[Übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner]
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Inhalt:
5. Kap. Nur die einmalige Ehe entspricht dem bei der Schöpfung geoffenbarten Plane Gottes.
10. Kap. Die Enthaltsamkeit macht den Geist frei und disponiert zum Gebete und zu geistigen Dingen. |326
13. Kap. Beispiele für das Gesagte aus der nichtchristlichen Welt. Schluß.
1. Nachdem dir deine Frau vorangegangen und im Frieden entschlafen ist, wirst du, lieber Mitbruder, ohne Zweifel bemüht sein, deine geistige Fassung wieder zu erlangen, über das Schicksal deiner Vereinsamung nachsinnen und jedenfalls auch des Rates1) bedürftig sein. Wenngleich bei solchen Ereignissen ein jeglicher für sich mit seinem Glauben zu Rate gehen und dessen Stärke befragen muß, so wird doch gerade in diesem Falle das Nachdenken durch das niedere Bedürfnis beeinflußt, dieses aber widerstrebt in der Regel in einem und demselben Herzen dem Glauben, und daher bedarf letzterer des Rates von außen, gleichsam wie eines Sachwalters, gegenüber den niederen Bedürfnissen. Das vermeintliche Bedürfnis kann mit der größten Leichtigkeit eingeschränkt werden, wenn man mehr den Willen Gottes im Auge haben will als seine bloße Zulassung. Niemand erwirbt sich ein Verdienst, wenn er von der bloßen Nachsicht Gottes Gebrauch macht, sondern nur durch Befolgung seines Willens. "Das ist der Wille Gottes, unsere Heiligung"2). Er will nämlich, daß wir, sein Ebenbild, ihm auch ähnlich werden, so daß "wir heilig sind, wie er heilig ist".
Dieses Gut, die Heiligung, teile ich in mehrere Arten ein, damit wenigstens eine derselben bei uns angetroffen werde. Die erste Art ist die Jungfrauschaft von der Stunde der Geburt an; die zweite ist die Jungfrauschaft von der Wiedergeburt, d. i. von der Taufe an, welche entweder in der Ehe Reinigkeit herbeiführt infolge einer Übereinkunft oder im Witwenstande |327 verharren macht aus freiem Willen. Als dritte Art bleibt dann noch übrig die einmalige Ehe, wenn man nämlich nach Zerreißung der einen Ehe von da an dem anderen Geschlechte entsagt.
Die erste Art der Jungfrauschaft, dasjenige gar nicht kennen zu lernen, wovon man später Befreiung wünscht, ist ein seliger Zustand; die zweite Art, das zu verachten, dessen Macht man sehr gut kennt, ist Sache der Tugendstärke; die letzte aber, nach Zerreißung der Ehe durch einen Todesfall nicht mehr zu heiraten, ist Sache der Tugend und zugleich ein Verdienst der Resignation. Resignation nämlich ist es, das, was einem weggenommen wurde, nicht mehr zurückverlangen. Und zwar ist es weggenommen durch Gott den Herrn, ohne dessen Willen weder ein Blatt vom Baume, noch ein Sperling, der nur einen Pfennig wert ist, zur Erde fällt.
2. Wie resigniert lautet die Äußerung: "Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen; wie es dem Herrn gut schien, so ist es geschehen"3). Knüpfen wir das gerissene Eheband von neuem wieder an, so gehen wir also ohne Zweifel gegen den Willen Gottes an und wollen wiederum besitzen, wovon er will, daß wir es nicht besitzen sollen. Denn wenn er wollte, daß wir es besäßen, so würde er es uns ja nicht weggenommen haben. Es müßte denn sein, wir stellten uns den Willen Gottes so vor, daß er abermals wollen könne, was er schon nicht mehr wollte. Es verträgt sich nicht mit dem echten und soliden Glauben, in der Weise alles auf den Willen Gottes zurückzubeziehen und so jedem zu Gefallen zu sein, daß man sagt, nichts geschehe ohne Gottes Geheiß, und dabei übersieht, daß ja auch etwas auf uns ankommt4). Sonst würde jedes Verbrechen seine Entschuldigung finden, wenn wir behaupten wollten, wir täten gar nichts ohne den Willen Gottes, und es würde eine solche Behauptung zur Auflösung der gesamten Sittenzucht, ja zur Vernichtung Gottes selbst führen; |328 wenn er Dinge ausführte, die sein eigener Wille nicht will, oder wenn es gar nichts gäbe, was Gott nicht will. Wie könnte er dann gewisse Dinge verbieten und für sie sogar eine ewige Pein androhen? Was er verbietet, das kann er natürlich nicht wollen, sondern wird dadurch sogar beleidigt; wie er denn auf der anderen Seite das, was er will, vorschreibt, wohlgefällig aufnimmt und es mit ewiger Belohnung vergilt.
Wenn wir so aus seinen Vorschriften beides erkannt haben, was er will und was er nicht will, so bleibt uns doch unser heier Wille und die Selbstbestimmung, das eine oder das andere zu wählen, wie geschrieben steht: "Siehe, ich habe dir vorgelegt Gutes und Böses"5); denn du hast ja gegessen vom Baume der Erkenntnis, Darum dürfen wir, was unserm freien Willen anheimgegeben ist, nicht auf Rechnung des Willens Gottes setzen, weil es hinsichtlich dessen, was gut ist, bei ihm, der das Böse nicht will, ein Wollen oder Nichtwollen nicht gibt. Wenn wir daher etwas dem göttlichen Willen, der nur das Gute will, Widersprechendes wollen, so ist das unser Wille, Fragt man nun weiter, woher kommt dieser unser Wille, kraft dessen wir etwas dem göttlichen Willen Widersprechendes wollen, so werde ich antworten: Aus uns selbst. Und zwar nicht ohne Grund, Denn man muß dem Samen, woraus man entsprossen, notwendig entsprechen, da der Stammvater sowohl des Geschlechtes als der Übertretung, Adam, die Übertretung gewollt hat. Der Teufel hat ihm den Willen, eine Übertretung zu begehen, nicht eingegeben, sondern er hat dem Willen nur den Stoff und Anlaß dargeboten. Der Wille Gottes aber war gekommen, um befolgt zu werden.
Mithin wirst auch du, wenn du Gott, der dich nach Vorlegung seines Gebotes mit Freiheit erschaffen hat, nicht gehorchst, vermöge der Freiheit deines Willens freiwillig zu dem abweichen, was Gott nicht will, und so mußt du dich für einen vom Teufel Verführten halten, während er doch, obschon er wünscht, daß du |329 etwas wollest, was Gott nicht will, doch nicht bewirkt, daß du es wollest. Denn er bezwang ja auch damals die Erstgeschaffenen nicht in der Weise, daß sie die Übertretung wollten, ja sie waren weder ohne den Willen noch ohne die Kenntnis dessen, was Gott nicht wollte. Denn Gott hatte es jedenfalls nicht gewollt, da er für die begangene Tat den Tod bestimmte. So vermag der Teufel nur eins zu tun: Dich zu versuchen, ob du willst, weil das Wollen bei dir steht. Sobald du aber gewollt hast, so folgt, daß er dich sich unterwirft; indem er in dir zwar nicht das Wollen bewirkt, aber doch eine Gelegenheit für den Willen gefunden hat. Da also das Wollen bei uns allein steht und darin eben unsere Gesinnung gegen Gott erprobt wird, ob wir das wollen, was mit seinem Willen übereinstimmt, so muß man, behaupte ich, tief und eindringlich über den Willen Gottes nachdenken, was derselbe etwa im Verborgenen noch begehren könne.
3. Seinen geoffenbarten Willen kennen wir alle, und bei ihm ist nur zu untersuchen, in welcher Weise er offenbar geworden ist. Denn obwohl es Dinge gibt, welche dem Willen Gottes genehm erscheinen, indem sie von ihm nachgesehen werden, so geht doch nicht sogleich alles, was erlaubt wird, aus dem reinen und vollen Willen des Erlaubenden hervor. Wenn eine Erlaubnis gegeben wird, so bedingt dies ein Nachgeben6), Dieses geschieht zwar nicht ohne Beteiligung des Willens, aber weil für denselben irgend ein Motiv in der Person dessen, der die Nachsicht erhält, vorliegt, so kommt die Nachgiebigkeit von einem sozusagen unwilligen Willen, da sie sich ein Motiv gefallen lassen muß, welches den Willen zwingt. Aber siehe zu, was für ein Wollen das sein kann, wovon etwas anderes die Ursache ist!
Die zweite Art, der reine Wille, ist ebenfalls zu betrachten. Gott will, daß wir gewisse, ihm wohlgefällige Dinge tun. Dabei ist nicht die Nachsicht unsere Beschützerin, sondern die Sittenlehre unsere Gebieterin. Wenn er nun desungeachtet anderen Dingen vor |330 diesen den Vorzug gegeben hat, natürlich nur solchen, welche er lieber will, kann es dann wohl zweifelhaft sein, daß wir das befolgen müssen, was er lieber will? Denn das, was er weniger gern will, ist eben deswegen, weil er das andere lieber will, so anzusehen, als wenn er es gar nicht wollte. Wenn er zu erkennen gegeben hat, was er lieber will, so hat er damit den untergeordneten Willen durch den höheren aufgehoben. In dem Grade, wie er beides dir zur Kenntnis vorgelegt hat, ist es seine bestimmte Anordnung, daß du das befolgen sollst, wovon er angezeigt hat, daß er es lieber will. Wenn er sich also in der Absicht erklärt hat, damit du dich nach dem richtest, was er lieber will, so ist, wenn du es nicht tust, deine Gesinnung ohne Zweifel seinem Willen entgegen. Sie ist nämlich gegen seinen höheren Willen gerichtet, und du beleidigst ihn mehr, als daß du ihn dir geneigt machst; denn du tust zwar, was er will, verschmähst aber das, was er lieber sähe. Einerseits begehst du eine Sünde; anderseits erwirbst du dir, wenn du keine Sünde begehst, doch seine Gunst nicht. Und nun " seine Gunst nicht verdienen wollen, ist denn das keine Sünde? " Wenn sich also die zweite Ehe auf jene Art des Willens Gottes gründet, den man Nachsicht nennt, so würden wir den reinen Willen Gottes, dem erst eine Ursache eingeräumt werden muß, negieren, wenn wir nicht7) aus dem Willen, vor dem eine andere auf eine vorzüglichere Enthaltsamkeit gerichtete Willensoffenbarung den Vorzug erhält, gelernt haben, daß der weniger gute durch den vorzüglicheren aufgehoben wird.
So viel möchte ich vorausgeschickt haben, um nunmehr die Aussprüche des Apostels durchzugehen. Zuvörderst glaube ich nicht, die Ehrerbietung zu verletzen, wenn ich eine Bemerkung, die er selbst von sich macht, vorausschicke, nämlich die, er habe jede Nachsicht hinsichtlich der Ehen nur auf Grund seiner eigenen, d. i. |331 einer menschlichen Meinung, nicht kraft göttlicher Vorschrift eingeführt. Denn auch da, wo er über die Witwen und Unverehelichten die Bestimmung gibt, daß sie heiraten sollen, wenn sie nicht enthaltsam sein können, weil heiraten besser sei, als Brunst empfinden, wendet er sich zu der ändern Klasse und sagt: "Den Verheirateten aber verkündigte nicht ich, sondern der Herr"8). So gibt er durch den Übergang von seiner Person zu der des Herrn zu erkennen, daß er das Vorausgegangene: "Es ist besser zu heiraten als Brunst zu leiden", nicht in der Person des Herrn, sondern in seiner eigenen gesprochen habe9). Obwohl sich dieser Ausspruch nur auf die bezieht, welche die Gnade des Glaubens im Stande der Ehelosigkeit oder Witwenschaft trifft, so möchte ich mich, weil sich alle an besagte Erlaubnis, zu heiraten, anklammern, doch darüber auslassen, wie hoch in der Meinung des Apostels ein Gut stehen dürfte, welches besser ist als eine Strafe und nur dann als gut aufzutreten vermag, wenn es mit dem Schlimmsten verglichen wird, so zwar, daß das Heiraten nur deshalb ein Gut ist, weil Brunst leiden noch schlimmer ist. Ein Ding ist nur dann gut, wenn es beständig diesen Namen behauptet, abgesehen von jeder Vergleichung, ich sage nicht mit etwas Schlechtem, sondern sogar mit einem anderen Guten, so daß es, auch wenn es mit einem anderen Guten verglichen und danach skizziert wird, nichtsdestoweniger die Benennung "Gut" behält. Wofern es aber erst durch Vergleich mit etwas Schlechtem sich die Benennung "Gut" erzwingt, so ist es nicht sowohl ein Gut, als vielmehr ein Übel geringerer Art, das, von einem größeren Übel überholt, zur Benennung "Gut" gelangt. Fort überhaupt mit dem Vergleiche, zu sagen: "Heiraten ist besser als Brunst leiden!" Dann frage ich, ob man sich erkühnen möchte, zu sagen: "Heiraten ist besser", ohne hinzuzusetzen, in Vergleich womit es besser ist. Was also dann nicht mehr etwas Besseres ist, das ist sicherlich nicht einmal mehr gut, weil du den Vergleich beseitigt und hinweggenommen hast, welcher |332 jenes Ding dadurch gut macht, daß er nötigt, es für etwas Besseres zu halten. Der Satz: "Heiraten sei besser als Brunst leiden", ist so zu verstehen, wie der: Es ist besser, ein Auge zu entbehren, als beide. Wenn man aber von dem Vergleiche absieht, so wird es nicht besser sein, nur ein Auge zu haben, weil es nicht gut ist. Niemand möge also aus der angeführten Stelle eine Verteidigung für sich herleiten. Sie bezieht sich eigentlich auf die Unverheirateten und Witwen, bei denen sich überhaupt noch gar keine Verbindung angeben läßt. Doch ich möchte auch hinsichtlich dieser dartun, daß bei ihnen der Fall einer bloßen Erlaubnis als vorhanden anzunehmen sei.
4. Übrigens aber wissen wir in betreff der zweiten Ehe, daß der Apostel mit unumwundenen Worten gesagt hat: "Bist du von der Gattin gelöst, so suche keine Gattin wieder: allein wenn du eine nimmst, so sündigst du nicht"10). Auch die in diesem Ausspruch enthaltene Anordnung hat er ebenfalls nur kraft seines eigenen Dafürhaltens, nicht kraft einer göttlichen Vorschrift eingeführt. Zwischen einer göttlichen Vorschrift und dem Dafürhalten eines Menschen ist aber ein großer Unterschied, "Eine Vorschrift des Herrn", sagt er, "habe ich nicht, einen Rat aber gebe ich, wie einer, der vom Herrn Barmherzigkeit erlangt hat, im Glauben treu zu sein." Sonst wird man weder im Evangelium noch in den Briefen Pauli selbst eine Stelle finden, wo kraft einer göttlichen Vorschrift die Wiederholung der Ehe erlaubt würde. Mithin bestätigt es sich, daß man nur eine einzige schließen darf. Denn das, wozu sich nicht seitens des Herrn eine Erlaubnis gegeben findet, kennzeichnet sich als verboten. Dazu kommt noch, daß auch dieser bloß menschliche Rat, der da miteingeflossen ist, sich sofort, als wäre er über sein eigenes Vorgehen bedenklich geworden, wieder selbst beschränkt und widerruft, wenn Paulus sofort bemerkt: "Aber solche werden die Bedrängnis des Fleisches empfinden"; wenn er sagt, "daß er ihrer schone"; wenn er hinzufügt, "die |333 Zeit sei verkürzt, weshalb diejenigen, welche in der Ehe leben, so sein müßten, als lebten sie nicht darin", und wenn er die Sorgen der Verheirateten mit denen der Unverheirateten in Vergleich stellt11). Indem er so die Gründe darlegt, warum das Heiraten nicht nützlich sei, rät er wieder von dem ab, was er oben gestattet hatte. Das gilt schon hinsichtlich der erstmaligen Verheiratung, wieviel mehr noch hinsichtlich der zweiten! Wenn er uns aber ermahnt, seinem Beispiele zu folgen, indem er zu erkennen gibt, wie er uns zu sehen wünscht, d. h. enthaltsam, so erklärt er damit, wie er uns nicht zu sehen wünscht, nämlich unenthaltsam. Also auch er gibt, indem er etwas anderes wünscht, die Erlaubnis zu dem, was er nicht wünscht, weder aus freiem Antrieb noch in Wirklichkeit, Denn wenn er das andere wollte, so hätte er es nicht bloß erlaubt, sondern befohlen.
Allein siehe da, er erlaubt doch wiederum, daß ein Weib, nachdem ihr Mann gestorben, heiraten könne, wenn sie wolle, aber nur im Herrn. "Seliger aber", sagt er, "wird sie sein, wenn sie so bleibt nach meinem Rate. Ich glaube aber, ich habe auch den Geist Gottes"12). Wir sehen da der Ratschläge zwei: den, wonach er oben das Heiraten gestattet, und den, wodurch er hinterher die Enthaltung vom Heiraten lehrt. Welchem sollen wir also, fragst du nun, zustimmen? Schau her und lies! Wo er bloß gestattet, da beruft er sich auf einen bloß menschlichen, weisen Rat, wo er aber die Enthaltsamkeit proklamiert, da behauptet er, daß es der Rat des Hl, Geistes sei, Folge du dem Rate, auf dessen Seite die Gottheit steht! Den Geist Gottes, den haben zwar auch die Gläubigen13); aber nicht alle Gläubige sind Apostel, Da also er, welcher sich vorher einen Gläubigen genannt hatte, nacher hinzusetzt, er habe den Geist Gottes, was auch von einem bloßen Gläubigen niemand bezweifelt haben würde, so hat er es deshalb gesagt, um sich seine Würde als Apostel wieder beizulegen. Denn im eigentlichen Sinne haben nur die Apostel |334 den Hl. Geist, sie, die ihn in seiner Fülle besitzen in Werken der Prophetie, in Betätigung von Wunderkräften und in Bewährung der Sprachengabe, nicht bloß teilweise wie die anderen Leute. Und so hat er denn die Autorität des Hl. Geistes bei dem Falle hinzutreten lassen, welchem wir, wie es sein Wunsch ist, lieber gehorchen sollen, und es ist damit schon nicht mehr ein bloßer Rat des Hl. Geistes, sondern, entsprechend der Majestät desselben, eine Vorschrift daraus geworden.
5. Um das Gesetz, nur einmal zu heiraten, zu errichten, dazu hilft die Entstehung des Menschengeschlechtes selbst, welche Zeugnis davon gibt, was Gott von Uranfang als für die Nachkommenschaft zu beherzigende Ordnung festgestellt habe. Als er nämlich den Menschen geformt hatte und ihm die ihm notwendige Genossin geben wollte, nahm er eine von dessen Rippen und bildete daraus für ihn nur ein Weib, obwohl gewiß weder der Bildner noch die Materie erschöpft war. Denn Adam hatte noch mehr Rippen, und die Hände Gottes waren nicht so schnell zu ermüden, aber vor Gott gab es keine Gattinnen weiter. Daher haben Adam, der gottgeschaffene Mann, und Eva, das gottgeschaffene Weib, in einmaliger Ehe miteinander lebend, der Menschheit die Ordnung vorgezeichnet und bestimmt, kraft der Autorität ihrer Entstehungsweise und kraft des uranfänglichen Willens Gottes. Darum heißt es auch: "Sie werden zwei sein in einem Fleische"14), nicht drei oder vier. Andernfalls wären sie schon nicht mehr ein Fleisch und auch nicht zwei zu einem Fleische. Sie werden es aber sein, wenn die Verbindung und Vermischung in der Einheit nur einmal geschieht. Geschieht sie wiederholt und mehrfach, so wird die Einheitlichkeit aufhören, und sie werden bereits nicht zwei sein zu einem Fleische, sondern eine Rippe in mehreren Teilen.
Wenn der Apostel die Stelle: ,,Sie werden zwei sein zu einem Fleische" auf die Kirche und auf Christus deutet gemäß der geistigen Ehe zwischen Christus und |335 der Kirche " denn Christus ist nur einer und seine Kirche nur eine, " so müssen wir einsehen, daß das Gesetz von der Einmaligkeit der Ehe daraus doppelte Stärke gewinnt, einmal infolge der Entstehung unseres Geschlechtes, zweitens infolge der christlichen Glaubenslehre. Aus einer einmaligen Ehe stammen wir beide Male, sowohl in leiblicher Hinsicht bei Adam als in geistiger bei Christus. Für die beiden Geburten ist das Gesetz dasselbe, die Monogamie; in beiden entartet, wer über die Monogamie hinausgeht. Das Zählen in Sachen der Ehe nahm seinen Anfang erst von einem Manne, den der Fluch traf: Lamech war der erste, der zwei Weiber nahm und aus dreien ein Fleisch machte.
6. Aber die gebenedeiten Patriarchen, wendest du ein, hatten nicht nur mit mehreren Gattinnen geschlechtliche Verbindungen, sondern sogar mit Konkubinen; folglich wird es auch uns freistehen, mehrere Male15) zu heiraten. " Jawohl, es wird uns freistehen, wofern jetzt noch Typen, geheimnisvolle Andeutungen auf irgend welche zukünftige Dinge übrig sind, für welche deine Heiraten als Vorbilder dienen sollen, oder dann, wenn jetzt der Ausspruch: "Wachset und mehret euch" noch am Platze ist, d. h. wenn der andere Ausspruch noch nicht dazwischen getreten ist: "Die Zeit ist bereits verkürzt, und es bleibt nur noch übrig, daß die, welche Eheweiber haben," so leben, als hätten sie keine". Dieser Ausspruch legt dann noch in jedem Falle die Enthaltsamkeit nahe, schränkt die Beiwohnung, welche die Aussaat zu neuen Geburten ist, ein und hat das: "Wachset und mehret euch" abrogiert. Mich dünkt, beide Aussprüche und beide Anordnungen rühren von einem und demselben Gott her, der damals zu Anbeginn die Saat des Menschengeschlechtes ausstreute und den ehelichen Verbindungen allerdings die Zügel schießen ließ bis zu der Zeit, wo der Erdkreis angefüllt und ein hinreichendes Material für die neue Zucht und Lehre herangediehen wäre. Jetzt, in diesen letzten Zeiten, hat er, was er |336 freigegeben, wieder eingeschränkt, und was er nachgelassen, wieder an sich gezogen, nicht ohne Rücksichtnahme auf die nötige Ausbreitung zu Anfang und die Beschränkung am Ende. Es ist Regel, daß anfangs freier Spielraum gegeben wird. Wer einen Wald angelegt hat, läßt ihn auch wachsen, um ihn zu seiner Zeit abzuholzen. Ein solcher Wald war die frühere Anordnung, und er wird in dem neuen Evangelium, wo "die Axt an die Wurzel gelegt ist", abgehauen. So ist auch das: "Auge um Auge", "Zahn um Zahn" veraltet, seitdem das andere Wort ins Leben getreten ist: "Niemand vergelte Böses mit Bösem"16). Auch bei menschlichen Konstitutionen und Dekreten, dünkt mich, haben die späteren vor der früheren Geltung.
7. Warum wollen wir von den Vorfällen aus der alten Zeit nicht lieber die gelten lassen, welche mit den späteren in betreff der Sittenzucht übereinstimmen und den Übergang von der Ordnung des Altertums zu der der Neuzeit bilden? Siehe, ich finde, daß im alten Gesetze die Freiheit, mehrmals zu heiraten, doch auch Einschränkungen erlitten habe. Im Levitikus ist vorgesehen: "Meine Priester werden nicht mehrfach heiraten"17). Ich kann sagen, auch das ist mehrfach, was nicht ein einziges Mal ist. Was nicht eins ist, ist zählbar. Denn wenn die Einzahl überschritten ist, fängt das Zählen an. Einheitlich ist aber alles, was nur einmal existiert. Wie in den übrigen Dingen, so war auch in Bezug hierauf Christo die Vervollständigung des Gesetzes vorbehalten. Daher wird bei uns umfassender und bestimmter die Vorschrift gegeben, diejenigen, welche zum priesterlichen Range aufgenommen werden, dürfen nur Männer einer Verheiratung sein18), Mir sind noch immer Fälle im Gedächtnis, daß einige als Digami19) ihrer Stelle entsetzt wurden. |337
Du wirst einwenden: Also steht es dann doch den übrigen, die Paulus ausnimmt, frei, " Wir würden Toren sein, wenn wir glauben wollten, den Laien stehe frei, was den Priestern nicht freisteht. Sind wir Laien denn nicht auch Priester! Es steht geschrieben: "Auch uns hat er zu einem Reiche und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht"20). Der Unterschied zwischen den Ordinierten und dem Volk ist durch die Autorität der Kirche festgestellt und ihr Rang durch das Zusammensitzen der Ordinierten geheiligt worden. Denn wo es kein Zusammensitzen der Ordinierten der Kirche gibt, da opferst du und taufst du und bist Priester für dich allein. Aber wo drei sind, da ist eine Gemeinde, wenn es auch nur Laien sind. Jeder einzelne nämlich21) hat das Leben durch seinen Glauben, und Gott macht keine Ausnahme in betreff der Personen, da nicht die bloßen Hörer des Gesetzes von Gott gerechtfertigt werden, sondern die Vollzieher, gemäß dem Ausspruche des Apostels22). Wenn du also, wo ein Notfall vorhanden ist, das Recht des Priesters besitzest, so mußt du für die Notfälle, die vorkommen, das Recht des Priesters auszuüben, auch die Sittenzucht des Priesters beobachten. Willst du nun als Digamus taufen? Als Digamus opfern? Um wieviel mehr ist es für einen Laien, der ein Digamus ist, ein Kapitalvergehen, priesterliche Handlungen vorzunehmen, da einem Priester, wenn er Digamus geworden, das Recht, als Priester zu handeln, sogar wieder genommen wird?!
Aber, sagst du, man gibt ja nur der Notwendigkeit nach, " Was nicht zu sein braucht, wird nicht als Notwendigkeit entschuldigt. Laß dich also nicht als Digamus finden, und du wirst keinen Fehler begehen, gegen die Notwendigkeit zu verrichten, was einem Digamus nicht gestattet ist. Gott will, daß wir alle so beschaffen sind, daß wir überall seine Geheimnisse zu begehen |338 geeignet seien. Es gibt nur einen Gott und einen Glauben, und die Sittenzucht ist auch nur eine. Wenn also nicht auch die Laien immerfort das befolgen, um dessentwillen man zum Priester ausgewählt wird, wie sollte es denn Priester geben, da sie doch aus den Laien gewählt werden? Also müssen wir dafür eintreten, daß dem Laien zuerst befohlen sei, sich der zweiten Ehe zu enthalten, da niemand anders Priester werden kann, als ein Laie, der nur einmal verheiratet gewesen ist.
8. Zum zweiten Male zu heiraten, mag dann erlaubt sein, wofern alles, was erlaubt ist, sittlich gut ist. Nun tut derselbe Apostel aber den Ausruf: "Alles steht frei, aber nicht alles ist nützlich"23). Aber um Gottes willen! kann denn, was nicht nützt, gut genannt werden? Wenn Dinge, die nicht zum Heile dienen, erlaubt sind, dann werden Dinge erlaubt, welche nicht gut sind. Wem wirst du den Vorzug einräumen, dem, was deshalb gut ist, weil es erlaubt ist, oder dem, was gut ist, weil es nützt? Ich meine, es ist ein großer Unterschied zwischen dem Erlaubten und dem Heilsamen. Beim wahrhaft Guten heißt es nicht: "Man darf", weil das Gute nicht erst auf eine Erlaubnis zu warten hat, sondern auf Annahme. Das Erlauben aber hat bei dem statt, wovon es zweifelhaft ist, ob es gut sei, bei dem, was allenfalls auch nicht erlaubt werden könnte, wenn es an einem primären Beweggrunde fehlt. Die zweitmalige Verheiratung wird wegen der Gefahr der Unenthaltsamkeit gestattet. Wenn gar keine Gestattung von Dingen, die nicht gut sind, vorkäme, so würde es auch an Gelegenheiten fehlen, woran man erkennen kann, wer dem göttlichen Willen und wer seinem eigenen Antriebe folgt, wer von uns auf das Nützliche bedacht ist und wer sich die Gelegenheit der Nachsicht zunutze macht. Nachsicht ist in den meisten Fällen eine Versuchung für die Sittlichkeit, weil die Sittlichkeit sich durch Versuchung bewährt, die Versuchung aber sich der Nachsicht als Mittel bedient. So kommt es, daß "alles freisteht, aber nicht alles nützt", denn wer die Erlaubnis bekommt, |339 wird versucht, und wer sich durch die Erlaubnis versuchen läßt, der wird verurteilt. Auch den Aposteln hätte es freigestanden, zu heiraten und Eheweiber mit sich herumzuführen. Es hätte ihnen auch freigestanden, vom Evangelium ihren Unterhalt zu haben24). Allein der, welcher dieses seines Rechtes bei der gegebenen Gelegenheit sich nicht bediente, der verweist uns damit auf sein Beispiel, indem er uns belehrt, daß eine Prüfung in dem liege, wobei die erteilte Erlaubnis uns eine Probe der Enthaltsamkeit vorbereitet hat.
9. Wollen wir seine Meinung vollständig wiedergeben, so wäre die zweite Ehe als eine Art von Hurerei zu bezeichnen, nicht anders. Da er nämlich sagt, die Verheirateten seien nur darauf bedacht, wie sie einander gefallen " natürlich nicht in sittlicher Hinsicht; denn eine solche löbliche Bedachtnahme würde er nicht getadelt haben, " so will er damit sagen, sie nehmen auf Putz, Schmuck und jegliche Pflege der äußeren Erscheinung Bedacht, zum Zwecke, sinnlichen Reiz hervorzurufen. Durch die äußere Erscheinung aber und den Putz zu gefallen, das ist ein Kunstgriff der fleischlichen Begierlichkeit, welche auch zur Hurerei führt. Scheint dir denn die zweite Ehe nicht etwas der Hurerei Verwandtes, da man bei ihr Erscheinungen findet, welche eigentlich der Hurerei eigentümlich sind? Der Herr selbst sagt: "Wer ein Weib ansieht, um ihrer zu begehren, der hat in seinem Herzen bereits Hurerei mit ihr getrieben"25). Wer sie aber ansieht, in der Absicht, sie zum Weibe zu nehmen, tut der etwas Größeres oder etwas Geringeres? Wie, wenn er sie nun gar noch nimmt? Er würde das unterlassen, wenn er ihrer nicht schon zur Ehe begehrt und sie, um ihrer zu begehren, angesehen hätte. Ohne das ist es ja nicht möglich, eine Frau zu nehmen, ohne sie angesehen und ihrer begehrt zu haben. Freilich ist es ein großer Unterschied, ob man als Ehemann oder als Eheloser das Weib eines anderen |340 anschaut. Für den Ehelosen aber ist jedes Weib ein anderes, so lange es ein ihm fremdes ist. und sie wird durch den nämlichen Akt zum Eheweibe, wodurch sie zu einer Ehebrecherin wird. Wie es scheint, begründen nur die Gesetze die Verschiedenheit zwischen Ehe und Hurerei, vermöge des Unterschiedes im Unerlaubten, nicht wegen der Beschaffenheit der Sache an sich. Was dient denn übrigens bei Mann und Weib zum Vollzug der Ehe wie der Hurerei? Nur die fleischliche Vereinigung, wonach zu verlangen der Herr der Hurerei gleich erachtet.
Man wendet mir ein, die Folge davon wäre die Beseitigung auch schon der ersten Ehe, " Nicht ganz mit Unrecht, Denn auch sie basiert auf demselben Akte wie die Hurerei, Darum ist es das beste für den Menschen, kein Weib zu berühren, und darum ist die Heiligkeit der Jungfrau die vorzüglichste, weil sie jeder Verwandtschaft mit der Hurerei fernsteht. Da diese Momente sogar schon bei der ersten und einzigen Ehe zur Verteidigung der Enthaltsamkeit geltend gemacht werden können, um wieviel mehr werden sie ein Präjudiz bilden zur Verwerfung der zweiten! Zeige dich dankbar, wenn Gott dir das Heiraten einmal nachgesehen hat! Du wirst aber dankbar sein, wenn du an eine abermalige Nachsicht seinerseits für dich nicht denkst, du mißbrauchst dagegen die Nachsicht, wenn du dich ihrer ohne die nötige Mäßigung bedienst. Mäßigung ist abzuleiten von Maß, Es genügt dir noch nicht, von jener obersten Stufe, der unbefleckten Jungfrauschaft, durch dein Heiraten auf die zweite zurückgetreten zu sein, sondern du sinkst, nachdem du auf der zweiten Station nicht enthaltsam gewesen bist, auch noch auf die dritte und vierte und vielleicht noch weiter hinab, weil er, der zur zweiten Ehe aufzufordern Anstand nahm, eine noch öftere Wiederholung der Ehe auch nicht direkt hat verbieten wollen. Heiraten wir mithin doch alle Täge, und wir können leicht heiratend vom letzten Tage überrascht werden wie Sodoma und Gomorrha; von jenem Tage, an welchem "das Wehe über die Schwangeren und Säugenden'', d. h. das Wehe über die Verheirateten |341 und Unenthaltsamen in Erfüllung gehen wird26). Denn Folgendes Heiratens sind Mutterleib, Brüste und Kinder, Und wann wird denn das Heiraten einmal ein Ende haben? Ich glaube wohl, mit dem Ende des Lebens.
10. Entsagen wir den fleischlichen Dingen, um endlich einmal geistige Früchte zu bringen! Ergreife die, wenn auch nicht gerade sehr erwünschte, doch schickliche Gelegenheit, niemanden zu haben, dem du die Pflicht schuldest und der sie dir leistet! Du hast aufgehört, ein Schuldner zu sein. " O du Glücklicher! Du hast deinen Schuldner seiner Haft entlassen " trage den Schaden! Wie? Wenn sich nun das, was wir Schaden nennen, als ein Gewinn für dich herausstellte? Durch die Enthaltsamkeit wirst du dir nämlich einen großen Gewinn an Heiligkeit erwerben, durch die dem Fleische auferlegte Einschränkung ein Geistesmann werden. Betrachten wir nur unser eigenes Innere, wie ganz anders sich der Mensch fühlt, wenn er zufällig von seiner Frau getrennt ist! Er denkt geistlich. Wenn er zum Herrn betet, so ist er dem Himmel nahe. Wenn er sich mit der Hl, Schrift beschäftigt, so ist er ganz darin versenkt. Wenn er einen Psalm singt, so findet er Geschmack daran. Wenn er einen Dämon beschwört, so hat er Vertrauen auf sich.
Darum hat der Apostel auch einer zeitweiligen Reinheit erwähnt, zum Zwecke, dem Gebete mehr Empfehlung zu geben; damit wir erkennen, daß, was eine Zeitlang geübt nützt, beständig von uns zu üben sei, damit es beständig nütze. Tagtäglich, jeden Augenblick ist das Gebet den Menschen notwendig, natürlich auch die Enthaltsamkeit, nachdem das Gebet einmal notwendig ist. Das Gebet geht aus dem Herzen hervor. Wenn das Herz aus Scham errötet, so errötet auch das Gebet, Der Geist geleitet das Gebet zum Herrn, Wenn der Geist sich vor sich selbst schuldig fühlt, wie wird er sich erkühnen, das Gebet eines beschämten Herzens27) |342 zum Altare zu geleiten; denn bei dessen Beschämung errötet er auch selbst, der heilige Diener.
Es ist ein prophetischer Ausspruch des Alten Testamentes: "Seid heilig, weil Gott heilig ist"28) und wiederum: "Mit dem Heiligen wirst du heilig sein, mit dem unschuldigen Manne wirst du unschuldig sein und mit dem Auserwählten auserwählt"29). Wir müssen in die Zucht des Herrn eintreten, wie es würdig ist, nicht mit den schmutzigen Begierden des Fleisches. So sagt denn auch der Apostel: "Nach dem Fleische gesinnt sein, das sei der Tod, nach dem Geiste aber gesinnt sein, das ewige Leben in Christo Jesu, unserem Herrn"30). Ebenso ergeht durch die heilige Prophetin Priska die evangelische Verkündigung, "daß ein heiliger Diener mit Heiligkeit zu dienen verstehen solle". "Denn Läuterung", spricht sie, "steht wohl an; sie sehen Gesichte, und wenn sie ihr Antlitz senken, so vernehmen sie auch deutliche Stimmen, die ebenso heilbringend sind als tief verborgen." Wenn nun die Abstumpfung, die selbst dann erfolgt, wenn der fleischliche Verkehr in einer einmaligen Ehe ausgeübt wird, den Hl. Geist fernhält, um wieviel mehr wird dies bei einer zweiten Ehe der Fall sein.
11. Denn die Beschämung ist dann eine doppelte, weil bei der zweiten Ehe zwei Gattinnen den einen Mann umstehen, die eine der Seele nach31), die andere mit Fleisch und Bein. Denn unmöglich wirst du die erste Frau hassen können. Die Zuneigung, die du ihr bewahrst, ist sogar eine ehrwürdigere, da deren Gegenstand bereits zum Herrn aufgenommen ist; für ihre Seele bittest du, für sie bringst du die alljährlichen Opfer dar. Du wirst also dann mit so viel Gattinnen vor dem Angesicht des Herrn stehen, als du in deinem Gebete erwähnst; du wirst für zwei opfern und diese zwei anempfehlen lassen durch einen Priester, der nach |343 einer einmaligen Ehe ordiniert oder auch in der Jungfräulichkeit geheiligt und von eingattigen Witwen umgeben ist. Wird da, wenn dein Opfer aufsteigt, deine Stirn eine freie sein und wirst du dann neben den übrigen Gütern des Geistes32) für dich und deine Frau auch um Keuschheit bitten?
12. Ich weiß wohl, mit was für Entschuldigungen man die unersättliche Begierde des Fleisches bemäntelt. Man schützt vor, die Notwendigkeit einer Hilfe in Besorgung des Hauswesens und Überwachung der Dienerschaft, die Bewahrung der Kasse und der Schlüssel, die Aufsicht in der Spinnstube, die Leitung der Küche und die Abnahme der Sorgen33). Natürlich, nur eines Ehemannes Haus ist wohlbestellt. Es gehen unter die Haushaltungen der Ehelosen, Hab und Gut der Kastraten, der Besitz der Soldaten und Reisenden geht, weil sie ohne Gattinnen sind, immer zugrunde! Aber sind wir denn nicht auch Soldaten, und zwar unter einer noch viel strengeren Kriegszucht, weil Soldaten eines so erhabenen Herrschers? Sind wir nicht auch Pilgrime in dieser Welt? Warum, mein Christ, steht es so mit dir, daß du ohne eine Ehefrau nicht fertig werden kannst? Hast du noch immer eine Teilnehmerin an den Lasten des Hauswesens notwendig, gut, dann habe irgend eine geistige Ehefrau! Nimm dir irgend eine von den Witwen, deren Schönheit im Glauben, deren Mitgift in der Armut, deren Auszeichnung im Alter besteht. Das wird eine löbliche Heirat sein. Derartige Gattinnen kann man sogar mehrere haben, und es ist Gott angenehm.
Es kommt auch vor, daß Christen, für die es doch kein Morgen gibt, auf Nachkommenschaft bedacht sind. Leibeserben sollte der Knecht Gottes sich wünschen, er, der sich selbst zum Enterbten vor der Welt gemacht hat!? Es sollte ein Grund sein, sich zu wiederholten Malen zu verehelichen, wenn man aus der vorigen Ehe keine Kinder hat!? Demzufolge wird man es für das |344 höchste Gut halten, lange zu leben, während der Apostel zum Herrn eilte. Man wird ganz gewiß bei den Verfolgungen der Bereitwilligste, beim Martyrium der Standhafteste, der Willfährigste beim Hergeben, der Zurückhaltendste im Erwerb sein, und zuletzt mit besonderer Ruhe sterben, da man ja Kinder hinterläßt, welche uns vielleicht ein Begräbnis besorgen. Werden solche Leute vielleicht durch die Sorge um den Staat dazu bewogen? Damit die Städte nicht ausstürben, wenn nicht für Nachwuchs gesorgt wird, die gesetzlichen Rechte und der Handel nicht zugrunde gehen, die Tempel nicht leer stehen und damit es nicht an Leuten fehlt, die das Geschrei erheben: Die Christen vor die Löwen! Solche Rufe sind es, welche die zu hören wünschen, die nach Kindern verlangen.
Zur Anempfehlung des Witwenstandes dürften schon die, zumal bei uns eintretenden Ungelegenheiten, welche durch Kinder versucht werden, genügen34); zur Aufziehung derselben müssen die Menschen ja sogar erst durch Gesetze angehalten werden, weil kein weiser Mann von freien Stücken jemals nach Kindern verlangt. Was wirst du also tun, wenn du die neue Gattin mit dem, was du verstehst, in andere Umstände versetzt hast? Willst du dann etwa das Empfangene durch Arzneimittel beseitigen? Mich dünkt, es ist uns ebenso wenig erlaubt, einen in der Geburt begriffenen Menschen als einen schon geborenen zu töten. Aber vielleicht wirst du dich erkühnen, in jener Zeit, wo deine Frau schwanger ist, ein Heilmittel für diesen großen Kummer von Gott zu erbitten, weil du das in deiner Gewalt befindliche Heilmittel35) verschmäht hast. Vermutlich wird man sich eine unfruchtbare Frau besorgen oder eine, die schon im kälteren Alter steht?! Sehr weise und vor allem auch der Religion entsprechend! Denn daran, daß eine Unfruchtbare oder eine Greisin durch den Willen Gottes geboren habe36), glauben wir ja nicht. Das kann |345 um so leichter geschehen, wenn jemand dadurch, daß er in dieser Weise auf seine Vorsicht vertraut, die Feindschaft Gottes herausfordert. Wir kennen z. B. einen Fall, wo einer von den Mitbrüdern, da er um seiner Tochter willen in zweiter Ehe eine Unfruchtbare genommen hatte, nochmals Vater wurde, wie er nochmals Gatte geworden war.
13. Zu dieser meiner Anmahnung, geliebtester Bruder, kommen noch Beispiele aus der Heidenwelt. Wir haben uns derselben schon oft als Belege da bedient, wo etwas als gut und Gott wohlgefällig auch von den draußen Stehenden anerkannt und durch ihr Zeugnis verherrlicht wird. Die einmalige Ehe steht bei den Heiden im höchsten Ansehen, so daß sogar, wenn Jungfrauen eine gesetzliche Ehe eingehen, eine eingattige Witwe als Brautführerin hinzugezogen wird; und wenn es auch nur der Vorbedeutung wegen geschieht, so jedenfalls um der guten Vorbedeutung willen. Die eingattige Witwe erhält die erste Stelle, z. B. bei gewissen Feierlichkeiten und Götterdiensten. Wenigstens ist die Flaminica immer nur eine eingattige, und dasselbe Gesetz gilt für den Flamen. Auch der Umstand, daß der Pontifex Maximus selbst die Ehe nicht wiederholen darf, ist jedenfalls eine Verherrlichung der einmaligen Ehe. Wenn der Satan aber die Geheimnisse Gottes nachäfft, so ist es für uns eine starke Herausforderung, oder vielmehr eine Beschämung, wenn wir lässig sind, Gott die Enthaltsamkeit darzubringen, welche einige dem Teufel leisten, bald durch Jungfräulichkeit, bald durch beständige Witwenschaft. Bekannt sind ja die Jungfrauen der Vesta, die Jungfrauen der Juno in einer Stadt Achaias, die des Apollo in Delphi, die der Minerva und Diana an gewissen Orten. Wir sehen auch enthaltsame Männer, nämlich die Priester jenes bekannten ägyptischen Stieres, von enthaltsamen Weibern aber kennen wir die Priesterinnen der afrikanischen Ceres, welche sogar in freiwilliger Aufgebung der Ehe alt werden und von der Zeit an jede Berührung mit ihren Männern, sogar die Küsse ihrer eigenen Söhne vermeiden. So hat der Teufel eine Art von Verderben bringender Enthaltsamkeit |346 nach vorherigem Genuß der Wollust erfunden, damit die Schuld der Christen der die heilbringende Enthaltsamkeit zurückweist, um so größer werde.
Als Beweis dafür dürften uns auch gewisse heidnische Frauen dienen, welche wegen ihres beharrlichen Aushaltens bei einem Manne Ruhm erlangt haben. Eine gewisse Dido, welche in ein fremdes Land geflüchtet war, wo sie die Ehe mit dem Könige ihrerseits hätte wünschen sollen, wollte, um nicht eine zweite Ehe eingehen zu müssen, lieber Begierde leiden als heiraten. Lukretia, welche nur einmal und wider ihren Willen mit einem fremden Manne zu tun gehabt hatte, wusch ihren befleckten Leib sogar in ihrem eigenen Blute rein, um nicht zu leben als eine, die in ihren eigenen Augen schon nicht mehr eingattig war.
Zahlreichere und zuverlässige37) Beispiele würde man bei den Unserigen finden, und zwar sind sie in anderer Weise erhaben, weil es schwieriger ist, in der Enthaltsamkeit zu leben als für sie zu sterben. Es ist leichter, sein Leben hingeben, weil man ein Gut verloren hat, als durch das Leben das zu bewahren, wofür man gern sterben würde. Wie viele Männer und wie viele Frauen zählen um ihrer Enthaltsamkeit willen zu den kirchlichen Ständen! Sie wollten lieber Bräute Gottes sein, sie brachten selber ihren Leib wieder zu Ehren und erwarben schon hienieden die Weihe der Kinder der anderen Welt, indem sie die Begierlichkeit des Fleisches und alles das in sich ertöteten, was keinen Zutritt ins Paradies erhalten kann. Daraus muß man die Überzeugung schöpfen, daß diejenigen, welche Aufnahme ins Paradies erhalten wollen, endlich einmal von dem ablassen müssen, wovon das Paradies unberührt ist38). Gnade also sei mit dem, der es einsieht! Gedenke in deinen Gebeten des Tertullian, der hierzu ermahnt.
1. 1) Dieser Rat wird von Tertullian freilich schon mehr im Tone einer Vorschrift erteilt.
4. 2) Oehler schiebt mit Ursinus nach adulari ein sibi ein. Es ist gegen den Zusammenhang und unnötig. Die Konstruktion von adulari bei Tertullian erhellt aus De anima 43.
5. 1) Eccles. 15, 18. Das Zitat ist ungenau.
7. 1) Bei dem Gewirre sich widersprechender Lesarten, die an dieser dunkeln, vielleicht etwas lückenhaften Stelle herrscht, müssen wir uns begnügen, annäherungsweise den Sinn zu treffen. Das non oder nec vor didicerimus habe ich eingeschaltet.
14. 1) 1 Mos. 2, 24; Eph. 5, 31.
15. 1) In numerum als zwei Wörter scheint die richtige Lesart zu sein wegen des soeben vorausgegangenen numerus matrimonii etc.
17. 2) Die Stelle 3 Mos. 21, 14, vgl Ez. 44, 22, die hiefür angeführt wird, besagt dies freilich nicht. "Eine Jungfrau soll er (der Hohepriester) zum Weibe nehmen"; also keine Witwe oder Gefallene heiraten, auch nicht in Vielweiberei leben.
21. 2) Das enim bezieht sich nicht auf das unmittelbar Vorhergehende, sondern knüpft wieder an das Obige quod sacerdotibus non liceat, laicis licere an.
25. 2) Matth. 5, 28. Tertullian setzt hier ungenau stuprari für μοιχᾶν.
27. 2) Ich glaube conscientiae erubescentis abhängig von orationem zum folgenden ziehen und das Komma nach sit setzen zu müssen.
28. 1) 3 Mos. 11, 44; 19, 2; 1 Petr. 1, 16.
32. 1) Die Lesarten schwanken an dieser Stelle sehr.
33. 2) Oehler hat curas comminuendas, andere curas communiendas.
34. 1) Ich glaube, daß man die Lesart sufficiat und praecipua des Cod, B. beibehalten müsse.
36. 3) Wie Sara und Elisabeth. Die Rede ist ironisch.
37. 1) In diesem Satze hat Oehler abweichend von anderen die Lesart curiosi statt certa. Allein man kann wohl cariosius quaerere, aber nicht curiosius invenire sagen. Seine Emendation alteris für aliter scheint mir keine glückliehe.
38. 2) Das Folgende fehlt in einigen Handschriften.
Übersetzt von Heinrich Kellner, 1912/1915. Übertragen durch Roger Pearse, 2002.
Der griechischer Text wird mit mit einem Unicode Schriftkegel angezeigt.
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