben die Handschriften und Ausgaben. Die Emendation von Öhler: Cui caedendo praestaret messem scheint mir ganz unglücklich; denn dem Ausdruck messis entspräche oben secare, nicht caedere, das nur vom Walde gebraucht werden kann.


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Übersetzt von Heinrich Kellner, 1882.  Übertragen durch Hermann Detering, 2005.


This page has been online since 12th March 2005.


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